Dein Haus, Mein Haus

Le Corbusier und Eileen Gray – wie ein Zwist zwischen zwei Göttern um ein Haus am Meer ein neues Maß der Architektur gebar

Also gut, glauben wir die Geschichte: Die Leute an der Küste sagen, er habe es so gewollt. Er sei hinausgeschwommen, wie jeden Morgen. Doch an diesem Sommertag spülen die Wellen einen toten Mann an den Strand zurück. Schon Jahre vorher habe er ihnen erzählt, wenn der Moment gekommen sei, dann sterbe er im Meer. Charles-Édouard Jeanneret ertrinkt am 27. August 1965 vormittags um elf Uhr, als das Licht weiß über dem Cap Martin steht. Knapp 80 Jahre alt ist er geworden, der Mann, der sich Le Corbusier nannte.

Anfang der dreißiger Jahre trifft der Schweizer Architekt das erste Mal in dem Küstenort Roquebrune ein. Ein eleganter Herr im Reiseanzug, Weste, Hut, Stock, ein lederner Koffer. Die folgenden Stunden und Jahre wird er allerdings vorzugsweise nackt anzutreffen sein. Es wird erzählt, er habe diesen Ort sofort geliebt: die schroffen Felsen, zwischen denen das glasklare Meerwasser gurgelt, im Hintergrund der bewaldete Hang. Und je einen Steinwurf entfernt Monaco und Menton. An dieser letzten wilden Ecke der Côte d’Azur wird Le Corbusier sein erstes und einziges Ferienhaus bauen, und es wird 366 mal 366 mal 226 Zentimeter groß sein.

Doch bis dahin vergeht noch ein gutes Dutzend Jahre. Denn diese erste Reise an das Cap Martin tritt Le Corbusier allein wegen eines Hauses an, das nicht er entworfen hat. Eileen, eine Freundin aus Paris, hat ihn eingeladen, damit er ihr neues Ferienhaus begutachte. Drei Jahre lang, berichtet ihm die Designerin, habe sie auf der Baustelle ihrer Traumvilla kampiert. Nun ist sie fertig und möbliert. So muss man heute bauen, mag sich Le Corbusier gedacht haben. Diese Villa – ein schneeweißer Sommertraum! Aufs Feinste sieht er seine eigenen Entwurfsprinzipien realisiert, und dennoch ist es irgendwie anders, noch weiß er nicht genau, warum.

Zwischen 1926 und 1929 hatte Eileen Gray die Baustelle als künftigen Zufluchtsort der Liebe bewacht. Es muss funktionieren, beschwor sie die heranwachsende Villa: Die Räume sollen ineinander fließen, flexibel sein und Paravents immer neue Aufteilungen zulassen, Betten sollen tagsüber zu Liegewiesen werden.

Mit ein paar Stützkissen ist der Diwan knapp vier Meter lang, schreibt sie später über ihr Haus. Raffinierte Möbel und Einbauschränke, alle von ihr selbst entworfen, vervollkommnen das Ganze. Eine Terrasse vor dem Wohnraum lenkt den Blick hin zum Meer, zur Sonne. Die Villa ist klein, und dennoch atmet sie lichte Leichtigkeit. Und sie ist mit alltäglichen Materialien konstruiert: Beton, Glas und industrielle Baumaterialien wie Wellblech, Bad und Bodenbelag aus dem Großhandel.

„Une maison charmante!“, begeistert sich Le Corbusier, „pleine de sens architectural“, mit viel Sinn für Architektur. Der Meisterarchitekt, wie sie übrigens Autodidakt, ist voller Anerkennung. Spätestens zu diesem Zeitpunkt ist die Villa ein Manifest der Moderne, und der Name wird fortan respektvoll geraunt: E.1027 – Maison en bord de mer. E steht für Eileen, 10 für das J im Alphabet, für Jean, den Geliebten von Eileen, 2 für Badovici, seinen Nachnamen, 7 für Gray, ihren Namen. Hinter der Buchstabenakrobatik steckt nichts weiter als das Bekenntnis eines Paares. Eileen Gray, die Irin, und der gebürtige Rumäne Jean Badovici leben gemeinsam in Paris, für ihn, den Architekten und geistreichen Chefredakteur der angesehenen Zeitschrift „L’Architecture vivante“, entwirft sie das Ferienhaus und schenkt es ihm. Als vermögende Erbin ist sie dazu durchaus in der Lage.

Eileen Gray ist eine Ausnahmeerscheinung der Moderne, bereits 1917 widmet ihr die britische „Vogue“ einen Artikel, in dem ihre Arbeit als herausragend und einmalig gefeiert wird. Die zunächst auf Lackarbeiten spezialisierte Designerin entwirft in den zwanziger Jahren Stahlrohrmöbel, lange bevor der berühmte Marcel Breuer diesen Werkstoff für sich deklariert. Gray eröffnet einen eigenen Laden in Paris, geht nach London, wieder nach Paris und retour, dann wird sie eine Zeitlang vergessen sein und Anfang der siebziger Jahre noch einmal kurz berühmt. 1976 stirbt Eileen Gray 98-jährig in Paris. Dank eines zierlichen Tischchens, das sie für E.1027 entwarf und den gleichen Namen trägt, ist sie bis heute bekannt: jene runde Glasscheibe, die, eingefasst von einem metallenen Rohr und getragen von zwei schlanken Beinen, wiederum in ein Rund mündet. Eine ihrer vielen Schwestern liebte es, im Bett zu frühstücken – so entwarf Eileen ihr kurzerhand das Möbel.

Die drei Häuser der Designerin liegen alle an Frankreichs Mittelmeerküste. Das eine in Roquebrune, jene strahlende Liebesgabe an Badovici, ist heute grau und scheckig, die Innenausbauten zum Teil zerstört, ein Flickenteppich der Moderne. Doch diese Geschichte später. Zunächst ist da noch der weltberühmte Architekt.


Dies ist ein Auszug aus dem Text. Den ganzen Beitrag lesen Sie in mare No. 49. Abonnentinnen und Abonnenten lesen ihn auch hier im mare Archiv.

mare No. 49

No. 49April / Mai 2005

Von Grit Lederer und Maurice Weiss

Einen tiefen Eindruck bei der Berliner Autorin Grit Lederer und dem Berliner Fotografen Maurice Weiss hinterließen die Kontraste der Szenerie: die wilde Natur rings um den cabanon gegen Monacos glitzernde Skyline auf der anderen Seite der Bucht.

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Vita Einen tiefen Eindruck bei der Berliner Autorin Grit Lederer und dem Berliner Fotografen Maurice Weiss hinterließen die Kontraste der Szenerie: die wilde Natur rings um den cabanon gegen Monacos glitzernde Skyline auf der anderen Seite der Bucht.
Person Von Grit Lederer und Maurice Weiss
Vita Einen tiefen Eindruck bei der Berliner Autorin Grit Lederer und dem Berliner Fotografen Maurice Weiss hinterließen die Kontraste der Szenerie: die wilde Natur rings um den cabanon gegen Monacos glitzernde Skyline auf der anderen Seite der Bucht.
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