Der Highway der Weltwirtschaft

Im globalen Fernverkehr zwischen Ost und West ist die Straße von Malakka die wichtigste Passage

Charlene lächelt. „Unsere Aufnahmegebühr liegt bei 43 888 Dollar“, säuselt sie. Was sind schon 43 888 Singapur-Dollar? Nüchtern betrachtet gute 21 000 Euro. Aber erstens lächelt Charlene immer noch. Zweitens ist die Acht die Glückszahl aller Chinesen. Und drittens erkaufst du dir damit die Mitgliedschaft im Edelyachtclub One Degree 15, gelegen auf der Insel Sentosa, dem Freizeitparadies der Reichen, vor der Luxusmetropole Singapur.

Dort dümpeln die „Capri“, die „Tantrum“ und die „Tiger Scott“ an den Stegen aus Teakholz. Philippinische Bootsmänner polieren die Winschen. Das Clubhaus aus Marmor, Stahl und grünem Glas strahlt im gleißenden Äquatorlicht. Die „Nebula Bar“ wirbt für einen Abend mit Veuve Cliquot und Austern für 130 Singapur-Dollar. „Sie haben noch kein Boot? Kein Problem“, Charlene lächelt noch ein wenig breiter. Gerne verhelfen Lotus Luxury Yachts oder Azurea Lifestyle Yachting auch denen zu einem Schiff, deren Verbindung zum Meer nur aus dem Mitgliedsausweis besteht. Im One Degree 15, der sich zu „Asiens exklusivstem Yachtzentrum“ ernannt hat, ist für alles gesorgt. Da erscheint selbst eine Nacht in einer der Suiten des Clubs, nur gegen Vereinskarte und 1800 Singapur-Dollar, als Schnäppchen. Hier schweift der Blick selbst aus der Badewanne bis hinüber nach Sumatra. Azurblaue See, dunkelgrüne Berge am Horizont, weiße Wolken, 30 Grad. Die Südsee? Sie ist nichts dagegen.

Deshalb sind sie hier, die Reichen und Schönen Singapurs. Oft Erben von Vätern, die als Händler ihr Geld machten. Deren Väter wiederum einst aus dem fernen China kamen und sich auf der Suche nach einem besseren Leben auf der Insel Singapura als Kulis verdingten. Sie mussten damals auf ihren Dschunken bis an die Straße von Malakka fahren, ehe sie den Hafen der Stadt erreichten. Heute blicken ihre Enkel und Urenkel aus den Liegestühlen des One Degree 15 wieder in die Richtung, aus der ihre Vorfahren einst kamen. Die Meerenge aber, die die indonesische Insel Sumatra von Malaysia und Singapur trennt, hat als Handelsweg zwischen Ost und West immer mehr an Bedeutung gewonnen.

Heute sitzt, wer im One Degree 15 ausspannt, an der Schnellstraße der Globalisierung. Hier, ein Grad und 15 Minuten nördlich des Äquators, liegt das untere Ende der Straße von Malakka. 800 Kilometer misst die Lebensader zwischen Ost und West, zwischen Südchinesischem Meer und Andamanensee – der kürzeste Meeresweg zwischen Ostasien, der Fabrik der Welt, den Ölländern Arabiens und dem Absatzmarkt Europa. Containerschiffe, beladen mit Fernsehern, Kleidung, Möbeln, schieben sich in die eine Richtung, Tanker mit Flüssiggas und Öl in die andere. Die Zahl der Schiffe, die die Seidenstraße der See passieren, steigt kontinuierlich: Im vergangenen Jahr waren es schon 64 000 – ein Anstieg von fast 50 Prozent gegenüber dem Jahr 2000. Knapp zwölf Millionen Barrel Öl, so viel, wie ganz Deutschland in einer Woche verbraucht, werden durch die Straße von Malakka verschifft – jeden Tag. 2020 sollen es schon 20 Millionen Barrel sein. Auch bemessen in Containern, berechnet in der Standardeinheit 20-Fuß-Container (TEU), ist die Meerenge mit rund 23 Millionen TEU die wichtigste Wasserstraße der Welt – vor dem Englischen Kanal und der Transpazifikroute (jeweils etwa 20 Millionen TEU) sowie der Strecke über den Atlantik (zehn Millionen TEU). Chinas Bruttoinlandsprodukt wächst seit 2005 um jährlich etwa elf Prozent. Der Absatz Asiens nach Europa gewinnt dabei ständig an Bedeutung: Allein im zweiten Quartal dieses Jahres zogen die Ausfuhren nach Amerika um 14 Prozent an, diejenigen nach Europa aber stiegen um 40 Prozent. Längst schon gilt Reedern die Linie zwischen Rotterdam und Schanghai als die wichtigste Seeverbindung. Das One Degree 15 liegt nicht in der Idylle, sondern an der größten Kreuzung des Welthandels.

Wie durch ein Brennglas schärft die Straße von Malakka den Blick auf die Globalisierung. Die Kluft zwischen Arm und Reich, zwischen Gewinnern und Verlierern, ist nirgends offensichtlicher als entlang ihrer Ufer. Von jeher diente dieser Seeweg Freibeutern und Abenteurern, Entdeckern, Händlern, Missionaren und Soldaten als Route. Chinesische Dschunken und portugiesische Briggs scheiterten an Riffen rund um den gefürchteten Pedra Branca, den weißen Felsen, vor Singapurs Küste. Der chinesische Admiral Zheng He führte seine Flotte durch das Nadelöhr, Marco Polo durchquerte es 1292 auf dem Rückweg vom Hof Kublai Khans. Portugiesen und Niederländer durchsegelten es mit wertvollen Gewürzen. Dann empfahl der Hydrograf Captain James Horsburgh der East India Company das am Südausgang gelegene Inselchen Temasek als Stützpunkt – nur zwei Jahrhunderte später ist es die Weltstadt Singapur. Damals sollte eine Festung das China-Geschäft der Briten absichern. Kanonen waren auf den Felsen postiert, die königliche Marine hatte hier ihren wichtigsten Hafen in Südostasien.

Dabei war Malakka, die Stadt an der Malaiischen Halbinsel nördlich von Singapur, im 15. Jahrhundert einer der zentralen Häfen des Welthandels und verlieh der Meerenge so ihren Namen. Hunderte Schiffe machten hier Jahr für Jahr fest. Sie waren beladen mit Seide und Porzellan aus China, Stoffen aus dem indischen Gujarat, Kampher aus Borneo und Sandelholz aus Timor. Muskatnüsse und Nelken kamen von den Molukken, Gold und Pfeffer aus Sumatra, von der Malaiischen Halbinsel selbst stammte Zinn. Seit Jahren aber ist die Flussmündung versandet. Häuser, Kirchen und Tempel der Portugiesen, Holländer und Chinesen sind nur noch Touristenattraktion. Auch Penang, die Insel vor der malaiischen Küste am nördlichen Eingang zum Seeweg, hatte die Chance, Metropole zu werden. Einst ließ Francis Light, der britische Kapitän und Entdecker Penangs, von seinem Schiff aus Silbermünzen in den Urwald schießen, um die Malaien dazu zu bringen, das Dschungeleiland zu roden. Zu den Hochzeiten Ende der 1980er Jahre mauserte sich die Insel zum „Silicon Island“, pumpte die Elektronikindustrie Millionen in ihre Fabriken dort. Eine Dekade später aber wanderte die Industrie weiter ins billigere China. Heute ziehen die Containerriesen an Penang vorbei.


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mare No. 65

No. 65Dezember 2007 / Januar 2008

Von Christoph Hein und John Stanmeyer

Christoph Hein ist Wirtschaftskorrespondent für Asien und den Pazifik der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. Er lebt in Singapur. Eine Auswahl seiner Reportagen ist unter dem Titel Asiatische Aufschwünge im Picus-Verlag erschienen.

Fotograf John Stanmeyer, geboren in den USA, lebt derzeit in Indonesien. Er arbeitet unter anderem für das US-Nachrichtenmagazin Time, sein Interesse gilt vor allem sozialen Themen. So widmete er sich in einem mehrjährigen Buchprojekt der Aids-Problematik in Asien. Er erhielt zahlreiche Preise, darunter auch den World Press Award.

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Vita Christoph Hein ist Wirtschaftskorrespondent für Asien und den Pazifik der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. Er lebt in Singapur. Eine Auswahl seiner Reportagen ist unter dem Titel Asiatische Aufschwünge im Picus-Verlag erschienen.

Fotograf John Stanmeyer, geboren in den USA, lebt derzeit in Indonesien. Er arbeitet unter anderem für das US-Nachrichtenmagazin Time, sein Interesse gilt vor allem sozialen Themen. So widmete er sich in einem mehrjährigen Buchprojekt der Aids-Problematik in Asien. Er erhielt zahlreiche Preise, darunter auch den World Press Award.
Person Von Christoph Hein und John Stanmeyer
Vita Christoph Hein ist Wirtschaftskorrespondent für Asien und den Pazifik der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. Er lebt in Singapur. Eine Auswahl seiner Reportagen ist unter dem Titel Asiatische Aufschwünge im Picus-Verlag erschienen.

Fotograf John Stanmeyer, geboren in den USA, lebt derzeit in Indonesien. Er arbeitet unter anderem für das US-Nachrichtenmagazin Time, sein Interesse gilt vor allem sozialen Themen. So widmete er sich in einem mehrjährigen Buchprojekt der Aids-Problematik in Asien. Er erhielt zahlreiche Preise, darunter auch den World Press Award.
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