Capitano Ciccio findet sein Glück

Früher gab es im sizilianischen Städtchen Mazara del Vallo reichlich Fisch. Heute sind die Fischer arbeitslos. Dennoch sieht die Zukunft rosig aus. Ein zufälliger Fund vor der Küste der Insel könnte die Einwohner reich machen. Ein zufälliger Fund?

Satyrn sind Fabelwesen, die plötzlich in Erscheinung treten und dem Leben eine Wendung geben. Sie wandeln das Dasein zum Rausch, machen es leicht, glücklich, sorgenfrei.

Es ist dunkel im Hafen von Mazara del Vallo, nur die Tankstelle leuchtet. Der Mond scheint hell, und die „Prassitele“ schwankt hin und her. Der Fischer Francesco Adragna prüft die Geräte, schaltet den Funk ein, lässt sich von der Hafenmeisterei die Erlaubnis geben, dass er auslaufen darf.

Adragna war immer im Dunkeln, ein Fischer wie alle anderen, „Ciccio“ genannt. Heute ist Francesco Adragna in der Stadt bekannt, die „New York Times“ kennt seinen Namen. Rom, Paris, Tokio, jetzt London, die Menschen stehen seinetwegen Schlange. Fotohandys hat er ins Gesicht gerammt bekommen. Er war in Japan, 2005, als die Expo war, sie hatten ihn eingeladen, ihn und seine Frau. Eine ganze Woche. Er hat sich gefühlt wie ein Minister.

Auch der Ort, in dem er lebt, Mazara, war lange im Dunkeln. 50 000 Einwohner, ein Viertel lebt vom Fisch. Die Fänge sind allein in den vergangenen fünf Jahren um ein Drittel zurückgegangen. Es waren einmal 400 Krabbentrawler in Mazara, die größte Fangflotte Siziliens in den Neunzigern. 200 sind geblieben. Das Mittelmeer ist abgefischt, Mazaras Arbeitslosigkeit liegt bei 30 Prozent, noch über dem Inseldurchschnitt.

Mazara war nie ein Touristenort. Wer guckt sich schon Industrie an? Die schönen Strände liegen im Norden und Süden; Tempel und Statuen finden sich im Osten und im Westen. Doch jetzt kommt der Fremdenverkehr in den Küstenort. Palermo, Erice, Marsala, Selinunte, Agrigento – jetzt stoppen die Reisebusse auch in Mazara.

November 1997. Adragna war mit der „Capitano Ciccio“ in der Straße von Sizilien unterwegs, um neue Krabbengründe zu erschließen. Die Krise zwingt die Krabbenfischer zu ständiger Suche nach neuen Gründen. Wenn ein neues Unterwasserfeld bestellt wird, sind Putzarbeiten nötig. Krabbenfischer ziehen 20 Meter breite Schleppnetze über den Boden. Sie fischen nur in ihren eigenen Arealen. Es sind Claims, abgesteckte Grundstücke am Meeresboden, die von Generation zu Generation vererbt werden und in denen nichts zu suchen hat, wer nicht zur Familie gehört. Denn das Revier so rein zu sieben, dass nur noch Krabben hängen bleiben, kostet viele Netze.

Adragna machte sich also ans Aufräumen. Steine und Korallen verfingen sich in seinem Netz und etwas Zentnerschweres, das er nicht gleich erkennen konnte, so zugewuchert und von Muscheln besetzt war es. Er rieb es mit einem Schwamm ab, die Muscheln, die grüne Schicht, Algen, wie er dachte – bis Bronze darunter blitzte. Das Bein einer überlebensgroßen antiken Statue. Sie musste gewaltig sein. Adragna sah an der Bruchstelle am Oberschenkel, dass sie frisch war, und erinnerte sich, dass plötzlich der Widerstand nachließ, als er das Netz aus dem Wasser zog.

Der Rest musste abgebrochen und nach unten getrudelt sein. Adragna hatte sich immer für Archäologie interessiert; er gab den Fund bei der Hafenmeisterei ab und ließ seine Netze woanders zu Wasser. Als nach ein paar Monaten immer noch nichts passiert war, keine Wissenschaftler kamen, da habe er sich ge- sagt, was ein Mann angefangen hat, muss er auch zu Ende bringen.

Offiziell suchen durfte er natürlich nicht, denn mit einem Fischernetz Ausgrabungen machen ist ungefähr so, wie mit einem Bulldozer Botticellis Fresken restaurieren. Er sei also zu der Stelle zurück und habe gefischt und gefischt, und einmal, drei Monate nach dem Bein, da sei ihm ein Boot in die Quere gekommen, und um einen Zusammenstoß zu vermeiden, habe er Vollgas gegeben, und da sei er mit seinem Netz über sein Grundstück hinaus gedrungen, in unterseeisches Neuland, wo noch nicht aufgeräumt war … Mit dem Kopf zuerst tauchte die Statue auf, die erhobenen Arme ans Netz geklammert, als sei sie müde, am Grund zu liegen, und wolle endlich hochgehievt werden. Ein paar Garnelen flitschten aus ihrem Kopf, die erschreckt in die Sonne blinzelten und sich ihre Fühler vor die Augen hielten, so erzählt es Adragna. Sizilianer schmücken gerne aus.

Noch auf hoher See ließ er sich durchstellen zum Kulturdezernat der Stadt Tràpani, zu einem gewissen Herrn Gaspare Bianco; sie kennen sich aus Mazara. Bianco hatte sich über Funk an die Fischer gewandt, dass sie keine Angst zu haben brauchen, wenn sie Kulturgüter von größter Bedeutung in ihren Netzen haben; für die würden sie nicht bestraft, sondern möglicherweise belohnt. Er wollte ein Bewusstsein schaffen, dass sie die Amphoren nicht wieder ins Meer schmeißen. Adragna also ließ sich zu Bianco durchstellen, „… il poppo … il poppo …“ stotterte er vor Aufregung, den Bub, den Bub, wir haben ihn, den Bub. Für Adragna war es immer ein Jüngling, nach dem er gesucht hatte.


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mare No. 95

No. 95Dezember 2012 / Januar 2013

Von Dimitri Ladischensky und Roberto Boccaccino

Dimitri Ladischensky, Jahrgang 1972, mare-Redakteur, hat eine Schwäche für Schatzsuchergeschichten – und für Sizilien.

Roberto Boccaccino, geboren 1984, lebt als Fotograf in Palermo. Sein Langzeitprojekt ist „Jugend“. An Mazara del Vallo faszinierte ihn das Gegenteil, ein Ort, der trotz allem Wandel am Alten festhält.

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Vita Dimitri Ladischensky, Jahrgang 1972, mare-Redakteur, hat eine Schwäche für Schatzsuchergeschichten – und für Sizilien.

Roberto Boccaccino, geboren 1984, lebt als Fotograf in Palermo. Sein Langzeitprojekt ist „Jugend“. An Mazara del Vallo faszinierte ihn das Gegenteil, ein Ort, der trotz allem Wandel am Alten festhält.
Person Von Dimitri Ladischensky und Roberto Boccaccino
Vita Dimitri Ladischensky, Jahrgang 1972, mare-Redakteur, hat eine Schwäche für Schatzsuchergeschichten – und für Sizilien.

Roberto Boccaccino, geboren 1984, lebt als Fotograf in Palermo. Sein Langzeitprojekt ist „Jugend“. An Mazara del Vallo faszinierte ihn das Gegenteil, ein Ort, der trotz allem Wandel am Alten festhält.
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