Beste Freunde

Ein Apotheker mischt eine Heiltinktur für die rauen Hälse englischer Nordseefischer. Als er schließlich daraus Pastillen formt, beginnt der einzigartige Siegeszug von „Fisherman’s Friend“ um die Welt

Dies ist die Geschichte eines langen Atems. Sie handelt von einem Träumer und einem Apotheker, vom Kalten Krieg, von Helden und von Husten. Und sie spielt an einem windigen Zipfel der Küste Lancashires im Nordwesten Englands. Dort, wo die Stürme wissen, wie man wütet, und die Menschen, wie es ist, eine Hassliebe zu spüren. Für die See, die sie stets nährte und ihnen nahm, was sie liebten. Die Geschichte beginnt mit einem Kaninchenhügel.

Das heißt, sie könnte auch mit den beige­farbenen Fabrikhallen beginnen, die kurz hinter dem Ortseingang von Fleetwood stehen. Rot und in riesenhafter Schrift steht „Fisherman’s Friend“ darauf geschrieben. Hier in der 26 000 Einwohner zählenden Stadt am Meer werden die Lutschpastillen hergestellt, die fast jeder kennt, weil sie weltweit in rund 120 Ländern verkauft werden. Zu den Hallen jedoch bekommt man keinen Zutritt. Und auch an die Firmeninhaber kommt man kaum heran. Zu Interviews sagen sie meist das gleiche, wie zu den regelmäßig hereinflatternden Übernahmeangeboten von Lebensmittelgiganten: „Nein.“

Man muss also einen anderen Weg gehen, um zu begreifen, wie es zu dem Erfolg der berühmten Hustenbonbons kam. Man muss gut 150 Jahre zurückgehen. Damals lebte in der Stadt ein Mann namens James Lofthouse. Er stammte aus Lancaster und war ins 40 Kilometer entfernte Fleetwood gezogen, um an der Hauptstraße, Lord Street/Ecke Preston Street, eine Apotheke zu eröffnen. Hier tüftelte er 1865 an einer Tinktur aus Lakritz, Eukalyptus und Menthol. Er wollte Fischern helfen, die mit schmerzenden Bronchien von der See zurückkamen.

Dazu muss man dreierlei wissen: Ers­tens waren die Apotheker jener Zeit die Ärzte der kleinen Leute. Krankenversicherungen gab es nicht. Wer sich den Besuch beim Doktor nicht leisten konnte, ging in die Apotheke und ließ sich ein Mittelchen brauen. Selbst Zähne zogen die Apotheker von damals. Zweitens war Fleetwood gerade erst gegründet worden. Lofthouse war einer der ersten Apotheker in der Stadt.

Noch 30 Jahre zuvor gab es an dem Küstenabschnitt nicht viel. Weite Sandflächen voller Seevögel, ein paar Fischerhütten und einen Sandhügel, an dem ein Mann aus der Umgebung Kaninchen jagte. Doch dann kam einer, der das Land erbte und in eine geschäftige Kleinstadt verwandelte: Peter Hesketh, ein gut aussehender Dandy, steinreich, High Sheriff der Grafschaft Lancashire, Abgeordneter in Pres­ton und Nachfahre der angesehenen Familie Fleetwood. Seine Urlaube verbrachte er gern in den Seebädern Südenglands. Doch anders als viele in seinen Kreisen bemerkte er, dass es zwei Welten gab – seine, die privilegiert war, und eine voller Armut und Elend.

Es war die Zeit der Industriellen Revolution. Aus den Schloten der Baumwoll­fabriken von Lancashire drang schwarzer Rauch. Hesketh fand, dass es jedem möglich sein sollte, sich an der Seeluft zu erholen. So begann sein Traum vom ersten Seebad für die Arbeiterklasse.

Und die Zeichen standen gut. Die Dampflok kam. Im ganzen Land wurden Eisenbahnstrecken gebaut. Hesketh sorgte für den Anschluss Fleetwoods. Und einen Hafen sollte es geben. In seinem Seebad, dachte Hesketh, könnte Handel betrieben werden, und Reisende könnten von hier aus in Schiffe nach Schottland steigen.

Hesketh’ Freund Decimus Burton, Sohn eines berühmten Architekten, setzte sich an den Zeichentisch und entwarf die neue Stadt – mit breiten Straßen, die sternförmig vom alten Kaninchenhügel abgingen. Er plante eine chinesische Pagode, das elegante „North Euston Hotel“, einen Hafen und zwei Leuchttürme.

Doch kaum hatte man der Stadt Leben eingehaucht, kaum kamen die ersten Arbeiter zur Sommerfrische, ging es wieder bergab. Hesketh ging das Geld aus, immer wieder standen Bauarbeiten still. Außerdem wurde die Eisenbahnstrecke bis nach Schottland ausgebaut, was man wenige Jahre zuvor noch für unmöglich hielt. Fleetwood als Transithafen hatte sich er­ledigt und drohte wieder einzuschlafen.

Es war die Fischerei, die den Ort damals rettete. Punkt drei, weshalb ein Apotheker überhaupt eine Tinktur gegen den Husten der Seemänner erfand. Seit Generationen hatten Menschen in der Gegend gefischt, doch die Bahnanbindung und der neue Hafen brachten das Geschäft in Gang. Plötzlich konnte die Muschel- und Krabbenernte schneller transportiert werden. Plötzlich segelte man immer weiter hinaus und fing Kabeljau, Seehecht, Rochen, Dornhai. Es muss eine Art Goldgräberstimmung geherrscht haben, als Lofthouse das Hustenmittel erfand.

Ende des 19. Jahrhunderts kamen die Dampfschiffe. Die Bahn karrte Kohle herbei und verteilte den Fisch im Land. Die Stadt an der Westküste wuchs und wurde zum drittgrößten Fischereihafen Großbritanniens. Die Fischer wurden die Helden der Stadt. Bei eisiger Kälte holten sie in den nordischen Gewässern die Netze an Bord. Unzählige Männer nahm das Meer gleich mit. Und noch etwas drohte dort oben: das Eis.


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mare No. 116

No. 116Juni / Juli 2016

Von Andrea Walter

Andrea Walter, Jahrgang 1976, freie Journalistin in Hamburg, aß für diese Geschichte nicht nur viele „Fisherman’s“, sondern trank auch viel Tee und Bier, um mit den Leuten im Ort ins Gespräch zu kommen. So erfuhr sie eine Menge über die Familie Lofthouse.

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Vita Andrea Walter, Jahrgang 1976, freie Journalistin in Hamburg, aß für diese Geschichte nicht nur viele „Fisherman’s“, sondern trank auch viel Tee und Bier, um mit den Leuten im Ort ins Gespräch zu kommen. So erfuhr sie eine Menge über die Familie Lofthouse.
Person Von Andrea Walter
Vita Andrea Walter, Jahrgang 1976, freie Journalistin in Hamburg, aß für diese Geschichte nicht nur viele „Fisherman’s“, sondern trank auch viel Tee und Bier, um mit den Leuten im Ort ins Gespräch zu kommen. So erfuhr sie eine Menge über die Familie Lofthouse.
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