Das teleportierte Schiff

Moderner Mythos: Hat die US Navy tatsächlich in den 1940er-Jahren mit einer Geheimtechnologie ein Schiff weggebeamt?

Morris K. Kessup (1900 bis 1959) ist ein amerikanischer Astronom und Autor, der sein Geld jedoch mit dem Verkauf von Autoersatzteilen verdient. Seine große Leidenschaft sind die damals aktuellen UFO-Sichtungen, über die er 1955 das Buch „The Case for the UFO“ veröffentlicht. Weitere Bücher zum Thema folgen, in denen Jessup Thesen Erich von Dänikens vorwegnimmt. Ein Ufologe und Präastronautiker der ersten Stunde also, der umgehend mit seinem Werk auf Lesereise geht. Während dieser Reise erhält er Post von einem gewissen Carlos Miguel Allende (1925 bis wahrscheinlich 1994), der in Wahrheit Carl Meredith Allen heißt und gern Pseudonyme verwendet.

Von Juli 1942 bis Mai 1943 dient jener Allen als Matrose in der Navy und geht später für einige Jahre zur Handelsmarine. Über sein Leben ist wenig bekannt. Er bricht den Kontakt zu seiner Familie ab und wechselt häufig seinen Wohnsitz. Freunde scheint er keine zu haben. Ein Mann, der kaum Spuren hinterlassen hat, nicht einmal sein Sterbedatum kennt man.

Dennoch hat er der Welt etwas hinterlassen: nämlich mindestens acht Briefe, die er an den Ufologen Jessup im Mai 1956 schickt. Auch Allen hat etwas Außergewöhnliches und Unfassbares zu berichten. Während seiner Zeit als Seemann, schreibt er, habe er im Marinehafen von Philadelphia geheimen militärischen Experimenten beigewohnt. Er sei an Bord der „SS Andrew Furuseth“ gewesen und habe beobachtet, wie der gegenüberliegende werftneue Geleitzerstörer „USS Eldridge“ im Oktober 1943 vor seinen Augen unsichtbar geworden sei. Und nicht nur das: Der Zerstörer sei für kurze Zeit sogar teleportiert worden.

„Das Experimentalschiff verschwand von seinem Liegeplatz und erschien einige Minuten später an seinem anderen Liegeplatz in Norfolk.“ Kurz darauf sei das Schiff wieder im rund 400 Kilometer entfernten Hafen von Philadelphia erschienen. Nur wenige Crewmitglieder hätten das Experiment überlebt, schreibt Allen dem Ufologen. Viele seien verrückt geworden, andere spontan in Flammen aufgegangen; wieder andere „gefroren in der Zeit“, blieben unbeweglich, erwachten erst nach Wochen oder Monaten. Nach der Teleportation seien einige Crewmitglieder sogar mit dem Stahl des Schiffes verschmolzen.

Auch mit dem Grund für die Experimente befasst sich Allen, bleibt aber unbestimmt. Er bringt Albert Einstein und dessen Versuche ins Spiel, die Weltformel zu finden, also die Zusammenführung von Gravitationstheorie und Quantenphysik. Oder ging es darum, Schiffe für feindliches Radar unsichtbar zu machen? Festlegen will er sich nicht.

Allens Briefe kursieren lange Zeit nur in Ufologenkreisen, die an Vertuschung glauben und Verschwörungstheorien entwickeln. Wieder einmal will der Staat alles geheim gehalten haben.

Schließlich stößt Charles Berlitz (1914 bis 2003) auf Allen und veröffentlicht 1979 zusammen mit William L. Moore das Buch „Das Philadelphia-Experiment“. Auch Berlitz ist Ufologe und schreibt über Atlantis, das Bermudadreieck und andere rätselhafte Orte und Phänomene. Er gibt dem von Allen geschilderten Ereignis seinen Namen und macht es populär. Selbstverständlich ist er davon überzeugt, dass Allen ein zuverlässiger Augenzeuge ist und sich alles tatsächlich zugetragen hat. Das Buch wird ein Bestseller und inspiriert den amerikanischen Regisseur und Produzenten John Carpenter zu dem Film „Das Philadelphia-Experiment“, der 1984 in die Kinos kommt.

Wer sich ernsthaft mit dem Phänomen befasst, kommt schnell zu dem Schluss, es mit einem der vielen modernen Mythen zu tun zu haben. Außer Allen gibt es nämlich keine Zeugen, obwohl im Hafen von Philadelphia zum Zeitpunkt der Ereignisse viele Schiffe lagen und Soldaten und Offiziere Dienst taten. Namens- und Mannschaftslisten liegen vor, sogar William S. Dodge, der Kapitän der „SS Andrew Furuseth“, wurde befragt. Dodge konnte schon allein deswegen nichts über die angeblichen Experimente sagen, da sein Schiff im Oktober gar nicht in Philadelphia lag, sondern in Newport News im Dock.

Die „USS Eldridge“ wiederum hat Philadelphia am 17. August 1943 verlassen, New York angelaufen und von dort aus Geleitzüge begleitet. Mit anderen Worten: Beide Schiffe sind sich im Oktober 1943 nicht begegnet, und die „USS Eldridge“ war zum Zeitpunkt der angeblichen Experimente auf dem Atlantik unterwegs. Das belegen Logbücher und Aussagen der Mannschaft. Kein Wunder, dass niemand Allens Behauptungen bestätigt hat. Nebenbei: Auch Allen wäre demnach im Oktober gar nicht in Philadelphia gewesen.


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mare No. 124

No.124Oktober / November 2017

Von Bernd Flessner

Bernd Flessner, geboren 1957 und aufgewachsen in Ostfriesland, arbeitet als Zukunftsforscher an der Universität Erlangen sowie als Wissenschaftsjournalist.

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Vita Bernd Flessner, geboren 1957 und aufgewachsen in Ostfriesland, arbeitet als Zukunftsforscher an der Universität Erlangen sowie als Wissenschaftsjournalist.
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