Bertie Ahern hat in seiner politischen Karriere einiges erlebt. Der mit einem gewissen Kneipencharme ausgestattete Dubliner war seit 1997 Ministerpräsident Irlands und nach seinem Amtantritt maßgeblich am Abschluss des Karfreitagabkommens beteiligt. Während seiner Regierungszeit erfreute er sich großer Popularität, gleichwohl musste er 2008 nach Korruptionsvorwürfen zurücktreten. Seitdem tauchte er nur noch selten in der Öffentlichkeit auf, etwa als Sportkolumnist oder in einem Werbespot, in dem er Tee trinkend in einem Küchenschrank saß.
Anfang Dezember 2019 nahm Ahern dann aber doch wieder eine offizielle Funktion wahr, allerdings auf einer viel kleineren Insel und am anderen Ende der Welt. Als Vorsitzender der Wahlkommission leitete er auf der zu Papua-Neuguinea gehörenden Insel Bougainville ein Unabhängigkeitsreferendum, weshalb auch er es war, der das Ergebnis der Abstimmung verkünden durfte: Knapp 98 Prozent der Wahlberechtigten stimmten für die Unabhängigkeit. Unter den versammelten Inselverantwortlichen und Bürgern brach Jubel aus. Der Schritt dahin, das jüngste Land der Welt zu werden, war damit jedoch noch lange nicht getan. Um überhaupt zu einem Referendum zu gelangen, war ein hoher Preis fällig gewesen.
Bougainville liegt östlich von Neuguinea und bildet mit einigen kleineren Inseln und ihrem nördlichen Schwestereiland Buka, das nur durch eine Meerenge von ihr getrennt ist, die Autonome Region Bougainville. Mit etwa 9300 Quadratkilometern hat die Inselgruppe in etwa die Größe Zyperns, auf ihrer Westseite liegt die Salomonensee, im Osten der Pazifik. Durch die Nähe zum Äquator herrschen ganzjährig konstante Temperaturen um die 30 Grad Celsius und hohe Luftfeuchtigkeit. Landschaftlich wird Bougainville von einer Vulkankette bestimmt, die von tropischen Wäldern umringt ist, die wiederum an Postkartenstränden enden. Flora und Fauna sind weitestgehend unangetastet, größere Orte sucht man vergeblich, selbst die Provinzhauptstadt Buka, in der auch das Regionalparlament sitzt, gleicht eher einem Stranddorf. 2019 hatte die Region ungefähr 300 000 Einwohner.
Ethnisch und kulturell gehört Bougainville eigentlich zu den Salomonen und bildet mit Buka geografisch de facto deren nördlichste Inseln. Während Papua-Neuguineas Kapitale Port Moresby über 900 Kilometer Luftlinie entfernt liegt, findet sich die nächste Insel des Staats Salomonen keine zehn Kilometer vor der Südküste Bougainvilles. Dessen Einwohner sind größtenteils Melanesier, die wegen der zerklüfteten Topografie sehr dezentral und isoliert voneinander leben. Dies macht sich vor allem in der Inselkommunikation bemerkbar: Von den weltweit etwa 7000 lebenden Sprachen wird über ein Zehntel, circa 800, in Papua-Neuguinea gesprochen, worunter rund 30 auf Bougainville beheimatet sind; als Verkehrssprachen dienen Tok Pisin und Englisch. Die Menschen leben in Stammes- und Clanstrukturen, wobei Namen, Eigentum und Boden matrilinear, also in weiblicher Linie, vererbt werden.
Bougainvilles Geschichte ist geprägt von Fremdbestimmung. Als erster Europäer betrat die Insel 1568 der Spanier Álvaro de Mendaña, 1768 landete der französische Seefahrer Louis-Antoine de Bougainville dort. Nachdem dieser vorher bereits Tahiti für Louis XV. in Besitz nahm und dort seinen „Garten Eden“ fand, wohl insbesondere wegen der Nacktheit der Einheimischen (mare No. 112), begeisterte ihn die Schönheit der nun entdeckten Insel gleichermaßen, sodass er diese kurzerhand nach sich selbst benannte. Indes fand auf Bougainville nie eine Kolonialisierung durch Frankreich statt – vielleicht der Grund, warum die Insel bis heute ihren Namen behielt. Ende des 19. Jahrhunderts wurden Bougainville und Buka Teil der deutschen Schutzgebiete in der Südsee und Deutsch-Neuguineas. Nach dem Ersten Weltkrieg wurden die Inseln qua Völkerbundsmandat von Australien verwaltet, im Zweiten Weltkrieg besetzte Japan sie kurzzeitig, bevor die Alliierten sie zurückeroberten. Von 1949 an wurde erneut Australien für das Territorium Papua und Neuguinea verantwortlich, das 1975 mit Bougainville unabhängig wurde. Bereits damals gab es Selbstständigkeitsbestrebungen: Wenige Tage, bevor Papua-Neuguinea Souveränität erlangte, proklamierte Bougainville gar seine Unabhängigkeit als „Republik der Nördlichen Salomonen“, scheiterte jedoch, weil der im Anschluss gebildete Zentralstaat eine Sezession ablehnte – vor allem, weil Bougainville im wahrsten Sinn des Worts eine Goldgrube ist.
Mit der Mine Panguna verfügt die Insel seit 1972 über eine der größten Kupfer- und Goldquellen der Welt. Nach der Staatswerdung Papua-Neuguineas bildete die Mine das Rückgrat der Volkswirtschaft des Lands und steuerte etwa 20 Prozent zu dessen Bruttosozialprodukt bei; betrieben wurde sie von dem australischen Unternehmen Bougainville Copper Limited, an der Papua-Neuguinea beteiligt war und die eine Tochtergesellschaft der britisch-australischen Rio Tinto Group ist. Zu Beginn der Förderung wurde zwar mit Vertretern Bougainvilles vereinbart, dass Teile der Gewinne aus dem Abbau an die Einheimischen fließen, letztlich landete dort aber nur ein Bruchteil davon – der damalige Premierminister der Provinz, Alexis Sarei, nannte die Insel „eine fette Kuh, die für Papua-Neuguinea gemolken wird“.
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Stephan Sura, Jahrgang 1986, ist freier Autor aus Köln. Während seiner Kindheit ließ sein Vater im Vorgarten einen Fahnenmast aufstellen und gab ihm einen Katalog mit allen Flaggen der Welt, um sich eine davon auszusuchen – die von Papua-Neuguinea begeisterte ihn wegen des majestätischen Paradiesvogels darauf am meisten.
Geric Cruz, Jahrgang 1985, lebt als freier Fotograf in Manila, Philippinen. Seine Bilder offenbaren oft das Immaterielle. Erinnerung und Spiritualität sind für Cruz von zentraler Bedeutung bei der Betrachtung von Menschen und Orten. Seine Fotografien werden in Australien, Europa und Asien ausgestellt sowie unter anderem in „The Fader“, „Pulitzer Center“, „Time“ und „M, Le Magazine du Monde“ veröffentlicht.
Vita | Stephan Sura, Jahrgang 1986, ist freier Autor aus Köln. Während seiner Kindheit ließ sein Vater im Vorgarten einen Fahnenmast aufstellen und gab ihm einen Katalog mit allen Flaggen der Welt, um sich eine davon auszusuchen – die von Papua-Neuguinea begeisterte ihn wegen des majestätischen Paradiesvogels darauf am meisten. Geric Cruz, Jahrgang 1985, lebt als freier Fotograf in Manila, Philippinen. Seine Bilder offenbaren oft das Immaterielle. Erinnerung und Spiritualität sind für Cruz von zentraler Bedeutung bei der Betrachtung von Menschen und Orten. Seine Fotografien werden in Australien, Europa und Asien ausgestellt sowie unter anderem in „The Fader“, „Pulitzer Center“, „Time“ und „M, Le Magazine du Monde“ veröffentlicht. |
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Person | Von Stephan Sura und Geric Cruz |
Vita | Stephan Sura, Jahrgang 1986, ist freier Autor aus Köln. Während seiner Kindheit ließ sein Vater im Vorgarten einen Fahnenmast aufstellen und gab ihm einen Katalog mit allen Flaggen der Welt, um sich eine davon auszusuchen – die von Papua-Neuguinea begeisterte ihn wegen des majestätischen Paradiesvogels darauf am meisten. Geric Cruz, Jahrgang 1985, lebt als freier Fotograf in Manila, Philippinen. Seine Bilder offenbaren oft das Immaterielle. Erinnerung und Spiritualität sind für Cruz von zentraler Bedeutung bei der Betrachtung von Menschen und Orten. Seine Fotografien werden in Australien, Europa und Asien ausgestellt sowie unter anderem in „The Fader“, „Pulitzer Center“, „Time“ und „M, Le Magazine du Monde“ veröffentlicht. |
Person | Von Stephan Sura und Geric Cruz |