Der Held der alten Tage

Mitte der 1950er Jahre fand der Zoologe Irenäus Eibl-Eibesfeldt auf den Galápagos-Inseln seine Lebensaufgabe. Ihm verdankt die Welt heute die Rettung dieses einzigartigen Habitats

Es ist der 6. Januar 1954. 1000 Kilometer vor der Küste Ecuadors wölbt sich ein tiefblauer Himmel über dem Pazifik, durchbrochen von der gleißenden Sonne des Äquators. Am Horizont dräut eine Gewitterfront, doch noch herrscht Stille über den Galápagos-Inseln. Seichter Wind, sanfte Wellen.

In der Gardner-Bucht vor der Insel Española holt der Dreimaster „Xarifa“ die Segel ein. Die prächtige, schneeweiße Yacht ist das Expeditionsschiff des Wiener Meeresforschers Hans Hass. Außer Hass ist noch ein weiterer Wissenschaftler aus Wien an Bord: der Zoologe und Verhaltensforscher Irenäus Eibl-Eibesfeldt, gerade 25 Jahre alt.

Als sich der Anker auf den Grund legt, ist an Deck plötzlich ein Brüllen zu hören. Der durchdringende Lärm sind Rufe der Seelöwen und kommt von Osborn, einem winzigen Eiland aus schroffem Lavagestein gegenüber der Gardner-Bucht. Eibl-Eibesfeldt bittet Hass, an Land gehen zu dürfen.

Er lässt sich mit dem Beiboot zu den Seelöwen bringen. Kurz vor der Insel ist die Brandung bereits ziemlich stark und lässt das Boot bedenklich schaukeln. Der Bootsmann wirft den Anker. Dann springt Eibl-Eibesfeldt in die Wellen. „Als ich auftauchte, blickte ich in die dunklen Augen eines großen Bullen. Und in den Rachen, aus dem ein tiefes Brüllen dröhnte“, erinnert sich Eibl-Eibesfeldt. „Von seinen Schnauzhaaren hingen triefende Schaumflocken herab. Dieser kräftige Bulle bewachte seinen Harem, und ich spürte, dass das Brüllen kein Freundesgruß war. Es war ein Imponieren wie das Brustschlagen des Gorillas.“

Die Erregung des Seelöwen lässt Eibl-Eibesfeldt erschrecken. Der junge Forscher zieht sich unter großer Anstrengung, umspült und gezogen von schäumenden Wellen, an einer Felskante zur Insel hinauf und schleppt sich weiter zum Strand. Erstmals betritt er in diesem Moment die Galápagos-Inseln. Eine große Gruppe von Seelöwenweibchen, der Harem, döst im Sand und schaut ihn nur gelangweilt an. „Von nun an war es um mich geschehen. Galápagos war eine Liebe auf den ersten Blick.“

Galápagos, Frühjahr 2010. 56 Jahre nach jener Liebesbegegnung mit den Seelöwen bereist Irenäus Eibl-Eibesfeldt erneut die „Arche Noah im Pazifik“, wie er den Archipel im Titel seines Literaturklassikers nennt. Dieses Mal ist er auf der 53 Meter langen Motoryacht „Isabela II“ unterwegs, einem schwimmenden Hotel mit Whirlpool und Cocktailbar. Eibl-Eibesfeldt reist – wie schon so oft – als wissenschaftlicher Leiter einer Leserreise im Auftrag der Hamburger Wochenzeitung „Die Zeit“. Sein Haar ist weiß, das Gesicht durchfurcht von Falten, doch der Blick des Österreichers ist klar wie eh und je. Als das Schiff an fast der gleichen Position ankert wie damals die „Xarifa“, irgendwo zwischen Osborn und dem Strand der Gardner-Bucht, hält er für einen Moment inne und lauscht dem vertrauten Brüllen der Seelöwen.

Ein nachdenklicher Eibl-Eibesfeldt schaut mehr als fünf Jahrzehnte zurück. „Als ich mit Hans Hass an Bord der ‚Xarifa‘ auf Galápagos landete, waren die Inseln einer brutalen Plünderung ausgesetzt.“ Es gibt Szenen, die er nicht vergessen kann. „Die Kalifornier jagten damals die Pelzrobben. Die Elefantenschildkröten wurden allerorten verspeist. Die Siedler schossen Bussarde, und die eingeschleppte Ziegenplage richtete verheerende Schäden an. Das Labor der Evolution war in Gefahr.“

Ist dieser Ort, an dem einst Charles Darwin Teile seiner Evolutionstheorie entwickelte, heute in Sicherheit? „Es gibt neue Probleme“, sagt Eibl-Eibesfeldt. Es drohe die Ausrottung und Zerstörung durch Zigtausende Siedler und Hunderttausende Touristen. Eibl-Eibesfeldt war seinerzeit maßgeblich an der Rettung der Inseln beteiligt und hat sie berühmt gemacht. Jetzt, im 21. Jahrhundert, wird Galápagos womöglich an diesem Ruhm zerbrechen.


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mare No. 86

No. 86Juni / Juli 2011

Von Peter Korneffel

Peter Korneffel, Jahrgang 1962, freier Autor in Berlin, lebte acht Jahre in Ecuador. Mehrmals im Jahr bereist er Galápagos. „Eibl-Eibesfeldt ist einer der ungewöhnlichsten Forscher, denen ich je begegnet bin.“

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Vita Peter Korneffel, Jahrgang 1962, freier Autor in Berlin, lebte acht Jahre in Ecuador. Mehrmals im Jahr bereist er Galápagos. „Eibl-Eibesfeldt ist einer der ungewöhnlichsten Forscher, denen ich je begegnet bin.“
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Vita Peter Korneffel, Jahrgang 1962, freier Autor in Berlin, lebte acht Jahre in Ecuador. Mehrmals im Jahr bereist er Galápagos. „Eibl-Eibesfeldt ist einer der ungewöhnlichsten Forscher, denen ich je begegnet bin.“
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