Bürgers Schwarm

Die Sammelleidenschaft des Menschen stand Pate bei der Geburt des Aquariums im 19. Jahrhundert. Das Meer im Glas und die Beschäftigung mit den Lebewesen darin war Labsal für den Wissensdurst des Bildungsbürgertums

Die Entwicklung des Aquariums steht in einem engen Zusammenhang mit dem Wunsch, das Meer kennenzulernen. Diese Lust am Meer ist noch nicht alt, ihre Anfänge bilden sich vor gerade etwa 250 Jahren heraus. Bis dahin war das Meer ein Ort der Finsternis, in dem Monster von abenteuerlicher Gestalt ihr Unwesen treiben. Seit dem 18. Jahrhundert bringen Naturforscher und Schriftsteller den Meeresküsten echtes Interesse entgegen.

Dazu gehört auch, dass der Strand als Freizeitort entdeckt wird. Untersuchungen über die heilsamen Wirkungen des Meerwassers unterstützen die Gründung von Badeorten an den Küsten – erst in England, etwas später in Deutschland und Frankreich. Dass das Meer dann oft mit der neuen Eisenbahn schon in ein paar Stunden zu erreichen ist, trägt viel zur neuen Beliebtheit der Küsten bei.

Etwa zur gleichen Zeit wie die Erweckung der Liebe zum Meer entwickelt sich in Europa ein Phänomen, das immer weitere Kreise zieht: Die Menschen beginnen zu sammeln. Eine Sammelmode löst die nächste ab. Sammeln per se ist für viele eine erfüllende Tätigkeit, aus welchen Motiven auch immer. Ist man der Objekte erst einmal habhaft geworden, haben die Augen für einige Zeit genug damit zu tun, sich an den Farben und Formen zu erfreuen.

Zu den frühen Sammellüsten zählt die geradezu fanatische Begeisterung für Muscheln. Später kommt in England auch Interesse an einem als „geschmackvoll“ betrachteten Gewächs auf, das man am Strand sammeln kann: Seetang. Nach dem Aufnehmen in frischem Wasser gewaschen, wird das fedrige Grün noch feucht in exquisiten Schachteln verstaut. Besonders den Damen der eleganten Gesellschaft kommt dieses mit wenig Aufwand verbundene Hobby recht. Es bietet unverfängliche Zerstreuung, außerdem gehe die Jagd nach Objekten wie Muscheln und Seetang, wie es eine zeitgenössische Zeitschrift formuliert, ohne Grausamkeiten vonstatten, überhaupt seien sie so prächtig sauber und eine perfekte Zierde für das Boudoir.

Die Idee, lebende Meerestiere zu sammeln und sie zum Zweck der Beobachtung in Wasserbehältern zu halten, hat schließlich eine Französin. Jeanne Villepreux-Power forscht um 1830 in Sizilien über Argonauten, eine Kopffüßerart. Sie lässt Holzkästen und Glasbehälter bauen, in denen sie die Tiere verstaut, die ihr die Fischer bringen oder die sie selbst gefangen hat. In einem direkt am Meer gelegenen Haus legt sie ein Labor an, in dem sie einen dieser Holzkästen aufstellt. Mithilfe einer Pumpe und eines Schlauchs leitet sie Meerwasser in den Kasten ein, das über einen zweiten Schlauch wieder aus dem Behälter herausgepumpt wird – ein kleines Kreislaufsystem.

Der Direktor des British Museum in London, Richard Owen, weiß von Villepreux-Powers Versuchen und schreibt ihr 1858 das Verdienst zu, das Aquarium erfunden zu haben. Doch noch fehlt die Erkenntnis, wie ein weitgehend selbstgenügsames, aus Pflanzen und Tieren geschaffenes Ganzes funktionieren kann. Es ist zuvor der Umweg über Versuche im Süßwassermilieu notwendig.

Robert Warington, Mitglied der Londoner Chemischen Gesellschaft, experimentiert 1849 mit einem rund 50 Liter fassenden Behälter. Die Füllung: Quellwasser, etwas Schlamm, ein paar Steine, zwei Goldfische, eine Gewöhnliche Wasserschraube und einige Exemplare der Spitzschlammschnecke als „Arbeiter für die Renovierung“.

Die Ergebnisse seiner Forschungen über dieses Biotop veröffentlicht Warington 1850 in einem kurzen Aufsatz in der Zeitschrift der Chemischen Gesellschaft. Darin beschreibt er die Kombination aus bereits bekannten Erkenntnissen: Die Tiere nehmen Sauerstoff auf und atmen Kohlendioxid aus. Umgekehrt ist es bei Pflanzen: Sie nehmen Kohlendioxid auf und geben unter Lichteinwirkung Sauerstoff ab. Ein perfektes Gleichgewicht, ein aquaristisches Perpetuum mobile!

Um das Jahr 1850 weiß man zwar das eine oder andere vom Hörensagen über das Meer, aber nicht aus eigener Anschauung. Die Vorstellung von den Tieren wird bis zu diesem Zeitpunkt fast ausschließlich von denen des Festlands bestimmt. Dass sich das von nun an ändert, verdankt die Welt vor allem dem Engländer Philip Henry Gosse. Er ist entscheidend für die weitere Verbreitung des Aquariums.

Gosse ist tief religiös und Angehöriger einer strengen christlichen Bruderschaft, die keine persönlichen Verbindungen außerhalb der Sekte duldet. So wird der frühere Lehrer zu einem eigenwilligen Naturforscher, der häufig allein am Meeresufer zugange ist, wo er, in einen schwarzen Anzug gekleidet, selig an der Flutlinie im Schlick des Wattenmeers herumstochert und selbst bei starker Brandung akribisch die wassergefüllten Felsbecken untersucht. Gosse wird bald zu einer Autorität für alles, was mit dem Leben an der Küste zusammenhängt. Die Londoner Bürger strömen zu seinen Vorträgen.


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mare No. 91

No. 91April / Mai 2012

Von Bernd Brunner

Bernd Brunner, Jahrgang 1964, Sachbuchautor und Journalist in Berlin, hat ein Zimmeraquarium immer schon als etwas Seltsames, Erklärungsbedürftiges und auch Bedrückendes empfunden. Selbst besaß er nie eines, und er will auch keines. Trotzdem schrieb er, inspiriert von einem Flohmarktfund, ein Sachbuch über die Geschichte des Aquariums. Wie das Meer nach Hause kam ist 2011 im Verlag Klaus Wagenbach erschienen.

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Vita Bernd Brunner, Jahrgang 1964, Sachbuchautor und Journalist in Berlin, hat ein Zimmeraquarium immer schon als etwas Seltsames, Erklärungsbedürftiges und auch Bedrückendes empfunden. Selbst besaß er nie eines, und er will auch keines. Trotzdem schrieb er, inspiriert von einem Flohmarktfund, ein Sachbuch über die Geschichte des Aquariums. Wie das Meer nach Hause kam ist 2011 im Verlag Klaus Wagenbach erschienen.
Person Von Bernd Brunner
Vita Bernd Brunner, Jahrgang 1964, Sachbuchautor und Journalist in Berlin, hat ein Zimmeraquarium immer schon als etwas Seltsames, Erklärungsbedürftiges und auch Bedrückendes empfunden. Selbst besaß er nie eines, und er will auch keines. Trotzdem schrieb er, inspiriert von einem Flohmarktfund, ein Sachbuch über die Geschichte des Aquariums. Wie das Meer nach Hause kam ist 2011 im Verlag Klaus Wagenbach erschienen.
Person Von Bernd Brunner