Der flotte Minister

Samuel Pepys kennen viele als Autor eines der berühmtesten Tagebücher der Weltliteratur. Aber wenigen ist geläufig, dass er der bedeutendste Reformer der Royal Navy war

Auf einem Schiff, so schreibt Samuel Pepys einmal, habe das große Glück seines Lebens begonnen. Gemeint ist die „Naseby“, das Flaggschiff seines Cousins, General zur See Lord Edward Montagu. Dieser ehemalige Cromwell-Anhänger wechselt Anfang des Jahres 1660 die Seiten. Cromwell und die Republik sind tot, der Wind weht Richtung Restauration der Monarchie. Und so läuft Montagu im Mai 1660 mit der „Nase-by“ von England nach Holland aus, um den Stuart-König Charles II. aus dem Exil nach London zurückzubringen. Mit an Bord: der 28-jährige Samuel Pepys. Das Mädchen für alles in Montagus Haushalt rückt nun als dessen Sekretär mitten ins staatstragende Geschehen und genießt die Aufregungen der Seereise in vollen Zügen. „Wir sangen aus voller Kehle zwei oder drei hübsche Lieder, was an sich schon schön war und dadurch noch schöner wurde, dass wir uns an einem so wunderbaren Ort befanden … Als die Nachricht kam, der König sei an der Küste, ließ Mylord sämtliche Kanonen zweimal feuern, die anderen Schiffe folgten seinem Beispiel, und zum Schluss feuerten alle durcheinander, was ein prächtiges Geballer ergab.“

Montagu, der dem König die mächtige Commonwealth-Navy übergibt, wird mit hohen Ämtern überhäuft und Admiral unter dem neuen Lord High Admiral, dem Herzog von York, Bruder des Königs. Mit dessen Zustimmung kann Montagu seinem Schützling Pepys bald einen hohen Verwaltungsposten im Londoner Flottenamt verschaffen.

Zwei Dinge nehmen hier ihren Anfang, die bis in die Gegenwart wirken werden: Zum einen schreibt Samuel Pepys in den Jahren 1660 bis 1669 in Kurzschrift sein berühmtes Tagebuch – rund 3100 Seiten, die erst im 19. Jahrhundert entdeckt, entschlüsselt und veröffentlicht werden, mit Ausnahme der vielen pikanten Stellen aus dem Leben des höchst umtriebigen Schwerenöters Pepys. Das Diarium wird eine Sensation. „Unvergleichlich seltsam. Ein Wunder unter den Büchern“, nennt Robert Louis Stevenson das detailfreudige Sittengemälde des 17. Jahrhunderts mit seiner kuriosen Vermischung von Welt- und Privatgeschichte – auf der Flucht vor dem Großen Feuer in London etwa vergräbt der hingebungsvolle Gourmet Pepys im Garten noch schnell einen Schatz, seinen Parmesankäse. Heute gilt das „Diary“ wegen seines ungekünstelten, lebendigen Stils und der verblüffend ungeschönten Selbstdarstellung des Autors als Ausnahmewerk der Tagebuchliteratur und Pepys als das unerreichte Original dieses Genres.

Kaum im heutigen Bewusstsein ist Pepys hingegen als erster großer Reformer der Marineverwaltung. Der chaotisch-ineffizienten, von Günstlingswirtschaft und Korruption bestimmten Flottenadministration – von deren Bestechungspraxis bei Posten- und Auftragsvergaben der stetig reicher werdende Pepys allerdings auch selbst ungeniert profitiert –, dieser wichtigsten Behörde Englands verpasst er revolutionäre professionelle Standards, vom Rechnungswesen über Schiffbau bis zur Ausbildung von Seeleuten. Pepys wird so zum Wegbereiter für Englands Aufstieg zur bedeutendsten Seemacht der Welt. Marinehistoriker nennen ihn den „Begründer und Vater der modernen Royal Navy“.

Dahinter steht eine erstaunliche Karrie-re. Der 1633 geborene Sohn eines Londoner Schneiders, der zwar am Magdalene College in Cambridge studierte, aber keine Erfahrungen hat mit der Seefahrt, der nichts weiß von Nautik und Marineverwaltung, der in seinen 70 Lebensjahren gerade eine Handvoll kleiner Seereisen unternimmt und im Nu seekrank wird, wird zur dominierenden Figur der Stuart-Navy, bringt es bis zum Sekretär der Admiralität und schließlich sogar bis zu einer Art erstem Marineminister Englands. Bei Pepys’ Tod 1703 heißt es: „Niemand übertraf sein Wissen in Sachen Navy.“

Wie hat er das geschafft? Als er 1660 im Marineamt anfängt, ist er der mit Abstand Jüngste und Unerfahrenste und wird auch nie zur See fahren – die sechs anderen hohen Administratoren sind hingegen altgediente Flottenkommandeure von Rang und Adel. Erstens aber weiß Pepys genau, was er will: das elegante Leben eines Gentleman führen, wohlhabend, angesehen, gebildet sein – über alle Fortschritte führt er akribisch Buch. Und zweitens ist Pepys ein enthusiastischer Tausendsassa: Überall treibt er sich herum, überall schafft er Kontakte, er ist ein Ausbund an Vitalität und Energie, an geradezu kindlicher Lebensbegeisterung, Neugier und vielfältigen Interessen. Er sammelt geistreiche Bücher aller Fachrichtungen in seiner rapide wachsenden Bibliothek.

Er liebt Musik und Gesang (,,Bis Mitternacht mit Freunden im Garten gesungen, zu unserer größten Zufriedenheit und auch der meiner Nachbarn, die ihre Fenster-läden öffneten“) und komponiert – etwa eine Hymne ,,auf den freien, liberalen Geist, der ich glaube zu sein, offen für alle Wissenschaften und Vergnügen“. Wie wahr! Denn er hat eine ausgeprägte Schwäche für Theater, Frauen und gutes Essen und schätzt fröhliche Runden in Londons Tavernen. Gleichzeitig sucht er die Freundschaft der hellsten, progressivsten Köpfe seiner Zeit und interessiert sich brennend für die neuesten Forschungen der Royal Society.

Bald aber legt das Frohsinnsbündel schriftliche Gelübde ab, wenigstens dem Theater und dem Wein zu entsagen, ein wenig auch den Affären (schon wegen seiner Frau Elizabeth – diese wird früh sterben, die Ehe bleibt kinderlos –, seine Vorsätze bricht er selbstverständlich mit Regelmäßigkeit). Er stürzt sich auf alles, was er als königlicher Marinebeamter brauchen kann. Der Selfmademan liest etwa das „Wörterbuch des Seemanns, mit Grammatik“ und das Seerechtstraktat ,,Mare Clausum“ (,,Schreibe an einem kleinen Traktat, um den Herzog von York über unser Privileg zu informieren, dass andere Völker auf See die Segel vor uns streichen müssen“). Dann wieder treibt er sich halbe Tage in den Werften herum, studiert in den Manufakturen die Teeröfen, die Anfertigung von Tauen, den Zuschnitt von Planken, kriecht in Schiffsbäuchen herum und lässt sich jedes Detail erklären. Vor Ort erforscht er Qualitäten und Preise für Öl, Teer, Hanf, Holz und „wie in anderen Ländern die Schiffsmasten feucht- oder trockengehalten werden.“ Sommers ist er früh um vier im Büro, brütet über der Neuheit Buchführung, studiert Karten, Gezeitenkunde, Flaggensignale. Und macht – ein Novum – unangemeldete Inspektionen. „Um 11 Uhr abends die Docks kontrolliert. Nahm ein Boot und ruderte im schönsten Mondschein zu den Wachschiffen. Kein Offizier an Bord, kein Geschütz gerichtet, kein Pulver für die Zündungen vorhanden.“ Schließlich gibt man dem dynamischen Jungbeamten den Rat, es sei zu seinem „eigenen Schaden, wenn ich im Amt und auf den Werften so streng sei. Ich würde ebenso viel Dank ernten, wenn ich wie die anderen Beamten alles so laufen ließe. Ich glaube das aber nicht“.


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mare No. 62

No. 62Juni / Juli 2007

Von Svenja Klaucke

Svenja Klaucke studierte Philosophie und Kulturwissenschaften und schreibt als Kulturjournalistin regelmäßig für Süddeutsche Zeitung, Frankfurter Rundschau und andere. Klaucke lebt in Düsseldorf, ist aber wegen ihres Leib-und-Magen-Themas Esskultur viel in Frankreich und dessen Geschichte unterwegs. Dank Samuel Pepys schaffte sie nun endlich auch den Sprung über den Kanal.

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Vita Svenja Klaucke studierte Philosophie und Kulturwissenschaften und schreibt als Kulturjournalistin regelmäßig für Süddeutsche Zeitung, Frankfurter Rundschau und andere. Klaucke lebt in Düsseldorf, ist aber wegen ihres Leib-und-Magen-Themas Esskultur viel in Frankreich und dessen Geschichte unterwegs. Dank Samuel Pepys schaffte sie nun endlich auch den Sprung über den Kanal.
Person Von Svenja Klaucke
Vita Svenja Klaucke studierte Philosophie und Kulturwissenschaften und schreibt als Kulturjournalistin regelmäßig für Süddeutsche Zeitung, Frankfurter Rundschau und andere. Klaucke lebt in Düsseldorf, ist aber wegen ihres Leib-und-Magen-Themas Esskultur viel in Frankreich und dessen Geschichte unterwegs. Dank Samuel Pepys schaffte sie nun endlich auch den Sprung über den Kanal.
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