„Besser mit untergehen“

Wenn ein Schiff sinkt, geht der Kapitän als Letzter von Bord. Oder etwa doch nicht? Neues über einen alten Ehrenkodex

Die Wellen peitschen acht Meter hoch, als auf dem griechischen Kreuzfahrtschiff „Oceanos" vor der Küste Südafrikas ein Leck bemerkt wird. Hunderte Passagiere flüchten an diesem 4. August 1991 in die Rettungsboote oder springen ins Wasser. Doch schließlich sind immer noch 170 Menschen an Bord des sinkenden Schiffes - unter ihnen der Kapitän Jannis Avranas. Und der tut etwas Ungewöhnliches: Als ein Rettungshubschrauber die Menschen einzeln vom Boot zu retten beginnt, drängelt er sich einfach vor. „Ich setzte gerade eine alte Dame in die Rettungsschaukel, als der Kapitän kam und forderte, dass er als Nächster in den Hubschrauber gezogen werden müsse", erzählt ein Zeuge später vor Journalisten. „Während ich mich auf die Suche nach einem weiteren alten Passagier machte, saß der Kapitän bereits im Rettungsgurt und wurde nach oben gezogen."

Rechtlich gesehen durfte Kapitän Avranas das. Jedenfalls, wenn er gut begründen konnte, dass die Rettungsaktion vom Hubschrauber aus besser zu koordinieren war. Als ehrenwert gilt solches Verhalten trotzdem nicht. Denn in der Praxis wendet man für gewöhnlich eine Art Ehrenkodex an: Der Kapitän verlässt als Letzter sein Schiff. Doch woher kommt dieser Spruch eigentlich?

Selbst unter Kapitänen ist das nicht ganz gewiss. Früher, so wird gemutmaßt, sei ein Kapitän bei Totalverlust voll zur Verantwortung gezogen worden. „Meistens waren sie ja auch noch Miteigentümer der Ladung und mussten beim Überleben für den Verlust derselben haften. Besser war es, mit unterzugehen", sagt Glenn Wrede, selbst Kapitän.

Fest niedergeschrieben sei der Grundsatz nirgendwo, so Jan-Thiess Heitmann vom Deutschen Verein für Internationales Seerecht. Aber, so meint auch Heitmann: „Die Kapitäne hatten früher ein großes Eigeninteresse. Deshalb versuchten sie bis zuletzt, die Ladung zu retten."

Heute, da Schiff und Ladung für gewöhnlich nicht dem gehören, der sie über die Meere bringt, ist aus dem Zwang zum Rettenmüssen eine Ehrenpflicht geworden. Wer diese verletzt, zieht den Unmut seines Berufsstandes auf sich. Verklagt werden kann er dafür aber nicht.

„Es gibt kein Gesetz, das den Kapitän zum bedingungslosen Bleiben verpflichtet", sagt Jurist Jan-Thiess Heitmann. „Allerdings hat er natürlich eine Fürsorgepflicht für seine Passagiere. Und wenn er nur sich selbst rettet, obwohl er sieht, dass jemand anderes in Gefahr ist, dann könnte er wegen unterlassener Hilfeleistung belangt werden."

Hätte er nachweislich verhindern können, dass das Schiff untergeht, so hätte er sogar gegen das Eigentumsrecht verstoßen - schließlich vertritt er den Reeder an Bord. Er muss also auch dafür sorgen, dass dessen Eigentum nicht beschädigt wird. „Die meisten Kapitäne füllen ihre Pflichten aber extrem verantwortungsbewusst aus", so Heitmann.


Dies ist ein Auszug aus dem Text. Den ganzen Beitrag lesen Sie in mare No. 79. Abonnentinnen und Abonnenten lesen ihn auch hier im mare Archiv.

mare No. 79

No. 79April / Mai 2010

Von Marike Frick

Marike Frick, Jahrgang 1980, besuchte bis zum Dezember 2008 die Henri-Nannen-Journalistenschule und schreibt seitdem als freie Autorin unter anderem für mare und DIE ZEIT. Ihr besonderes Interesse gilt historischen Reportagen.

Mehr Informationen
Vita Marike Frick, Jahrgang 1980, besuchte bis zum Dezember 2008 die Henri-Nannen-Journalistenschule und schreibt seitdem als freie Autorin unter anderem für mare und DIE ZEIT. Ihr besonderes Interesse gilt historischen Reportagen.
Person Von Marike Frick
Vita Marike Frick, Jahrgang 1980, besuchte bis zum Dezember 2008 die Henri-Nannen-Journalistenschule und schreibt seitdem als freie Autorin unter anderem für mare und DIE ZEIT. Ihr besonderes Interesse gilt historischen Reportagen.
Person Von Marike Frick