Brüder, zur Suppe, zum Stockfisch

Seit bald 500 Jahren kommen Kapitäne und Kaufleute im Bremer Rathaus zum Schaffermahl zusammen. Gemeinsam schlemmen sie für einen guten Zweck

Am meisten machte meinem Vater das Essen zu schaffen. Nicht, dass er etwas gegen Bremer Hühnersuppe gehabt hätte. Auch mochte er braunen Kohl mit Speck. Das Problem waren für ihn nicht die einzelnen Speisen – sondern ihre Summe. Beim traditionellen Bremer Schaffermahl gibt es seit Jahrhunderten das Gleiche: Bremer Hühnersuppe, Stockfisch, Grünkohl, Pinkel, Maronen, Kalbsbraten, gedämpfte Äpfel, Katharinenpflaumen, Selleriesalat, Rigaer Butt, Zunge, Wurst, Chesterkäse, Sardellen, Früchte und Kaffee. Und mein Vater, seit 1971 Schaffer bei der Schaffermahlzeit zu Bremen, aß und litt.

Anfangs strich er sich immer treuherzig über seinen Flachbauch und kokettierte: „War trotzdem nicht billig“, aber mit den Jahren machte ihm die Völlerei mehr zu schaffen als das traditionelle Tonpfeifenrauchen (er war Nichtraucher), der traditionelle Frack mit Fliege oder die – auch nicht immer bekömmlichen – Schafferreden.

„Dann lass doch einfach einen Gang aus“, riet meine Mutter. Doch Abweichungen von der Etikette sind bei diesen buddenbrookschen Wohltätern nicht gern gesehen.

Seit 1545 gibt es das, wie es in den Statuten heißt, „älteste Brudermahl der Welt“. Immer am zweiten Freitag im Februar, immer im Bremer Rathaus, es fiel nur während Napoleons Kontinentalsperre und der beiden Weltkriege aus. Ursprünglich war das Schaffermahl ein Abschiedsessen, das Bremer Kaufleute und Reeder nach der Eisschmelze den wieder zur See fahrenden Kapitänen gaben. Jahresabrechnungen wurden gemacht, Lagebesprechungen abgehalten, frische Handel beschlossen und makaber-pragmatisch auch so manches Testament.

Zum Schaffer wurde nicht irgendwer gewählt, sondern nur die edel-guten Blake Carringtons der Bremer Gesellschaft. Die eine streuselkuchenbrave Ehefrau hatten, jeden Sonntag den Klingelbeutel nicht mit Hosenknöpfen füllten und erfolgreich im Bremer Handelsgeschäft waren.

Schließlich müssen sie noch heute im Jahr ihrer Schafferwahl zu dritt die Magendehnung der Gäste „schaffen“ – finanzieren. Und nicht nur die Bäuche.

Es geht auch um die Unterstützung des „Hauses Seefahrt“. Das Hilfswerk unterhält seit 1660 in Not geratene Kapitäne, ihre Witwen und Waisen – im Moment 116. Bevor man also 116 Bedürftigen die Miete, das Essen, die Kleidung bezahlen kann, muss ordentlich etwas zusammenkommen. Aber um Himmels willen nicht so, dass die anderen sehen, was man spendet. Die Geladenen schreiben ihre Summe auf die Serviette, neben Grünkohlflecken und Stockfischschmutz, denn es gilt als Teil des Brauchs, das einzige Besteck nach jedem Gang an der Serviette abzuwischen. Die einzige Tradition übrigens, die meinen Vater, den Kaufmann von Bestecken – und Lieferanten des Schaffermahlsilbers –, gewaltig störte. Nur ein Besteck, für ein mehrgängiges Menü? „Unglaublich!“

Besser schmeckte ihm das eigens für das Schaffermahl gebraute Seefahrtsbier: dickflüssig, süß und alkoholfrei, im Silberhumpen kredenzt. Früher hat es angeblich gegen Skorbut geholfen.

Weitere eherne Rituale: Salz und Pfeffer gibt es nur in silbernen und goldenen Papiertütchen, statt Applaus erschallt ein „hepphepphepp hurra“, und die Farbe der Frackfliege ist reglementiert: Die drei neu hinzukommenden Schaffer tragen eine weiße Schleife, ebenso alle geladenen Gäste. Die etablierten Schaffer eine schwarze.

Heute dient das Schaffermahl dem Meinungsaustausch von Handel und Politik. Rund 300 Kaufleute, Kapitäne und Ehrengäste kommen zusammen – Letztere dürfen nur ein einziges Mal in ihrem Leben teilnehmen. Allein Bundespräsident Theodor Heuss stand zweimal auf der Gästeliste. Ihre Aufwartungen machten: SPD-Vorsitzender Herbert Wehner, Bundeskanzler Konrad Adenauer, Philosoph Martin Heidegger, Schauspieler Otto Sander und Fußballtrainer Otto Rehhagel. Erster weiblicher Ehrengast war 2006 Angela Merkel.

Überhaupt Frauen. Sie haben bei diesem Ereignis nicht dabei zu sein. In einem Nebenraum, dem Kaminzimmer, dürfen die Gattinnen und Reederinnen zwar den Reden ihrer Männer über Lautsprecher lauschen – die heiligen Hallen des Rathauses betreten jedoch nicht.

Das war schon immer so – „und wird sich auch nie ändern“, grinste mein Vater. Er hat Kapitänin Barbara Massing, die erste weibliche Schafferin, die 2004 an der Festtafel Platz nehmen durfte, nicht mehr erlebt.


Rigaer Butt

Zutaten (für vier Personen)

4-mal 450 g Butt (wahlweise Scholle), 1 geröstete Paprikaschote, 1 fein geschnittene Chilischote, 50ml Olivenöl, Knoblauch, Oregano, Zitronensaft, Salz, Pfeffer.

Zubereitung

Paprika fein schneiden. Mit Chili, Öl, Zitrone, Knoblauch und Gewürzen zu einer Marinade verrühren. Den Butt in der Marinade wälzen und knapp zehn Minuten auf jeder Seite grillen. Den Rest der Marinade über den Fisch träufeln, salzen und pfeffern. Als Beilage Blattsalate und Baguette reichen, dazu trockenen Weißwein.

mare No. 60

No. 60Februar / März 2007

Von Katrin Wilkens

Katrin Wilkens, Jahrgang 1971, studierte Rhetorik und arbeitete als Trainerin in der Weiterbildung. Seit 2000 schreibt sie als freie Journalistin für Spiegel, Zeit, FA, Nido u.v.a..

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Vita Katrin Wilkens, Jahrgang 1971, studierte Rhetorik und arbeitete als Trainerin in der Weiterbildung. Seit 2000 schreibt sie als freie Journalistin für Spiegel, Zeit, FA, Nido u.v.a..
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