Das Steppenschiff

Heimwerkers Traum: Ein Mann geht mit dem selbst gebauten U-Boot auf Tauchstation

„Das ist wie ein U-Boot in der ukrainischen Steppe.“
Redewendung im Russischen, die Unmögliches beschreibt

So sieht sie aus, die Steppe: weithin Gras, begrenzt von Bäumen im Spalier – eine hölzerne Garde, die Äste erhoben zum Habacht: bis hierher und nicht weiter! Doch dann wieder Gras, wieder Bäume, Gras, Bäume. Ein Tümpel vielleicht noch, ein Teich, ein See. Dazu der Wind, der hier nicht einfach nur weht. Der säuselt oder rumpelt, der zischt oder pfeift, der raunt, grollt, wirbelt oder streichelt. „Er lüftelt“, sagen sie auch. Steppenwind.

Und Dörfer. Im Schnittpunkt von Asphalt, Kies und verbrannten Wegen. Die Ortsmarken aus Kuhfladen und Hufabdrücken. Am Rand die Katen der Verwilderten, der Säufer. Die den Fremden nicht ins Haus lassen, aus Scham, doch die den Wodka über den Zaun reichen, auf die Freundschaft. Häuser aus Lehm und Stroh, aus denen gleich der blonde Iwan tritt, bereit, die Hexe Babajaga zu bezwingen. Häuser aus Ziegel und Blech mit ein paar Krümeln eigener Erde hinterm Maschendraht. Im Hof scharrt und grunzt und wiederkäut das Vieh, die Wehr gegen schlechte Zeiten. Schwarte schläft an Unterhose, getrennt durch eine dünne Wand aus Lehm, „die Schweine furzen uns in die Träume“, sagen sie in Jewgenjiwka.

Das Dorf: Am Morgen binden die Frauen die Kopftücher zum Melken, die Kinder gehen zur Schule und nach Zigaretten und Wodka für die Väter. Die Männer krümmen sich vor den Eggen, die Brust knapp über der Furche. Das Land greift nach den Menschen, kein Ort für Datschen.

Ein Haus für den Herrn, Gott empfängt wieder in kleinen Palästen aus hell getünchtem Stein. Das Kulturhaus mit vergittertem Fenster zur Bibliothek. Das Bürgermeisteramt mit Plumpsklo über die Wiese. Das Kriegerdenkmal, zu Granit verhärteter Ruhm, vor dem die Greise weinen und die Jungen kichern. Der Laden mit Pappbechern und Speck an der Kasse, nur ein Wässerchen auf den Weg, Natascha. Der Friedhof weit vorm Ort, die nächste Stadt ist die Fremde.

Aus solcher Gegend kamen sie, fünf Freunde. Einander halfen sie in die Schutzanzüge und über die Sturmbahn, sie packten den Taumelnden unter die Achseln, den Zögerlichen schubsten sie über den Graben. Gemeinsam putzten sie die Kalaschnikows, auch die der „Großväterchen“, der Altgedienten; deren Essgeschirr dazu und deren Stiefel und Kloschüsseln und Ruhmeszeichen. Sie waren eins in Drill und Demütigung.

Am Abend saßen sie am Meer, im Widerschein der Schiffe und der Selbstgedrehten – jeder Zug ein Schwur, eine glühende Verheißung: Ein Boot wollten sie bauen, eines wie nirgendwo, eines von ihnen. Ein U-Boot. Sie bastelten Atemgeräte aus Gasmasken, Harpunen aus Kochkellen, fassten einander bei den Händen. Sie ritzten Anker und Ring auf die Haut. Anker und Ring, das Siegel ihrer Träume.

Zwei hat der Suff geholt, einen ein alltäglicher Tod, der Vierte ging irgendwie verloren, auch das Fernsprechbuch gibt ihn nicht her. Der Fünfte ist Wladimir Andrejewitsch Pilipenko.

Wladimir Pilipenko jagt die Katze vom Ballasttank, haut dem Hund auf die Schnauze, der vorwitzig auf der Luke schnüffelt. Er pickt einen Strohhalm aus dem Reifen, mit der Hand, an der die Tätowierung wirkt wie eben gestochen. „Natürlich hätte ich auch mein Leben lang im Park spazieren gehen können“, sagt er und hält den Kopf, als sei das tatsächlich eine erwägenswerte Sache. „Hat doch auch seinen praktischen Wert für die Seele.“ Dann lacht er, der Mund veredelt von stumpfem Gold. „Na ja“, sagt er noch und streichelt das grünliche, monströse Insekt an seiner Seite.

Das sieht aus wie ein Irrtum der automobilen Entwicklung, ein Scherz der technischen Evolution. Man könnte es sich als den Versuch eines VW Käfers denken, der vier Räder und der ähnlichen Karosserie wegen. Doch wenn man daran klopft, stößt man auf dickwandigen Stahl, auf richtige Bullaugen, auch die Luke ist echt. Es ist ein U-Boot. Pilipenkos U-Boot.


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mare No. 35

No. 35Dezember 2002 / Januar 2003

Von Maik Brandenburg und Andrew Testa

mare-Redakteur Maik Brandenburg, Jahrgang 1962, wäre gern mitgetaucht. Doch beim Tauchgang – ohne ihn – brachen ein paar Leitungen, und neue würden erst in einigen Wochen besorgt sein.

Der englische Fotograf Andrew Testa, geboren 1965, ist mehrfacher Gewinner des World Press Photo Award. Obwohl weit herumgekommen, war die Fahrt mit dem U-Boot über Land seine bislang seltsamste Fortbewegungsart.

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Vita mare-Redakteur Maik Brandenburg, Jahrgang 1962, wäre gern mitgetaucht. Doch beim Tauchgang – ohne ihn – brachen ein paar Leitungen, und neue würden erst in einigen Wochen besorgt sein.

Der englische Fotograf Andrew Testa, geboren 1965, ist mehrfacher Gewinner des World Press Photo Award. Obwohl weit herumgekommen, war die Fahrt mit dem U-Boot über Land seine bislang seltsamste Fortbewegungsart.
Person Von Maik Brandenburg und Andrew Testa
Vita mare-Redakteur Maik Brandenburg, Jahrgang 1962, wäre gern mitgetaucht. Doch beim Tauchgang – ohne ihn – brachen ein paar Leitungen, und neue würden erst in einigen Wochen besorgt sein.

Der englische Fotograf Andrew Testa, geboren 1965, ist mehrfacher Gewinner des World Press Photo Award. Obwohl weit herumgekommen, war die Fahrt mit dem U-Boot über Land seine bislang seltsamste Fortbewegungsart.
Person Von Maik Brandenburg und Andrew Testa