Das lange Warten auf den Weissen Hummer

Kleine Beutel mit Kokain, die das Meer regelmäßig anspült, aus der Konterbande von Schmugglern stellen ein Fischerdorf an Nicaraguas Karibikküste auf den Kopf

Wenn Alfredo Carlos García in sein Boot steigt, nimmt er die Träume der Nacht mit. Es ist fünf Uhr morgens, die Luft hängt schwer und feucht über der Perlenlagune. Kein Wind, Moskitos stechen. Es riecht nach Meer, Shrimps und fauligem Holz. Ein Kormoran beobachtet neugierig das kleine Boot. Gleich beginnt der Tag. Hoffentlich ist er besser als die vergangenen. Es ist Shrimpssaison, aber seit Tagen verbuddeln sich die Krabben im Schlick der Lagune. Keine Shrimps bedeutet: nichts zu essen, nichts zu verkaufen. Alfredo steckt sich eine Zigarette in den Mund, schiebt sie von einem Winkel in den anderen. Dann lässt er den Motor an.

Alfredo ist nicht allein. Im aufkommenden Tag knattern Dutzende von Booten, ein halbnackter Paddler im Bug, ein anderer im Heck. Freunde, Bekannte, Familie, alles Fischer, wie er selbst. Alfredo Carlos García ist 48 Jahre alt, hat fünf Kinder von drei verschiedenen Frauen und den Händedruck eines Kirmesboxers. Wie alle hier träumt er nur einen Traum. Er handelt von Reichtum und Sorglosigkeit, angeschwemmt in weißen Plastiktüten, gut verschweißt in Portionen von jeweils einem Kilo. Sie nennen den Inhalt den Weißen Hummer, das Weiße Glück oder einfach nur das Weiße Zeug: Kokain. Der Stoff ist ihr Ticket in ein Leben, in dem sie nicht mehr fischen müssen, um zu überleben. Ein Leben mit Fernsehapparaten, Kühlschränken, Steinhäusern oder Motorrollern. Da draußen auf dem Meer schwimmt ein Versprechen.

Alfredo Carlos García ist Präsident der Fischerkooperative von Tasbapauni, einem kleinen Dorf an der entlegenen Ostküste Nicaraguas, 80 Kilometer oder zwei Stunden in einem Schnellboot von der Zivilisation entfernt. Auf dem Weg dorthin lugt nur hin und wieder ein Wellblech aus dem endlosen Grün der Mangroven, Palmen, Gräser. 2000 Menschen sollen hier leben, genau weiß das niemand. Das Dorf hat acht Kirchen, eine Schule, einen Arzt, einen Baseballplatz und ein Telefon, dazwischen Bretterbuden, vom Wind krumm geweht, auf einem Landstreifen, nicht breiter als 150 Meter. Die Menschen hier leben vom Meer – man sieht es dem Dorf an: Netze, zum Flicken zwischen Palmen aufgespannt, Schildkrötenpanzer und Shrimps auf Bastmatten trocknen in der Sonne. Hier gibt es keine Straßen und kein fließendes Wasser, Strom erst seit fünf Jahren, täglich zehn Stunden, von zwölf bis 22 Uhr. Drei kleine Krämerläden öffnen und schließen nach Bedarf.

Auf den ersten Blick ist Tasbapauni ein Dorf wie andere an der Karibikküste. Und doch ist da etwas auffällig: Viele Dorfbewohner haben vergoldete Schneidezähne und tragen ihr „bling“ spazieren – schwere Ringe und Uhren aus purem Gold. Die meisten leben in schönen Steinhäusern, deren Fassaden in Pastelltönen gestrichen sind. Auf den Dächern klemmen Satellitenschüsseln. Das war nicht immer so.

Nicaraguas Karibikküste ist das am dünnsten besiedelte und ärmste Gebiet des an sich schon bitterarmen mittelamerikanischen Landes, bewohnt von Miskito-Indianern und den Nachfahren von Sklaven und Meuterern. Die Menschen erwarten nicht viel vom Leben und schon gar nichts von der Regierung in Managua auf der pazifischen Seite des Landes. Sie hoffen auf den Allmächtigen, und der hat sie, so glauben sie, erhört. Seit Menschengedenken gehört das, was das Meer an den Strand spült, dem, der es findet, ob es sich dabei um eine Rumflasche, um Holzplanken oder um Kokain handelt. Die nicaraguanische Regierung sieht das zwar anders. Aber das „stört niemanden wirklich in Tasbapauni“, sagt Alfredo García. Die Hauptstadt Managua ist von der Karibik so weit weg wie die dunkle Seite des Mondes und so beliebt wie Ratten in der Speisekammer.

Alfredo García wirft sein Netz in das seichte Wasser der Perlenlagune und beginnt zu erzählen, wie er vor drei Jahren Zukunft im Meer schwimmen sah. Er war wie jeden Morgen mit sieben anderen hinaus aufs Meer gefahren, um Schildkröten und Hummer zu fischen. „Ich war bettelarm, lebte bei meinen Eltern und hatte nicht einmal ein eigenes Boot. Niemand nahm mich ernst“, sagt er, blickt zum Himmel und schickt rasch ein Stoßgebet hinterher. Das sollte sich an jenem Morgen ändern, denn was da draußen in der Ferne wie der Panzer einer Schildkröte schimmerte, entpuppte sich als ein Sack Kokain. 45 Kilo. Die Fischer jubelten, lagen sich in den Armen. Und Alfredo wusste, dass er sich bald ein eigenes Haus würde bauen können.

Im Dorf warteten schon die Mittelsmänner der Drogenkartelle, er verkaufte ihnen den Fang für 150 000 Dollar. Die Fischer teilten die Beute, Alfredo García blieben 20 000. Von dem Geld kaufte er sich ein Boot und einen Motor und baute sich ein kleines Haus am Strand. „Das Weiße Zeug ist der einzige Weg, um uns aus der Armut zu befreien“, sagt Alfredo. Ohne den Weißen Hummer wäre er kein angesehener Bürger im Dorf, Tasbapauni hätte keinen Strom, keinen Baseballplatz, keinen Arzt, und telefonieren könnte man auch nicht. „Die Regierung tut nichts für uns“, sagt er, und auf die Gringos, die US-Amerikaner, die die Küste bewachen, ist er ebenfalls nicht gut zu sprechen. Nur noch selten treiben Kokainpakete im Meer. Immer häufiger nehmen die Schmuggler wegen der verschärften Kontrollen neue Routen im Landesinneren.


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mare No. 78

No. 78Februar / März 2010

Von Carsten Stormer und Jodi Bieber

Carsten Stormer, Jahrgang 1973, ist Asienkorrespondent der Reportageagentur Zeitenspiegel und lebt in Manila. Während seines Aufenthalts in Tasbapauni wurden keine Drogen angeschwemmt. Dafür gaben ihm die Fischer täglich eine Überdosis Shrimps.

Jodi Bieber lebt in Johannesburg und wurde achtmal mit dem World Press Photo Award ausgezeichnet. In Tasbapauni sah sie sich einer schwierigen Aufgabe ausgesetzt: Wie fotografiert man stilles Hoffen und Warten?

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Vita Carsten Stormer, Jahrgang 1973, ist Asienkorrespondent der Reportageagentur Zeitenspiegel und lebt in Manila. Während seines Aufenthalts in Tasbapauni wurden keine Drogen angeschwemmt. Dafür gaben ihm die Fischer täglich eine Überdosis Shrimps.

Jodi Bieber lebt in Johannesburg und wurde achtmal mit dem World Press Photo Award ausgezeichnet. In Tasbapauni sah sie sich einer schwierigen Aufgabe ausgesetzt: Wie fotografiert man stilles Hoffen und Warten?
Person Von Carsten Stormer und Jodi Bieber
Vita Carsten Stormer, Jahrgang 1973, ist Asienkorrespondent der Reportageagentur Zeitenspiegel und lebt in Manila. Während seines Aufenthalts in Tasbapauni wurden keine Drogen angeschwemmt. Dafür gaben ihm die Fischer täglich eine Überdosis Shrimps.

Jodi Bieber lebt in Johannesburg und wurde achtmal mit dem World Press Photo Award ausgezeichnet. In Tasbapauni sah sie sich einer schwierigen Aufgabe ausgesetzt: Wie fotografiert man stilles Hoffen und Warten?
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