Das Atlantis der Leguane

Die berühmten Galápagos-Leguane sind älter als die Inseln selber. Stammten ihre Ahnen aus einem längst versunkenen Reich?

Seit Platon vom sagenhaften, untergegangenen Kontinent Atlantis jenseits der „Säulen des Herakles“ (Felsen von Gibraltar) berichtete, streiten sich die Archäologen und Geowissenschaftler: Wo war dieses einst so mächtige Inselreich, wie konnte es im Meer versinken? Die Fragen sind bis heute ungeklärt.

Dafür haben Geologen und Evolutionsbiologen jetzt ein ganz anderes Atlantis entdeckt: In der Region des im Pazifik gelegenen Galápagos-Archipels muss es bewohnte Inseln gegeben haben, lange bevor die heutigen Vulkane vor weniger als fünf Millionen Jahren aus dem 2000 Meter tiefen Ozean aufstiegen.

Rein zufällig entdeckte Fray Tomás de Berlanga, Bischof von Panama, 1535 die Inselgruppe, als sein Schiff, von starken Winden westwärts getrieben, auf dem Weg von seiner neuen Heimat nach Peru von der geplanten Südroute abkam. Handzahme Finken, riesige Schildkröten und salzspeiende Leguane begrüßten die verirrten Seefahrer, die auf den kargen Eilanden verzweifelt nach Süßwasser suchten. Zwei Männer und zehn Pferde kamen dort ums Leben, der Rest überlebte dank der riesigen Galápagos-Opuntien-Bäume, einer Kakteenart, deren fleischige, wasserspeichernde Blätter die Mannschaft kaute.

Dabei hatten sie noch Glück, überhaupt auf die Inseln gestoßen zu sein, die die Spanier später „Las Encantadas“, die Verwunschenen, nannten, weil sie sich oft hinter dichtem Nebel verbargen, der die Suche nach ihnen vergeblich machte. Heute gehört der Archipel mit seinen 19 Hauptinseln und unzähligen kleineren Vulkanfelsen zum 960 Kilometer entfernten Ecuador, dem nächsten Festland.

Mit dem amerikanischen Kontinent verbunden war es jedoch nie, denn Galápagos entstand über einem sogenannten „hot spot“. Das sind Gebiete im Erdmantel, die hohe Wärmeströmungen aufweisen und manchmal zu einem lokal begrenzten Aufschmelzen der Erdkruste führen. In Ozeanbecken können sich dadurch submarine Vulkane bilden, die später aus dem Meer aufsteigen und zu Inseln heranwachsen.

Bekanntestes Beispiel eines „hot spot“-Inselreichs ist Hawaii mit seinen perlenkettenartig aufgereihten Vulkanen. Die schnurförmige Anordnung rührt daher, dass die Vulkane auf tektonischen Platten aufsitzen, die in immer gleicher Richtung über die darunterliegenden, stationären „hot spots“ hinweg treiben. Einige Platten schaffen dies mit einer Geschwindigkeit von mehreren Millimetern pro Jahr.

Auch in Galápagos liegen die jüngsten Inseln, Fernandina und Isabela, dem „hot spot“ im Westen des Archipels noch am nächsten, während das Inselalter entsprechend der Driftrichtung der ozeanischen Nazca-Platte nach Osten hin zunimmt. So zumindest die Theorie. In Galápagos ist die Situation nämlich etwas komplizierter. Nur wenig nördlich liegt das „Galápagos Spreading Center“, welches die Nazca- und die angrenzende Cocos-Platte auseinander schiebt. Durch diesen zusätzlichen geologischen Einfluss stehen die Verwunschenen Inseln nicht so ordentlich in Reih und Glied zueinander wie in Hawaii.

Aber nicht die überseeischen Vulkane weckten das Interesse einer amerikanischen Forschergruppe, sondern unterseeische Erhebungen im Südosten des Archipels. Von dort beförderten der Geologe Dave Christie und seine Kollegen vor einigen Jahren Gesteinsmaterial ans Tageslicht. Obwohl die Proben aus bis zu 2000 Metern Tiefe stammten, fanden die Geologen Abnutzungserscheinungen, die nur über Wasser entstanden sein konnten. „Die Erhebungen müssen uralte, durch Erosion im Laufe der Erdgeschichte wieder im Meer versunkene Inseln sein“, ist Dave Christie überzeugt. Die erste Spur zum Galápagos-Atlantis war gefunden.

Eine weitere zeigte sich bei molekularbiologischen Untersuchungen von Genen der urtümlichen Galápagos-Leguane. Sie gehören zu den ältesten Wirbeltierformen des Archipels und wollten nie so recht in das Konzept der schnellen Artaufspaltung passen, für die Galápagos – Darwins Labor der Evolutionsforschung – ja so berühmt ist. Lange rätselte man über Verwandtschaftsgrad und Herkunft der beiden nur dort heimischen Gattungen Meerechse und Landleguan. Denn schon früh gab es Hinweise aus immunologischen Daten, dass ihr evolutionäres Alter das geologische Alter der heutigen Inseln weit überschreiten könnte. Diese Vermutung bestätigten vor kurzem Münchener Evolutionsbiologen, die in aufwendigen Genanalysen die Stammesgeschichte aller heute lebenden Leguan-Gattungen rekonstruierten.

Dabei zeigten die beiden Galápagos-Gattungen die meisten molekularen Übereinstimmungen. Meerechse und Landleguan sind demnach Schwestergattungen, die direkt von einem gemeinsamen Vorfahren abstammen. Und dieser Urahne spaltete sich nach den Berechnungen der Forscher vor mindestens zehn Millionen Jahren in die beiden Gattungen auf, zu einer Zeit also, als es Galápagos, so wie wir es kennen, noch gar nicht gab.

Bislang konnte man das Vorkommen solch alter Tiergruppen auf den jungen Galápagos-Inseln nur damit erklären, dass sie gar nicht dort, sondern auf dem Festland entstanden waren. Einige besonders verwegene dieser Festlandsformen hätten dann später unabhängig voneinander die weite Reise in das heutige Inselreich bewältigen müssen. Jedoch finden wir nicht die geringste Spur solcher Vorfahren auf dem amerikanischen Kontinent.


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mare No. 8

No. 8Juni / Juli 1998

Von Kornelia Rassmann und Ulrich Karlowski

Die Biologin Kornelia Rassmann besuchte im Rahmen ihrer Promotion das Galápagos-Archipel. Seit 1997 arbeitet sie in Deutschland über die genetische Vielfalt einheimischer Fische und ist als freie Autorin tätig.

Ulrich Karlowski lebt seit 1996 als freier Journalist in München. In mare No. 5 berichtete er über die Problematik der Delphin-Auswilderung

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Vita Die Biologin Kornelia Rassmann besuchte im Rahmen ihrer Promotion das Galápagos-Archipel. Seit 1997 arbeitet sie in Deutschland über die genetische Vielfalt einheimischer Fische und ist als freie Autorin tätig.

Ulrich Karlowski lebt seit 1996 als freier Journalist in München. In mare No. 5 berichtete er über die Problematik der Delphin-Auswilderung
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Vita Die Biologin Kornelia Rassmann besuchte im Rahmen ihrer Promotion das Galápagos-Archipel. Seit 1997 arbeitet sie in Deutschland über die genetische Vielfalt einheimischer Fische und ist als freie Autorin tätig.

Ulrich Karlowski lebt seit 1996 als freier Journalist in München. In mare No. 5 berichtete er über die Problematik der Delphin-Auswilderung
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