Das Gerät des Mr. Irwin

Ein Brite will 1763 das Längengradproblem lösen – mit einem Stuhl

Man schrieb das Jahr 1759. Seit drei Jahren tobte der – später als der „Siebenjährige“ bezeichnete – Krieg zwischen Großbritannien mit dem Verbündeten Preußen und den Alliierten Habsburg, Frankreich, Russ­land und Schweden um die Vorherrschaft in Europa und in den Kolonien in Nord­amerika. Da die Kämpfe auf fast allen Kontinenten – in Nordamerika, Europa, Indien und Südost­asien – stattfanden, war es in Grunde genommen der erste Weltkrieg.

Der Inselstaat England führte den Krieg vor allem als Seekrieg. Allerdings hatte er schlecht begonnen, da die französische Flotte im Mai 1756 Menorca eingenommen hatte. Der britische Admiral John Byng, der mit seiner Flotte diese Invasion hätte verhindern sollen, wurde wegen Feigheit vor ein Kriegsgericht gestellt, in einem umstrittenen Verfahren zum Tod verurteilt und an Bord seines Flaggschiffs erschossen. Andererseits wurde die französische Invasionsflotte drei Jahre später in der Schlacht von Quiberon vernichtet, wodurch nicht nur die geplante französische Invasion verhindert, sondern auch die britische Seehoheit in europäischen Gewässern gesichert war.

Für die britische Flotte und ihre Schiffe, die in Übersee operierten und auch in europäischen Gewässern sich weit überwiegend auf See befanden, war neben überragender Kampfstärke vor allem eines von Bedeutung: die Kenntnis, wo sich das Schiff befindet, also seine geografische Position. Eine relativ genaue Breiten­bestimmung war zwar – mithilfe von Quadran­ten, dann Astrolabien, Jakobs­stäben und Davisquadranten, schließlich Sextanten – seit mindestens zwei Jahrhunderten möglich. Für die genaue Posi­tion auf der Seekarte war aber zusätzlich eine Län­genangabe nötig, die bis weit ins 18. Jahrhundert nur durch Gissung – die Koppelrechnung aus gesegeltem Kurs und zurückgelegter Distanz – ermittelt werden konnte. Da die geografische Länge einfach definiert ist als der Zeitunterschied zwischen dem Ortsmeridian und einem ­

Ursprungsmeridian (vereinbart seit 1884, verbindlich seit 1913 der Meridian von Greenwich), war die Lösung theoretisch einfach: Man musste nur die Zeit am Referenzmeridian kennen und mit der lokalen Zeit vergleichen, voilà – die Länge.

Die zu finden war Europas Herrschern eine Menge Geld wert. In Spanien setzte Philipp II. 1598 einen Preis aus, die kühl rechnenden holländischen Generalstaaten lobten schon 1600 für die Lösung des Längenproblems 30 000 Florin aus, und 1714 erließ Queen Anne kurz vor ihrem Tod noch das nach ihr benannte Gesetz, das einen Höchstbetrag von 20 000 Pfund für eine brauchbare Lösung versprach. Die Aussicht auf einen solch enormen Betrag, der heute nominell drei Millionen Pfund Sterling entspräche, führte schon bald in ganz Europa zu einer Flut von – oft nicht neuen, zumeist aber unbrauchbaren – Lösungsvorschlägen.

Theoretisch war die Kenntnis der Zeit am Referenzmeridian in zweierlei Weise zu erlangen. Man konnte sie einfach mitnehmen, indem man eine Uhr mit der Referenzzeit mitnahm (diesen Uhrentransport hatte schon Gemma Frisius 1530 vorgeschlagen, als es seit wenigen Jahren tragbare Uhren gab, die allerdings noch mehrere Jahrhunderte lang nicht genau genug gingen) oder man konnte einen Himmelskörper lokal beobachten, dessen Bewegung und zeitgenaue Position am Himmel man für den Referenzort aus astronomischen Almanachen entnehmen konnte. Besonders geeignet dafür war – wegen seiner schnellen Bewegung am Fixsternhimmel (ein halber Grad pro Stunde) – der Mond; Johann Werner hatte schon 1514 eine Längenbestimmung mittels der Beobachtung von Winkelabständen zwischen Mond und bestimmten Sternen vorgeschlagen. Als dann nach der Erfindung des Fernrohrs die Jupitermonde entdeckt wurden, die den Planeten in schöner Regelmäßigkeit – quasi wie von einem Uhrwerk gesteuert – umkreisen, schlug Galileo Galilei im September 1612 vor, die regelmäßigen Bewegungen und Verdunkelungen der Jupitermonde zur Längenbestimmung auf See zu nutzen. 

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mare No. 153

mare No. 153August / September 2022

Von Wolfgang Köberer

Wolfgang Köberer, Jahrgang 1949, arbeitet seit mehr als 30 Jahren als Strafverteidiger in Frankfurt und ­beschäftigt sich ebenso lange mit der Geschichte der ­Navigation. Im Zusammenhang mit einer Recherche zu deutschen Beiträgen zur Lösung des Längen­problems stieß er auf die „Seestühle“, ein wenig ­bekanntes Kapitel in der Geschichte der Geräte für die astronomische Navigation.

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Vita Wolfgang Köberer, Jahrgang 1949, arbeitet seit mehr als 30 Jahren als Strafverteidiger in Frankfurt und ­beschäftigt sich ebenso lange mit der Geschichte der ­Navigation. Im Zusammenhang mit einer Recherche zu deutschen Beiträgen zur Lösung des Längen­problems stieß er auf die „Seestühle“, ein wenig ­bekanntes Kapitel in der Geschichte der Geräte für die astronomische Navigation.
Person Von Wolfgang Köberer
Vita Wolfgang Köberer, Jahrgang 1949, arbeitet seit mehr als 30 Jahren als Strafverteidiger in Frankfurt und ­beschäftigt sich ebenso lange mit der Geschichte der ­Navigation. Im Zusammenhang mit einer Recherche zu deutschen Beiträgen zur Lösung des Längen­problems stieß er auf die „Seestühle“, ein wenig ­bekanntes Kapitel in der Geschichte der Geräte für die astronomische Navigation.
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