Der Fluch der guten Tat

Der österreichische Jude Berthold Storfer organisierte im Auftrag der Nazis Schiffstransporte, um Juden nach Palästina zu bringen. Er rettete Tausende vor dem Konzentrationslager

Wer durch den „Garten der Gerechten“ in der Jerusalemer Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem geht, findet dort auf Steinplatten unter Bäumen mehr als 26 500 Namen. Es sind Namen nicht jüdischer Menschen, die während der Zeit des Nationalsozialismus Juden das Leben retteten, auch Oskar Schindler ist dabei, der 1200 Zwangsarbeiter vor der Deportation in Vernichtungslager bewahrte. An anderer Stelle in Yad Vashem werden auch jüdische Retter vorgestellt. Doch unter ihnen fehlt ein Name: der des Wiener Juden Berthold Storfer.

Storfer organisierte 1940 drei große Schiffstransporte, die Juden von Wien aus über die Donau, das Schwarze Meer und das Mittelmeer nach Palästina bringen sollten. Mehr als 3500 Menschen entgingen so dem Tod, fast dreimal so viele, wie Schindler rettete. Doch Storfers Name ist heute, in Israel wie in Deutschland, kaum bekannt, allein eine Biografie der Wiener Historikerin Gabriele Anderl erinnert an ihn. Er werde trotz seiner Leistung „totgeschwiegen“, kritisierte der 2012 verstorbene Historiker und Holocaustüberlebende Arno Lustiger. Denn Storfer arbeitete im Auftrag des NS-Systems, unter dem Deckmantel der Kooperation. Sein Vorgesetzter war Adolf Eichmann.

Als am 13. März 1938 die National­sozialisten in Österreich die Macht übernehmen, ist Berthold Storfer 57 Jahre alt, ein Mann mit rundlichem Gesicht, grauem Haar und Schnauzer. Auf einem der wenigen Bilder, die es von ihm gibt, trägt er Anzug und Krawatte, er hält einen Spazierstock in der Hand, die Lederschuhe glänzen. Berthold Storfer, geboren 1880 im heute ukrainischen Czernowitz nahe der rumänischen Grenze, lernt schon früh, für andere Verantwortung zu übernehmen: Er ist der Älteste von vier Geschwistern, seine Brüder Josef und Samuel sind zehn und 14 Jahre jünger. Über seinen Vater ist wenig bekannt. Storfer stammt aus einer jüdischen Familie, lässt sich aber taufen, möglicherweise, um antijüdischen Vorurteilen zuvorzukommen. Nach einem Wirtschaftsstudium bringt er es mit Anfang zwanzig zum Vorstandsmitglied der Waldindustrie AG Dresden, mit 30 Jahren zum Bankdirektor. Ende der 1920er-Jahre besitzt er in Wien sein eigenes Unternehmen, die Bankkommanditgesellschaft Berthold Storfer & Co. mit 85 Mitarbeitern. Als 1920 seine Mutter krank wird, holt er sie in seine neue Heimat und bringt sie in einem Privatsanatorium unter. Auch beide Brüder folgen Berthold Storfer nach dem Ersten Weltkrieg nach Wien und arbeiten für ihn. Als Mäzen unterstützt Storfer die Volksoper, Museen und das Tonkünstler­orchester, er trägt den Ehrentitel Kommerzialrat.

Doch seine Verdienste und das Engagement für die Kunst sind bald nichts mehr wert, als am 12. März 1938 die Nationalsozialisten in Wien einmarschieren. Die Stadt mit dem höchsten Anteil jüdischer Bevölkerung im deutschsprachigen Raum – fast zehn Prozent im Jahr 1934 – soll nun „judenrein“ werden, wie SS-Obersturmbannführer Adolf Eichmann es 1939 formuliert, und damit Vorbild für das gesamte Deutsche Reich. Eichmann ist als Leiter der „Zentralstelle für jüdische Auswanderung“ in Wien ab März 1938 erst für die Vertreibung der Juden aus Deutschland und Österreich verantwortlich und später in Berlin für ihre Deportation in Konzentrationslager. Er lässt zahlreiche jüdische Funktionäre verhaften, Bekannte Storfers, darunter den Direktor der Israelitischen Kultusgemeinde Josef Löwenherz, den Eichmann einmal ohrfeigt. Er verlangt von Löwenherz ein Konzept, wie man Juden aus Deutschland herausschaffen könne – auf deren eigene Kosten.

Eichmann trifft in dieser Situation auf eine jüdische Gemeinde, die, so der Historiker Doron Rabinovici, zu ihrem eigenen Schutz bereits gelernt hat, mit einem autoritären Staat zu kooperieren. Berthold Storfer ergreift nach der Annexion Österreichs die Flucht nach vorn. Schon im April 1938 bietet er sich dem Wanderungsamt in Wien als Fachmann für Logistik und Finanzierung der jüdischen Auswanderung an.

Er habe wertvolle Kontakte zu Geschäftsleuten in ganz Südosteuropa, entlang der Ausreiseroute per Schiff. Er schlägt vor, die Angelegenheit unter seiner Führung zu zentralisieren, hakt hartnäckig immer wieder nach.

Denn in den 1930er-Jahren versuchen unterschiedliche Institutionen und Personen, die jüdische Emigration zu organisieren, und Unternehmer hoffen, damit Geld zu verdienen. Aber auch zionistische Gruppen wie die Pionierbewegung Hechaluz und die von der jüdischen Einwanderungsorganisation Jewish Agency for Israel geschaffene Organisation Mossad le Alija Bet bringen ab 1938 mit Schiffen Flüchtlinge nach Palästina. Die Zionisten verfolgen bei der Auswahl der Passagiere ihr eigenes Ziel: Junge, kräftige Menschen und Handwerker werden bevorzugt, sie sollen beim Aufbau eines wehrhaften israelischen Staates in Palästina helfen. Schon Jahre vorher hat der Hechaluz damit begonnen, Juden in speziellen Lagern dafür beruflich und ideologisch zu schulen.


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mare No. 129

August / September 2018

Von Silvia Tyburski

Silvia Tyburski, Jahrgang 1976, arbeitet als Journalistin in Hamburg. Für ihre Recherche sah sie sich Claude Lanzmanns Dokumentation Der letzte der Ungerechten über den „Judenältesten“ Benjamin Murmelstein an. Sie empfiehlt sie jedem, der sich für das Thema interessiert.

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Vita Silvia Tyburski, Jahrgang 1976, arbeitet als Journalistin in Hamburg. Für ihre Recherche sah sie sich Claude Lanzmanns Dokumentation Der letzte der Ungerechten über den „Judenältesten“ Benjamin Murmelstein an. Sie empfiehlt sie jedem, der sich für das Thema interessiert.
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Vita Silvia Tyburski, Jahrgang 1976, arbeitet als Journalistin in Hamburg. Für ihre Recherche sah sie sich Claude Lanzmanns Dokumentation Der letzte der Ungerechten über den „Judenältesten“ Benjamin Murmelstein an. Sie empfiehlt sie jedem, der sich für das Thema interessiert.
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