Das Weltschatzamt

Die Bodenschätze der Ozeane sind das gemeinsame Erbe der gesamten Menschheit, über die Zuteilung wacht die UN-Meeresbodenbehörde. Aber halten sich auch alle Nationen an deren Beschlüsse?

Den meisten ist geläufig, dass wir auf einem Planeten leben, der zu 71 Prozent mit Salzwasser bedeckt ist. Weniger bekannt ist, dass mehr als 80 Prozent aller Fischbestände in den nährstoffreichen Küstenbereichen leben und dass 40 Prozent aller Öl- und Gasreserven sowie eine beachtliche Menge von Metallen in den Festlandsockeln liegen. Auch die erst seit zehn Jahren bekannten Lager der energiereichen Methanhydrate konzentrieren sich auf mittlere Tiefen an den Außenrändern der Festlandsockel.

Fern der Küsten seewärts der 200-Seemeilen-Linien, in der Tiefsee, die 54 Prozent des Planeten ausmacht, liegt eine Schatzkammer besonderer Art. Sie verbirgt nicht nur die berühmten Manganknollen mit ihren Anteilen an Kupfer, Nickel, Kobalt und Mangan, sondern viele andere Mineralien wie Kobaltkrusten und Massivsulfide, aber auch Diamanten, Mineralsande, seltene Mineralien wie Selen und Tellur, die in der Computer-, Elektronik- und Solarindustrie gebraucht werden. Biologische und chemische Substanzen der Tiefsee haben die Neugier der Chemie, Medizin und Pharmazie geweckt. Außerdem gibt es Überlegungen, den Meeresboden zur Endlagerung von Treibhausgasen zu nutzen, während die Meeres- und Klimaforscher die Tiefsee als Teil des Klimasystems der Erde entdeckt haben.

Wer darf die Schätze heben oder, grundsätzlicher, wem gehört das Meer? Antworten gibt das Seerechtsübereinkommen (SRÜ) der Vereinten Nationen, das 1994 in Kraft trat und inzwischen für rund 150 Staaten der Welt gilt. Mitglieder des SRÜ sind alle EU- und die meisten Industrie- und Entwicklungsländer, nicht aber die USA und einige Binnenstaaten ohne Küstenlinie. Der dringend erwünschte Beitritt der USA scheiterte bisher an der isolationistischen Grundhaltung des US-Senats. Trotz dieser Einschränkung bietet das SRÜ heute nach allgemeiner Einschätzung eine „Verfassung der Meere“ mit hoher Bindungswirkung, zumal die wesentlichen Inhalte von keinem Staat ernsthaft infrage gestellt werden.

Das Seerechtsregime gewinnt zusätzlich Struktur durch den Seegerichtshof in Hamburg, die Festlandsockelgrenzkommission in New York und die Internationale Meeresbodenbehörde in Kingston, Jamaika. In unserer unruhigen Welt zwischen wirtschaftlicher Globalisierung und fortschreitender Verarmung, zwischen Terrorbedrohungen und Klimaänderung bedeutet es viel, wenn für 71 Prozent der Erdoberfläche klare Regeln für Schifffahrt, Fischfang, Rohstoffnutzung sowie für Meeresforschung und Umweltschutz bestehen.

Im alten Seerecht dominierte der Grundsatz der Freiheit der Meere auf hoher See im Sinne fast grenzenloser Freiheit. Es gab schmale nationale Kontroll- und Ausbeutungsrechte (wie die Drei-Seemeilen-Zone und einen engen Festlandsockel). Spätestens am Beispiel der Streitigkeiten um Fischereirechte wurde damals deutlich, dass die Freiheit zur grenzenlosen Ausbeutung der Meeresschätze eines geordneten Regimes für Erforschung, Nutzung und Schutz bedurfte, die wir heute mit der Vokabel Nachhaltigkeit umschreiben.

So bringt das neue Seerecht eine Neueinteilung der hoheitlichen Meereszonen und dazu eine „geordnete“ Freiheit für die verbleibende hohe See und den Meeresboden jenseits nationaler Zuständigkeitsgrenzen. An der Küste beginnt das zwölf Seemeilen breite Küstenmeer (Hoheitsgewässer), das zum Staatsgebiet gehört. Daran schließt sich die 188 Seemeilen breite Ausschließliche Wirtschaftszone (AWZ) an, in der Küstenstaaten allein zur Fischerei und zum Abbau der Bodenschätze berechtigt sind, während alle anderen Staaten dort (nur) Verkehrsrechte genießen und mit Genehmigung des Küstenstaats auch Meeresforschung betreiben dürfen. Die unglückliche Formulierung des Artikels 76 SRÜ bringt es mit sich, dass Festlandsockel, die sich weiter als 200 Seemeilen erstrecken (wie vor Argentinien und in der Arktis), in einem besonderen Antragsverfahren den Küstenstaaten bis zur 350-Seemeilen-Linie zur Rohstoffnutzung überlassen werden. Zuständig dafür ist die Festlandsockelgrenzkommission in New York. Sie steht vor der delikaten Aufgabe, vorliegende Anträge einer Gruppe von Staaten zu entscheiden, die sich räumlich maximal ausdehnen möchten.

Abgesehen von diesen Besonderheiten beginnt außerhalb der 200-Seemeilen-Grenzen die hohe See mit dem Recht aller zur gemeinverträglichen Nutzung zum Zweck der Schifffahrt, der Fischerei und der Forschung, allerdings nur für die Meeresoberfläche und für die Wassersäule der Ozeane. Für den Meeresboden der Tiefsee und seine mineralischen Ressourcen ist die Meeresbodenbehörde (MBB) im Auftrag aller Staaten zuständig. Für das Gebiet der Tiefsee – und nur für dieses – gilt das neue Prinzip des Gemeinsamen Erbes der Menschheit (common heritage of mankind). Elisabeth Mann Borgese, die zu den Schöpfern dieses Völkerrechtsprinzips gehört, hat in mare No. 5 das Gemeinsame Erbe vorgestellt.

Der zentrale Gedanke ist, dass die Meeresschätze dieses Gebiets zum Nutzen der gesamten Menschheit, also auch für künftige Generationen, verwaltet, genutzt und geschützt werden müssen im Interesse von Verteilungsgerechtigkeit und Nachhaltigkeit. Es wäre wünschenswert gewesen, das Gemeinsame Erbe auf alle Meeresschätze auszudehnen. Aber den Staaten war das Hemd näher als der Rock. Die Internationalisierung der Tiefsee unter dem Dach der MBB war nur zu erreichen, wenn den Küstenstaaten im Gegenzug die rohstoffreichen Wirtschaftszonen zur ausschließlich eigenen Bedienung überlassen wurden.


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mare No. 59

No. 59Dezember 2006 / Januar 2007

Ein Essay von Uwe Jenisch

Uwe Jenisch, Jahrgang 1941, Jurist und Ministerialrat, war Mitglied der deutschen Delegation während der UN-Seerechtskonferenz. Er ist Verfasser zahlreicher Veröffentlichungen zu Meerespolitik und Seerecht. Als Honorarprofessor lehrt er Internationales Seerecht an der Universität Kiel und an der World Maritime University in Malmö. Seinen maritimen Berufsweg begann er auf Handelsschiffen und bei der Marine.

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Vita Uwe Jenisch, Jahrgang 1941, Jurist und Ministerialrat, war Mitglied der deutschen Delegation während der UN-Seerechtskonferenz. Er ist Verfasser zahlreicher Veröffentlichungen zu Meerespolitik und Seerecht. Als Honorarprofessor lehrt er Internationales Seerecht an der Universität Kiel und an der World Maritime University in Malmö. Seinen maritimen Berufsweg begann er auf Handelsschiffen und bei der Marine.
Person Ein Essay von Uwe Jenisch
Vita Uwe Jenisch, Jahrgang 1941, Jurist und Ministerialrat, war Mitglied der deutschen Delegation während der UN-Seerechtskonferenz. Er ist Verfasser zahlreicher Veröffentlichungen zu Meerespolitik und Seerecht. Als Honorarprofessor lehrt er Internationales Seerecht an der Universität Kiel und an der World Maritime University in Malmö. Seinen maritimen Berufsweg begann er auf Handelsschiffen und bei der Marine.
Person Ein Essay von Uwe Jenisch