In der Nacht vom 30. zum 31. Oktober 1968 liegt um drei Uhr morgens in einem Zimmer des „Royal Hotel“ in Teignmouth, einem kleinen Küstenort im Südwesten Englands, ein 36 Jahre alter Mann neben seiner Frau im Bett und weint. Er weint bis zum Morgen. Dann steht er auf, frühstückt, lässt sich zu einem Trimaran rudern, der vor dem Hafen ankert, und startet zum ersten Einhandrennen unter Segeln ohne Zwischenstopp rund um die Welt. Er ist einer von neun Teilnehmern. Er heißt Donald Crowhurst.
Es ist die Zeit nach dem Bravourstück des Sir Francis Chichester, der mit 65 Jahren als erster Brite die Welt solo und mit einem einzigen Stopp umsegelt hat. England feiert ihn und fiebert nach dem nächsten Rekord. Wer wird die Erde als Erster ohne Unterbrechung umrunden? Am 17. März 1968 schreibt die „Sunday Times“ das „Golden Globe Race“ und zwei Siegerprämien von jeweils 5000 Pfund (50 000 Mark) aus für diejenigen, die nach dem Start von einem englischen Hafen und nach der Umrundung der drei großen Kaps als Erster und als Schnellster wieder den Ausgangshafen erreichen.
Die meisten der Männer, die sich auf die Herausforderung einlassen, sind Haudegen: ehemalige Armeeoffiziere, U-BootFahrer, erfahrene Kapitäne, Regattaprofis und versierte Hochseesegler mit Kap-Hoorn-Erfahrung wie der 43-jährige Franzose Bernard Moitessier. Donald Crowhurst ist nichts von alledem. Die Fachwelt kennt ihn nicht. Er hat keine Regatten gesegelt, keine Siege oder sonstigen Leistungen vorzuweisen, er hat auch keinerlei Erfahrung mit einem Dreirumpfboot. Er ist kaum mehr als ein Sonntagssegler. Dennoch versucht er, Sponsoren zu gewinnen. Er schreibt ihnen: „Ich bin in der Lage zu sagen, dass ich mir meines Sieges sehr sicher bin.“ Die Angeschriebenen winken ab. Erst Ende Mai ist ein Wohnwagenhändler bereit, ihm den Bau eines Trimarans zu finanzieren.
Die Zeit drängt. Der letzte mögliche Starttermin ist der 31. Oktober. In nur vier Monaten wird Crowhursts Regattaboot zusammengebaut. Dabei häufen sich die Probleme. Das größte wird von einer Idee zur Problemverhinderung verursacht. Der gewichtigste Mangel eines Mehrrumpfboots ist bekanntlich der, dass es sich nach dem Kentern nicht wieder aufrichtet. Deswegen hat Crowhurst ein ebenso raffiniertes wie kompliziertes System ersonnen, um das Kentern zu verhindern.
Ein „Rechner“ soll alle Belastungen in der Takelage überwachen, Alarm geben, sobald sie den Rahmen des Üblichen überschreiten, und automatisch Gegenmaßnahmen wie das Fieren der Segel veranlassen. Als zusätzliche Sicherheit soll ein riesiger Auftriebssack an der Mastspitze dienen, der bei einer bedrohlichen Krängung des Bootes automatisch aus seiner Verankerung gelöst und aufgebläht wird, auf diese Weise das Durchkentern verhindert und dann ermöglicht, das Schiff wieder in die Senkrechte zu befördern. Ein genialer Plan, der allerdings Konsequenzen für den Mast und die Segel hat, die vollkommen neu konstruiert und zugeschnitten werden müssen. Und das ganze famose Anti-Kenter-System steht nur als Theorie auf dem Papier, praktisch existiert nichts weiter als ein gigantischer Haufen von Einzelteilen, Relais, Schaltern, Transistoren, Gehäusen und Drähten, die in Crowhursts Werkstatt auf Zusammenbau und Erprobung warten, was aber aus Zeitmangel nicht erfolgt. Der Zeitplan gerät immer stärker in Turbulenzen und schließlich völlig aus den Fugen.
Doch die Präsenz revolutionärer Technik an Bord ist aus PR-Gründen unerlässlich für Crowhurst. Die Weltumsegelung soll auch eine Reklamefahrt für seine Firma Electron Utilisation werden, die nur noch dank eines Darlehens am Leben ist, das 1968 ausläuft – dem Jahr der Regatta. Der erhoffte Sieg ist für Crowhurst die letzte Chance.
Der ausgebildete Elektrotechniker ist ein Mann von kräftiger, man könnte sagen: bulliger Statur, mit einem breiten Gesicht, dünnen, scharf geschnittenen Lippen und dichtem, dunklem Haar. Seine Biografie besteht eigentlich aus einer Kette von Misserfolgen. Bei der Royal Air Force musste er wegen diverser Eskapaden und Pflichtverletzungen nach sechs Jahren den Abschied nehmen, auch die Armee warf ihn hinaus; mit einer Elektronikfirma, die ihn anstellte, überwarf er sich, und als selbstständiger Unternehmer war er erfolglos. Aber mit beachtlicher autosuggestiver Kraft gelang es Crowhurst, jeden seiner Misserfolge zu bagatellisieren und sich selbst und anderen immer wieder vorzumachen, er sei auf dem Weg zum sicheren Sieg. Seine vier Kinder beten ihn an. Und sein Sponsor, der im Nachhinein nicht begreift, wie er dem Projekt je zustimmen konnte, sagt über ihn: „Letztendlich war er der beeindruckendste und überzeugendste Mensch, dem ich je begegnet bin.“
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Peter Sandmeyer, Jahrgang 1944, hat in seinen 28 Jahren als Reporter des „Stern“ über etliche Menschen berichtet, die versucht hatten, aus einer ausweglosen Lage einen Ausweg zu finden. Manche endeten komisch, manche tragisch. Für Donald Crowhurst findet er keine Beurteilung.
Vita | Peter Sandmeyer, Jahrgang 1944, hat in seinen 28 Jahren als Reporter des „Stern“ über etliche Menschen berichtet, die versucht hatten, aus einer ausweglosen Lage einen Ausweg zu finden. Manche endeten komisch, manche tragisch. Für Donald Crowhurst findet er keine Beurteilung. |
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Person | Von Peter Sandmeyer |
Vita | Peter Sandmeyer, Jahrgang 1944, hat in seinen 28 Jahren als Reporter des „Stern“ über etliche Menschen berichtet, die versucht hatten, aus einer ausweglosen Lage einen Ausweg zu finden. Manche endeten komisch, manche tragisch. Für Donald Crowhurst findet er keine Beurteilung. |
Person | Von Peter Sandmeyer |