Burano Speed Boys

Sie sind jung, cool und lieben schnelle Boote. Über das Lebens­gefühl einer Gruppe Jugendlicher in der Lagune von Venedig

Die Zeit vergeht schnell, wenn ich mit dir zusammen bin. Wenn Jacopo durch die Lagune fliegt, von den Fondamente Nove nach Burano, wummert der Rap von Rkomi, Sfera Ebbasta oder Shiva aus den Lautsprechern seines Boots. Und eigentlich gibt es dann keine Grenze mehr in diesem Blau, des Himmels, des Boots und der Lagune. Nein, ich kann mich nicht bremsen, bis es zu spät ist. Es ist der Rap der Romantiker: Jedes Mal, wenn ich eine Frau ficke, die ich liebe, ­lieben wir uns Stunden um Stunden, jedes Mal, wenn ich eine Frau liebe, die ich ficke, reden wir Stunden um Stunden.

Neulich Nacht habe ich mal wieder an die Burano Speed Boys gedacht, genauer gesagt, um halb drei Uhr morgens, als ein Boot, begleitet von ohrenbetäubendem Rap, durch unseren Kanal raste, bis die Musik plötzlich mit einem Knall endete. Als ich ans Fenster stürzte, sah ich das Boot kiel­oben im Kanal treiben und hörte, wie jemand aus dem Wasser um Hilfe rief. Noch bevor wir dem Havarierten zu Hilfe kommen konnten, hatte er es bereits geschafft, sich auf den gegenüberliegenden Bootssteg zu retten: ein junger Mann, der offenbar unbeschadet aus dem Boot katapultiert worden war. Er zog ein ebenso unbeschadetes Telefon aus seiner Jackentasche und fing an, schreiend zu telefonieren: „Mamma, ich habe das Boot ver­loren! Ja, da war ein Pfahl, der im Wasser trieb! Mamma, hast du kapiert? Verdammte Scheiße, Mamma! 20 000 Euro sind weg …“ Er schrie so laut, dass in den am Kanal liegenden Wohnungen das Licht anging und die Nachbarn einen Blick auf den fluchenden jungen Mann warfen, der, als die Carabinieri endlich kamen, immer noch wutentbrannt ins Telefon brüllte: „Verdammte Scheiße, ich glaubte zu sterben, Mamma!“ 

Von einem im Wasser treibenden Pfahl war in unserem schmalen Kanal allerdings keine Spur. Wir vermuteten, dass der Typ betrunken war oder bekifft oder sonstwie unter Drogen und so schnell gefahren war, dass sich der Bug angehoben hatte und das Boot gegen die Brücke geprallt war. 

Tage später sitze ich am Ufer der Klosterinsel San Francesco del Deserto und erzähle Jacopo von diesem bizarren Unfall. Jacopo ist 21 Jahre alt, lebt auf Burano, jener mit bunten Häusern geschmückten einstigen Fischerinsel im nördlichen Teil der venezianischen Lagune, und betreibt die Instagram-Seite buranospeedboats, kurz BSB, 227 Beiträge, 3978 Follower, 365 Abonnenten. Wenn er nicht gerade in seinem himmelblauen Motorboot durch die Lagune rast, meterhohe Wasserfontänen wie einen Schweif hinter sich herziehend. 

Wenn ich ehrlich bin, erwartete ich, dass Jacopo den Pechvogel, der in unserem Kanal havariert ist, kennen würde. „Nein, keine Ahnung“, sagt Jacopo, „von Burano kann der nicht sein, das hätte sich rumgesprochen.“ Er schüttelt ungläubig den Kopf und tauscht mit Simone diesen Blick aus, der besagt: Hey, nur weil wir identifizierbar sind mit unserer Instagram-Seite, soll uns jetzt jeder Scheiß, der hier in der Lagune passiert, angehängt werden, porca miseria? 

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mare No. 153

mare No. 153August / September 2022

Von Petra Reski und Matteo de Mayda

Petra Reski, Jahrgang 1958, ist Journalistin und Schriftstellerin, lebt seit 1991 in Venedig und kann mit ihrem venezianischen Fischerboot sogar rückwärts einparken. Zuletzt erschien von ihr „Als ich einmal in den Canal Grande fiel. Vom Leben in Venedig“ (Droemer 2021).

Matteo de Mayda, Jahrgang 1984, lebt als freier Fotograf in Venedig. 2019 veröffentlichte er „Era Mare“, ein Buch über das Hochwasser in Venedig.
Über seine Arbeit an der Story schreibt de Maya: "In der Lagune von Venedig gibt es ein Gebiet, das die Einwohner von Burano "Gajan" nennen, ein Begriff, den nicht einmal die Venezianer verstehen und der ein bestimmtes Gebiet der "barene" (Sandbänke) bezeichnet.
Die Barene sind Flächen, die periodisch vom Wasser überflutet werden und eine reiche Vegetation und zahlreiche Vogelarten beherbergen. Sie spielen eine grundlegende Rolle für das Überleben Venedigs, da sie den Einfluss der Gezeiten auf den Wasserstand begrenzen.
In Gajan gehen die Burano-Speedboat-Jungs schwimmen und trinken Bier, und es ist auch der Ort, an dem die Jugendlichen dieses Porträt von mir machten, als Jacopo sie mir zum ersten Mal vorstellte.
Jacopo ist 22 Jahre alt und in Burano aufgewachsen. Er war der erste, der mir vor zwei Jahren geantwortet hat, als ich sie über Instagram kontaktiert habe, und seitdem ist er immer meine Verbindung zu den anderen gewesen.
Einmal nahm er meine Partnerin Sarah und mich mit auf die nahegelegene Insel Mazzorbo, eine kleine Insel mit etwas mehr als 200 Einwohnern und vielen Katzen. Es herrschte Ebbe, und wir liefen zweimal auf Grund. Jacopo entschuldigte sich, obwohl es sein freier Tag war und er ihn uns widmete.
Als ich an anderes Mal nach Gajan zurückkehrte, wollte ich ein Gruppenfoto machen. Ich fotografierte alle außer ihm, der sich, wie schon bei anderen Gelegenheiten, zur Verfügung stellte, um mir beim Fotografieren zu helfen, indem er sich mit mir hinter das Objektiv stellte. Man kann sagen, dass er zu fast allen Fotos, die ich in diesen zwei Jahren gemacht habe, beigetragen hat.
Jacopo ist unter der Woche Fischer, er beginnt um 2 Uhr morgens und endet um 7.30 Uhr. Er fängt hauptsächlich Muscheln aus der Lagune. Einmal sagte er mir, dass wir in vielen Punkten unterschiedlicher Meinung sind, aber dass er mich trotzdem respektiert.
Für mich sind er und die Jungs ein bisschen wie Gajan, grundlegend für die Artenvielfalt in der Lagune von Venedig."

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Vita Petra Reski, Jahrgang 1958, ist Journalistin und Schriftstellerin, lebt seit 1991 in Venedig und kann mit ihrem venezianischen Fischerboot sogar rückwärts einparken. Zuletzt erschien von ihr „Als ich einmal in den Canal Grande fiel. Vom Leben in Venedig“ (Droemer 2021).

Matteo de Mayda, Jahrgang 1984, lebt als freier Fotograf in Venedig. 2019 veröffentlichte er „Era Mare“, ein Buch über das Hochwasser in Venedig.
Über seine Arbeit an der Story schreibt de Maya: "In der Lagune von Venedig gibt es ein Gebiet, das die Einwohner von Burano "Gajan" nennen, ein Begriff, den nicht einmal die Venezianer verstehen und der ein bestimmtes Gebiet der "barene" (Sandbänke) bezeichnet.
Die Barene sind Flächen, die periodisch vom Wasser überflutet werden und eine reiche Vegetation und zahlreiche Vogelarten beherbergen. Sie spielen eine grundlegende Rolle für das Überleben Venedigs, da sie den Einfluss der Gezeiten auf den Wasserstand begrenzen.
In Gajan gehen die Burano-Speedboat-Jungs schwimmen und trinken Bier, und es ist auch der Ort, an dem die Jugendlichen dieses Porträt von mir machten, als Jacopo sie mir zum ersten Mal vorstellte.
Jacopo ist 22 Jahre alt und in Burano aufgewachsen. Er war der erste, der mir vor zwei Jahren geantwortet hat, als ich sie über Instagram kontaktiert habe, und seitdem ist er immer meine Verbindung zu den anderen gewesen.
Einmal nahm er meine Partnerin Sarah und mich mit auf die nahegelegene Insel Mazzorbo, eine kleine Insel mit etwas mehr als 200 Einwohnern und vielen Katzen. Es herrschte Ebbe, und wir liefen zweimal auf Grund. Jacopo entschuldigte sich, obwohl es sein freier Tag war und er ihn uns widmete.
Als ich an anderes Mal nach Gajan zurückkehrte, wollte ich ein Gruppenfoto machen. Ich fotografierte alle außer ihm, der sich, wie schon bei anderen Gelegenheiten, zur Verfügung stellte, um mir beim Fotografieren zu helfen, indem er sich mit mir hinter das Objektiv stellte. Man kann sagen, dass er zu fast allen Fotos, die ich in diesen zwei Jahren gemacht habe, beigetragen hat.
Jacopo ist unter der Woche Fischer, er beginnt um 2 Uhr morgens und endet um 7.30 Uhr. Er fängt hauptsächlich Muscheln aus der Lagune. Einmal sagte er mir, dass wir in vielen Punkten unterschiedlicher Meinung sind, aber dass er mich trotzdem respektiert.
Für mich sind er und die Jungs ein bisschen wie Gajan, grundlegend für die Artenvielfalt in der Lagune von Venedig."
Person Von Petra Reski und Matteo de Mayda
Vita Petra Reski, Jahrgang 1958, ist Journalistin und Schriftstellerin, lebt seit 1991 in Venedig und kann mit ihrem venezianischen Fischerboot sogar rückwärts einparken. Zuletzt erschien von ihr „Als ich einmal in den Canal Grande fiel. Vom Leben in Venedig“ (Droemer 2021).

Matteo de Mayda, Jahrgang 1984, lebt als freier Fotograf in Venedig. 2019 veröffentlichte er „Era Mare“, ein Buch über das Hochwasser in Venedig.
Über seine Arbeit an der Story schreibt de Maya: "In der Lagune von Venedig gibt es ein Gebiet, das die Einwohner von Burano "Gajan" nennen, ein Begriff, den nicht einmal die Venezianer verstehen und der ein bestimmtes Gebiet der "barene" (Sandbänke) bezeichnet.
Die Barene sind Flächen, die periodisch vom Wasser überflutet werden und eine reiche Vegetation und zahlreiche Vogelarten beherbergen. Sie spielen eine grundlegende Rolle für das Überleben Venedigs, da sie den Einfluss der Gezeiten auf den Wasserstand begrenzen.
In Gajan gehen die Burano-Speedboat-Jungs schwimmen und trinken Bier, und es ist auch der Ort, an dem die Jugendlichen dieses Porträt von mir machten, als Jacopo sie mir zum ersten Mal vorstellte.
Jacopo ist 22 Jahre alt und in Burano aufgewachsen. Er war der erste, der mir vor zwei Jahren geantwortet hat, als ich sie über Instagram kontaktiert habe, und seitdem ist er immer meine Verbindung zu den anderen gewesen.
Einmal nahm er meine Partnerin Sarah und mich mit auf die nahegelegene Insel Mazzorbo, eine kleine Insel mit etwas mehr als 200 Einwohnern und vielen Katzen. Es herrschte Ebbe, und wir liefen zweimal auf Grund. Jacopo entschuldigte sich, obwohl es sein freier Tag war und er ihn uns widmete.
Als ich an anderes Mal nach Gajan zurückkehrte, wollte ich ein Gruppenfoto machen. Ich fotografierte alle außer ihm, der sich, wie schon bei anderen Gelegenheiten, zur Verfügung stellte, um mir beim Fotografieren zu helfen, indem er sich mit mir hinter das Objektiv stellte. Man kann sagen, dass er zu fast allen Fotos, die ich in diesen zwei Jahren gemacht habe, beigetragen hat.
Jacopo ist unter der Woche Fischer, er beginnt um 2 Uhr morgens und endet um 7.30 Uhr. Er fängt hauptsächlich Muscheln aus der Lagune. Einmal sagte er mir, dass wir in vielen Punkten unterschiedlicher Meinung sind, aber dass er mich trotzdem respektiert.
Für mich sind er und die Jungs ein bisschen wie Gajan, grundlegend für die Artenvielfalt in der Lagune von Venedig."
Person Von Petra Reski und Matteo de Mayda