Da duftet doch was

Ein Mann fängt an Belgiens Küste die Garnelen wie seine Vorfahren vor 500 Jahren – mithilfe eines großen Schleppnetzes und seiner Kaltblutstute Dina

Gutes Wetter, guter Fang“, sagt Stefaan Hancke. Eben noch saß Hancke in seinem leuchtend gelben Overall im Sattel und durchpflügte mit seiner fast eine Tonne schweren Kaltblüterstute Dina die Nordsee. Jetzt steht er in seiner Freiluftküche. Aus dem riesigen Kessel vor ihm dampft es. Es duftet nach Meeresfrüchten. Fast acht Kilo Nordseegarnelen köcheln im Topf. „Wir nennen sie den Kaviar der Nordsee.“ Wer Hancke auf seinem Hof in Koksijde, 30 Kilometer westlich von Ostende, besucht, der bekommt zuerst ein Bier. „Peerdevisscher Bruine“ steht darauf, Pferdefischer-Dunkel. Doch niemand kommt deswegen hierher, sondern wegen Hanckes Garnelen, die weit über die Grenzen der 22 000-Einwohner-Gemeinde bekannt sind.

Seit mehr als 500 Jahren fangen Fischer an der Nordsee Garnelen mit Pferd und Schleppnetz. Einst war die Tradition an der gesamten Küste verbreitet: in Frankreich, Belgien, den Niederlanden, Deutschland und Großbritannien. In Koksijde ist das Pferdefischen seit 1502 urkundlich belegt. Heute ist die Gemeinde der einzige Ort weit und breit, an dem Garnelen noch mit dem Pferd gefangen werden. Das System ist einfach: Die Pferde ziehen ein acht Meter breites Netz hinter sich her, an dessen vorderem Ende zwei Holzplanken befestigt sind. Mit ihnen schrecken die Fischer die Krustentiere bei Ebbe im seichten Wasser auf – und treiben sie ins Netz.

Beste Fangzeit sind die Monate Mai bis Juli und September bis November. „Dann ist das Wasser acht bis zwölf Grad warm, die optimale Temperatur“, weiß Hancke. „Und je weniger Wind herrscht, desto besser.“ Dabei hat Hancke das Fischen gar nicht von der Pike auf gelernt. 1999 gab es nur noch zwei Pferdefischer. Damals kam ein Freund zu ihm und fragte: „Du hast doch Pferde. Willst du das nicht machen?“ Hancke sagte zu. Zehn Jahre später fischten wieder acht Pferdefischer. Heute sind es 15: 13 Männer und neuerdings auch zwei Frauen.

Jahrhundertelang konnten die Fischer gut von ihrer Arbeit leben. Seit Garnelen aber in großem Stil mit Baumkurren vom Boot aus gefangen werden, ist der Fang mit dem Pferd nicht mehr rentabel. An einem durchschnittlichen Tag fängt Hancke sechs, acht, manchmal auch zwölf Kilo. Zehn Euro verlangt er für das Kilo. Ohne einen richtigen Job kann keiner der Fischer davon leben. Hancke betreibt ein Autohaus. Doch er geht fischen, sooft er kann. Häufig auch mit Touristengruppen, denn das Touristenamt unterstützt die Fischer. Seit 2013 ist das Handwerk immaterielles Welterbe der Unesco.

Hancke hat zudem sein eigenes Geschäftsmodell entwickelt. Auf seinem Hof hat er Bänke und Tische installiert, auf denen bis zu 50 Gäste Platz haben: Touristen, die seine Touren buchen, Freunde, Familie. Eine Speisekarte gibt es nicht. Auf den Tisch kommen die Garnelen in großen Schalen. Gegessen wird mit der Hand. 

Mit Hanckes Dunkelbier oder dem bernsteinfarbenen „Peerdevisscher Tripel“ schmecken sie himmlisch: Das zartrosa Fleisch hat einen würzigen, fast süßlichen Geschmack.

Alle waren sie hier: die Radsportlegenden Freddy Maertens und Michel Pollentier, Politiker und sogar der belgische König. Albert II. besuchte die Pferde­fischer 2013, sein Sohn und Nachfolger Philippe kam 2015 nach Koksijde. Stolz zeigt Hancke die Zeitungsartikel. Bereits 1967 formierte sich der „Orden der Pferdefischer“, mit dem Ziel, die jahrhunderte­alte Tradition zu erhalten. Seit 2017 hat der Orden sogar royalen Segen: Er darf sich „Königlicher Orden der Pferdefischer“ nennen. Jedes Jahr im Oktober werden die Pferdefischer seitdem offiziell im Königspalast in Brüssel empfangen.

Hancke liebt seine Arbeit. Er ist 62. Zwei, drei Jahre will er noch weiter­machen. „Aber irgendwann wird das Aufsteigen schwer.“ Hancke hat vier Kinder. Sein ältester Sohn und die beiden Töchter werden das Handwerk nicht weiterführen. Lucas, der Jüngste, ist 20. Übernimmt er irgendwann? Hancke zuckt mit den Achseln. „Er hat eine Freundin, bald womöglich Familie, Kinder.“ Im Moment sei das Interesse überschaubar. Doch Hancke sieht das ganz pragmatisch. „Vielleicht“, sagt er, „vielleicht interessiert ihn die Fischerei wieder, wenn die ersten Kinder durch sind.“ 


Krevettenkroketten

Zutaten (für vier Personen)
400 g Nordseegarnelen, 100 g Butter, 160 g Mehl, 2 Eier (für Panade), 2 Eigelb, 80 g geriebener Greyerzer, 50 cl Fischfond, 10 cl Crème fraîche, Bund Petersilie, 1 Zitrone, Muskatnuss.

Zubereitung 
Butter im Topf schmelzen und das Mehl unterrühren. Fischfond dazu, aufkochen lassen. Käse, Crème fraîche und Eigelbe unterrühren und den Topf vom Herd nehmen. Garnelen, Petersilie und Muskatnuss hinzu, abdecken und in den Kühlschrank stellen. Tags darauf die Masse zu Röllchen formen, in Ei und etwas Paniermehl wälzen, 4 Stunden kaltstellen. Die Kroketten in Öl braten, mit Petersilie und Zitronenscheiben servieren.
Touren sind bei Stefaan Hancke unter 0032/475/651132 oder paardenvisser@gmail.com zu buchen. Zugang zur Gar­küche über die Koningstraat 22, Koksijde.

mare No. 150

mare No. 150Februar / März 2022

Von Fabian von Poser und Kristina Steiner

Fabian von Poser, geboren 1969 in Hamburg, studierte Geschichte und spanische Sprachwissenschaft in München. Nach dem Studium war er drei Jahre lang für die Süddeutsche Zeitung tätig. Seit 1997 ist von Poser selbstständig als Journalist, Fotograf und Buchautor. Seitdem berichtet er unter anderem für die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung und das Terra Mater Magazin von den abgelegenen und weniger abgelegenen Enden dieser Erde. Zu seinen Spezialgebieten gehören Afrika, Arabien und Spanien.

Kristina Steiner ist Fotografin, Fotojournalistin und visuelle Geschichtenerzählerin und lebt in Norddeutschland.

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Vita

Fabian von Poser, geboren 1969 in Hamburg, studierte Geschichte und spanische Sprachwissenschaft in München. Nach dem Studium war er drei Jahre lang für die Süddeutsche Zeitung tätig. Seit 1997 ist von Poser selbstständig als Journalist, Fotograf und Buchautor. Seitdem berichtet er unter anderem für die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung und das Terra Mater Magazin von den abgelegenen und weniger abgelegenen Enden dieser Erde. Zu seinen Spezialgebieten gehören Afrika, Arabien und Spanien.

Kristina Steiner ist Fotografin, Fotojournalistin und visuelle Geschichtenerzählerin und lebt in Norddeutschland.

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Fabian von Poser, geboren 1969 in Hamburg, studierte Geschichte und spanische Sprachwissenschaft in München. Nach dem Studium war er drei Jahre lang für die Süddeutsche Zeitung tätig. Seit 1997 ist von Poser selbstständig als Journalist, Fotograf und Buchautor. Seitdem berichtet er unter anderem für die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung und das Terra Mater Magazin von den abgelegenen und weniger abgelegenen Enden dieser Erde. Zu seinen Spezialgebieten gehören Afrika, Arabien und Spanien.

Kristina Steiner ist Fotografin, Fotojournalistin und visuelle Geschichtenerzählerin und lebt in Norddeutschland.

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