Das Rätsel von Position 157/337

Sie war eine amerikanische Flugpionierin, Vorkämpferin für Frauenrechte und schillernde Persönlichkeit. Ihr Ende war tragisch

Auf einmal waren sie weg. Das Flugzeug, die zweimotorige Lockheed Electra, die weltberühmte Pilotin Amelia Earhart und ihr Navigator Fred Noonan. 2. Juli 1937, morgens. Es gab keine Verbindung mehr.

Die vorletzte gesicherte Nachricht, die überliefert ist, lautete: „Wir müssen über euch sein, können euch aber nicht sehen. Treibstoff ist knapp. Flughöhe 350 Meter. Können euch über Funk nicht erreichen.“ Der letzte Funkspruch: „Wir sind auf der Positionslinie 157/337. Wir fliegen Nord–Süd.“ Dann kam aus dem Funkgerät nur Krächzen. 8.43 Uhr Ortszeit.

Auf dem Meer bei der Howlandinsel wartete die „Itasca“, ein Patrouillenboot der US-Küstenwache, wie verab­redet auf Nachrichten Earharts. Funkpeilung sollte es der Electra ermöglichen, die Howlandinsel zu finden, ein winziges Eiland im Pazifik, nahe am Äquator, 3000 Kilometer von Hawaii und 4200 Kilometer von Neuguinea entfernt. Von dort waren Earhart und Noonan losgeflogen über das schier endlose Meer, es sollten die letzten Etappen bei der Umrundung der Welt per Flugzeug sein, zu der sie einen Monat vorher von Miami aus Richtung Osten aufgebrochen waren. 38 000 Kilometer hatte die Electra hinter sich.

Die Howlandinsel ist nicht einmal zwei Quadratkilometer groß, bietet aber gute Landebedingungen. Ein Empfangskomitee stand bereit, Betten ebenfalls. Der Himmel war bewölkt, die Sicht schlecht. Die Funker der „Itasca“ konnten Earhart hören. Das Schiff sendete Rauchsignale. Vergebens.

Es gibt viele Theorien, was an diesem Tag alles schiefgegangen ist. Wahrscheinlich war die Lage der Insel in den Karten falsch, die gemeldete Position des Flugzeugs ebenfalls. Womöglich nutzten der Navigator Noonan und die Funker der „Itasca“ unterschiedliche Zeiten. Sicher ist, dass die Funksysteme nicht aufeinander abgestimmt waren. „Wir fliegen Nord–Süd.“ Damit begann eine Suche, die bis heute anhält. Irgendwo im Meer ist die Electra, irgendwo sind Earhart und Noonan abgestürzt oder gelandet. Vielleicht auch auf Land.

Die „Itasca“ war das erste Schiff, das sich aufmachte, etwa eine Stunde nach dem letzten Funkspruch. Das erste Ziel war die Linie 157/337. Die „Itasca“ suchte von dort in nordöstlicher Richtung, weitete das Feld dann aus. Denn der Funk auf Earharts Sendefrequenz 6210 Kilohertz blieb nicht ganz stumm. In den folgenden Tagen kamen immer wieder Notfunksprüche durch. Die „New York Times“ konnte schon am 3. Juli berichten, dass zwei Amateurfunker in Los Angeles schwache Signale empfangen hatten. Allerdings ist ganz unklar, ob es tatsächlich Earhart oder Noonan waren, die funkten. Weil Funker immer wieder versuchten, die Verschollenen zu erreichen, kam es zu Konfusionen – und damit zu mehr Zweifeln.

Amelia Earhart war ein Star in den USA, „Queen of the Air“. Eine Abenteurerin und Feministin, Rollenmodell der selbstbewussten Frau der späten 1920er- und 1930er-Jahre. Geboren wurde sie 1897 in Kansas, schon als Kind war Amelia burschikos. Ihr Vater war Alkoholiker, die meiste Zeit verbrachte sie bei der Großmutter. Während des Ersten Weltkriegs betreute sie als Krankenschwester in Toronto Soldaten, ein Medizinstudium in New York brach sie bald ab. 1920 dann der erste Flug als Passagierin, zehn Minuten lang und etwa 90 Meter hoch. Danach wollte sie unbedingt Pilotin werden. Trotz aller Widerstände und der der Weigerung der Eltern, einen Pilotenschein zu finanzieren, setzte sie sich durch. Im Oktober 1922 stellte sie mit ihrer gelben Kinner Airster, genannt „Der Kanarienvogel“, bereits einen Höhenrekord auf. Nie zuvor war eine Pilotin 4300 Meter hoch geflogen.

1928 flog Earhart als Begleiterin eines Piloten über den Atlantik und hielt anschließend umjubelte Vorträge. Ihr Leben lang variierte sie Sätze wie diesen: „Frauen müssen Dinge genauso versuchen, wie es Männer getan haben.“ Man dürfe sich nicht mit Hinweis auf das weibliche Geschlecht vor einer Herausforderung drücken. Darin lag ihre Kraft, und alles andere musste sich diesem unermüdlichen Eifer unterordnen, auch der Ehemann, der New Yorker Verleger George Putnam, den sie 1931 nur halb überzeugt heiratete. Kinder waren nicht geplant.

Ein halbes Jahr nach der Hochzeit, am 20. Mai 1932, startete Amelia Earhart morgens von Neufundland aus Richtung Osten nach Europa. Sie nahm eine aktuelle Zeitung mit, um ihr Abflugdatum beweisen zu können. Die Lockheed Vega 5B war eine einmotorige Maschine. Es kam zu mechanischen Problemen, die Luft war eisig, nach 14 Stunden und 56 Minuten musste Earhart statt in Paris in Derry, Irland, landen. Ein Landarbeiter fragte, woher sie geflogen sei. Earharts Antwort: „From America.“

Dies ist ein Auszug aus dem Text. Den ganzen Beitrag lesen Sie in mare No. 116. Abonnentinnen und Abonnenten lesen ihn auch hier im mare Archiv.

mare No. 116

No. 116Juni / Juli 2016

Von Holger Kreitling

Holger Kreitling ist Redakteur der Berliner Tageszeitung Die Welt. Bei der Suche nach Material kam ihm der alte Traum in den Sinn, einmal von Papua oder Australien aus Richtung Osten zu fahren: der weiteste Weg übers Meer, der sich von Westen aus denken lässt.

Mehr Informationen
Vita Holger Kreitling ist Redakteur der Berliner Tageszeitung Die Welt. Bei der Suche nach Material kam ihm der alte Traum in den Sinn, einmal von Papua oder Australien aus Richtung Osten zu fahren: der weiteste Weg übers Meer, der sich von Westen aus denken lässt.
Person Von Holger Kreitling
Vita Holger Kreitling ist Redakteur der Berliner Tageszeitung Die Welt. Bei der Suche nach Material kam ihm der alte Traum in den Sinn, einmal von Papua oder Australien aus Richtung Osten zu fahren: der weiteste Weg übers Meer, der sich von Westen aus denken lässt.
Person Von Holger Kreitling