Das Land der Briten mit der Seele suchend

Berühmt machten sie ihre Porträts britischer Punkstars. Aber erst bei Menschen am Strand fand Fotografin Sheila Rock Englands Seele

Meine Familie stammt aus Hawaii, aber ich wurde auf dem Festland geboren, in Chicago. Meine Eltern wollten erfolgreich sein, ohne aufzufallen, der normale amerikanische Traum. Ich hatte immer den Wunsch, nicht so zu leben wie sie. Amerika ist ein großartiges Land, aber es gibt zu viele Konventionen. Großbritannien war eine Offenbarung für mich, als ich dorthin ging, um zu studieren. Die Engländer denken unabhängig, erschaffen Dinge aus dem Nichts. Dem Geist des Punk habe ich letztlich meine Karriere als Fotografin zu verdanken. Ich hatte eine kleine Kamera, ging auf Konzerte, hing mit den Leuten herum, stand neben diesem oder jenem und sagte: Kann ich mal ein Bild machen? Es gab keinen Plan, keine Marketingstrategie, niemand hatte Geld oder PR-Leute. Zehn Jahre habe ich nur Punk- und Rockmusiker fotografiert, später klassische Künstler für das Royal Opera House, außerdem Werbung und Mode. Wenn man als erfolgreiche Auftragsfotografin arbeitet, denkt man nicht viel über das nach, was man tut. Man macht vieles sehr routiniert, ich konnte das nicht mehr genießen.

Meine frühen Punkbilder zeigen viel von dem britischen Geist, der mich anfangs inspiriert hat. Dieses Ungefilterte, Rohe fand ich wieder, als ich begann, Menschen an der britischen Küste zu fotografieren. Ein Freund von mir lebt 45 Minuten vom Meer entfernt. Ich hatte gerade nichts zu tun und beschloss, in seinem Cottage zu bleiben und Landschaften zu fotografieren. Das hatte ich noch nie gemacht. So hat es angefangen. Doch bald wollte ich eine andere Dimension in die Bilder bringen, sie sollten emotionaler werden. Deswegen begann ich mit Film und Großbild zu arbeiten und Menschen zu porträtieren. Ich verbrachte eine Woche in Blackpool, fuhr an die Küste von Lancashire. Ich las Bücher wie „The Kingdom by the Sea“ von Paul Theroux und dachte: was für eine wundervolle Idee, dieses Land entlang der Küste zu bereisen. Einige meiner Jobs brachten mich ohnehin dorthin, es schien wie eine Art Bestimmung.

Ich hatte traumhafte Vorstellungen, hoffte auf leicht bekleidete Menschen am Strand, doch oft kam es ganz anders: schrecklichstes Essen, die Strände riesig, aber verlassen, man musste Anorak tragen und Pullover, der Wind war eiskalt, und das im August! Das Wetter ist in England bekanntermaßen eine Zumutung. Aber auch das Unberechenbare war eine neue, wichtige Erfahrung für mich. Ich fuhr die ganze Küste ab, kam an Orte, die ich sonst nie kennengelernt hätte. Es ist faszinierend, wie unterschiedlich diese Insel sein kann. In Essex, das sehr nahe an London ist, sehen fast alle Männer aus wie David Beckham. Sie sind trainiert, gut aussehend, wirken fast ein wenig nordisch. Die Menschen in Cornwall sind klein, dunkelhaarig, eher wie Portugiesen. In Weymouth, einer mittelständisch geprägten Gegend mit wunderschöner Architektur, gab es kaum Leute, die ich fotografieren wollte. Ihre Gesichter waren nichtssagend. In abgelegeneren Gegenden, wie der Isle of Sheppey, fand ich Typen, die aussahen wie aus den Büchern von Diane Arbus.

Ich lernte, dass es am besten ist, an Feiertagen loszuziehen, fast alle Briten fahren dann an die Küste, auch wenn es regnet. Ich begann zu begreifen, dass die weniger betuchten Menschen mehr in ihren Gesichtern tragen. Sie hatten auch mehr Spaß. In Leysdown-on-Sea wurde im Pub Karaoke gesungen, Frauen und Männer unterschiedlichsten Alters tanzten auf den Tischen. Pound Shops und Imbissbuden säumen dort die Straßen, viele leben in Caravansiedlungen. Echte britische Unterschicht, aber mit einer großen Lebensfreude.


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mare No. 125

No. 125Dezember 2017 / Januar 2018

Von Sheila Rock und Martina Wimmer

Als mare-Redakteurin Martina Wimmer Sheila Rock in London besuchte, saß die Fotografin schon auf gepackten Kisten. Und ahnte, was sie in Zukunft am meisten vermissen würde: den zauberhaften Garten, der in ihrem Hinterhof blühte.

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Person Von Sheila Rock und Martina Wimmer
Vita Als mare-Redakteurin Martina Wimmer Sheila Rock in London besuchte, saß die Fotografin schon auf gepackten Kisten. Und ahnte, was sie in Zukunft am meisten vermissen würde: den zauberhaften Garten, der in ihrem Hinterhof blühte.
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