Das Rätsel der Menopause

Orcas stellen ein Prinzip der Evolution auf den Kopf: Bei kaum einer anderen Tierart leben die Weibchen Jahrzehnte weiter, nachdem sie ihr letztes Junges geboren und ihre Fruchtbarkeit eingebüßt haben. Nur der Mensch kennt außer ihnen die Menopause

Als Granny geboren wurde, erwartete die Welt noch in stolzer Vorfreude die Jungfernfahrt der „Titanic“, und der später weltberühmte Meeresforscher Jacques-Yves Cousteau lernte gerade sprechen. Ein halbes Jahrhundert später überstand Granny eine kurze Gefangenschaft, die in einem Meerespark hätte enden können. Doch weil das Orcaweibchen schon damals als alt galt, durfte es bald zurück in den Pazifik. Dort verstand es Granny wie kaum ein anderer Schwertwal, sich durchs Leben zu schlagen und ihre Gemeinschaft anzuleiten. Die alte Dame wusste immer, wo noch ein Lachs zu fangen war. Und hielt sich ein jüngeres Mitglied der Gruppe nicht an ihre Richtungsvorgaben, rief die Alte es mit energischen Flossenschlägen zur Ordnung.

Seit Ende 2016 aber muss Grannys Gruppe ohne ihre Anführerin auskommen. Mit geschätzten 105 Jahren starb das Orcaweibchen. Von keinem anderen Schwertwal ist ein so hohes Alter bekannt.

Viele Details aus Grannys gut 100-jährigem Leben werden für immer ein Geheimnis bleiben. Dabei befand sich das Weibchen in seiner zweiten Lebenshälfte unter steter Beobachtung des Center for Whale Research. Dessen Mitarbeiter erforschen seit mehr als 40 Jahren die Orcas im Nordwesten der USA und Kanada. Doch zu Grannys Familienleben kann der britische Verhaltensbiologe Darren Croft nur so viel sagen: „In den vergangenen mehr als 40 Jahren unserer Studie hat sie kein Kalb mehr geboren.“

Angenommen, dass davor alles seinen üblichen Gang nahm, dürfte Granny ihr erstes Junges mit etwa 15 Jahren bekommen haben, danach vielleicht noch vier weitere, bis mit etwa 40 Jahren ihre Menopause einsetzte und sechs Jahrzehnte als Großmutter folgten.

Verglichen mit dem Rest des Tierreichs, wirkt diese Biografie bizarr. Bei kaum einer anderen Tierart leben die Weibchen noch Jahrzehnte weiter, nachdem sie ihr letztes Junges zur Welt gebracht und ihre Fruchtbarkeit eingebüßt haben. Nur von Orcas und Kurzflossen-Grindwalen ist eine derart ausgeprägte Lebensphase jenseits der Menopause bekannt. Und von einer dritten Spezies: dem Menschen. Selbst in ursprünglichen menschlichen Gesellschaften mit wenig medizinischer Versorgung gebären die meisten Frauen ihr letztes Kind mit Ende 30 und leben nach Beginn der Menopause noch zehn oder mehr Jahre.

Doch wie lässt sich die lange Lebensspanne jenseits der Menopause erklären? Schließlich widerspricht das einem Prinzip der Evolution, das besagt: Kannst du keine Nachkommen mehr bekommen und auf diese Weise dem Erhalt deiner Art dienen, hast du im Leben nichts mehr verloren. Willst du aber alt werden, musst du Nachwuchs bekommen bis zum Schluss.

Des Menschen nächster Verwandter zum Beispiel passt sich dieser Vorgabe an. Zwar werden auch Schimpansenweibchen mit dem Alter steif und gebrechlich. Fruchtbar aber bleiben sie bis zu ihrem Tod, der meist vor dem 45. Lebensjahr eintritt. Elefanten bringen noch jenseits der 60 Kälber zur Welt, Finnwale sogar noch mit 90 Jahren. Menopause? Kennen die meisten Spezies nicht.

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mare No. 143

mare No. 143Dezember 2020 / Januar 2021

Von Katrin Blawat

Die Biologin Katrin Blawat, Jahrgang 1982, lebt als freie Wissenschaftsjournalistin in München und schreibt am „liebsten über alles, was lebt“. Bis zur Recherche für diese Geschichte war ihr nicht klar, wie nah sich Mensch und Orca in entscheidenden Aspekten ihrer Lebensführung stehen.

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Vita Die Biologin Katrin Blawat, Jahrgang 1982, lebt als freie Wissenschaftsjournalistin in München und schreibt am „liebsten über alles, was lebt“. Bis zur Recherche für diese Geschichte war ihr nicht klar, wie nah sich Mensch und Orca in entscheidenden Aspekten ihrer Lebensführung stehen.
Person Von Katrin Blawat
Vita Die Biologin Katrin Blawat, Jahrgang 1982, lebt als freie Wissenschaftsjournalistin in München und schreibt am „liebsten über alles, was lebt“. Bis zur Recherche für diese Geschichte war ihr nicht klar, wie nah sich Mensch und Orca in entscheidenden Aspekten ihrer Lebensführung stehen.
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