Balla Balla

Zweimal im Jahr, Weihnachten und Neujahr, vergessen die Männer von den Orkneyinseln ihre gute Erziehung und widmen sich einem archaischen Ballspiel: den Ba’ Games

Vielleicht ist es ein nicht gezähmtes Wikingergen aus dem frühzeitlichen Skandinavien, das immer mal wieder hervorbricht. Zweimal im Jahr nämlich, zu Weihnachten und am Neujahrsmorgen, finden in Kirkwall die Ba’ Games statt. Kirkwall ist der Hauptort der Orkneys, die Ba’ Games gelten als ein Spiel, bei dem ein lederner Ball, der Ba’, ins jeweilige Heimtor gebracht werden muss. Bei dem einen Tor handelt es sich um einen Hausgiebel, das andere ist ein tennisplatzgroßer Teil des Hafenbeckens. Bei dem Spiel stehen sich zwei Mannschaften gegenüber, die „Uppies“ aus der Oberstadt und die „Doonies“ aus der Unterstadt. Die Teams kommen nur für dieses Ereignis zusammen, jedermann kann mitmachen, es wird nie trainiert, und es gibt keine Regeln. Das Ganze ist eine Art innerstädtisches Rugby, dessen Wurzeln, wie gesagt, in der Wikingervergangenheit der Schotten liegt. Das erklärt einiges.

Zum Beispiel, warum angesehene Bürger plötzlich zu Barbaren werden. „Sie hauen sich die Schädel ein, buchstäblich“, wunderte sich ein ausländischer Reporter vor ein paar Jahren. Zumindest an zwei Tagen im Jahr. Zum Christmas Ba’ und New Year Ba’ kommen vor Kirkwalls Fenster schwere Eichenplatten, von Schiffsnieten zusammengehalten. Die Türen werden mit fingerdicken Bohlen verrammelt, die Zeitungen empfehlen, Kinder nicht auf die Straße zu lassen. In den Kirchen, in denen die Kerzen der Ladenbesitzer und Hauseigentümer am größten sind, versammeln sich mehr Menschen als gewöhnlich – angeblich, weil dies um Weihnachten so üblich sei.

Kirkwall vor den Ba’ Games ist wie Miami vor einem Hurrikan. Was für ein wunderschöner Neujahrsmorgen. Die Sonne steht als leuchtender Ball über der Sankt-Magnus-Kathedrale im Herzen von Kirkwall. Auf dem Platz davor, am „Mercat Cross“, dem Marktkreuz, harren an die 1000 Menschen. Lachen, Whisky, Bier, Wein. Volksfeststimmung, die Herzen sind frei und froh. Bald rollt der Kopf.

Dem Stadtrat zittert die Stimme. „Liebe Mitbürger von Kirkwall!“ Ihm gegenüber steht sein Rathaus, dessen unterer Teil seit ein paar Tagen in einem Panzer aus Holz und Metall steckt. Der Stadtrat hält den Ball fest unterm Arm. Vor sich, inmitten der fein gekleideten Masse, sehen ihn an die 200 rotgesichtige Männer an. Im Gegensatz zu den Zuschauern ringsum tragen sie räudige Trikots und Hosen. Das ist der „Mob“. Schulter an Schulter drängen sie, eng umschlungen wie ein Fanchor.

„Fuck you, Arschloch! Du renkst mir den Arm aus!“ Starr blickt die Meute der Männer jetzt auf die Kirchturmuhr, flüsternd zählt sie den Countdown. 13 Uhr schlägt die Glocke, Punkt 13 Uhr wirft der Stadtrat den Ball. Punkt 13 Uhr schreit die Meute auf. „Yeah!!!“ Arme schnellen empor, sie recken sich dem Ball entgegen, genau so, wie es auf dem nahen Bronzerelief zu sehen ist: Männer, über ihnen der Ball wie ein dunkler, dämonischer Planet. Beine schlagen aus, Fäuste treffen. Der Ball fliegt in schönem Bogen, direkt in ihre Mitte. Er versinkt in ihrem Schlund. Über 4000 Pfund haben die Einwohner für das Relief gespendet, Uppies wie Doonies. Ein schönes Beispiel der Eintracht. „Reiß ihm das Ohr ab, Brian!“ „Brich ihm die Knochen, Mick!“ „Mach ihn fertig, John!“ Der Ball, um den es geht, ist tief in der Masse versteckt. Es war einmal ein abgeschlagener Kopf, jedenfalls, wenn man dem Histörchen glaubt, das hier „the delightful old tale“ heißt, die „entzückende alte Geschichte“. Demnach gab es in der Gegend vor Urzeiten einen Tyrannen, der ziemlich albern aussah. Er hatte zwei riesige Schneidezähne, sodass ihn jeder nur „Tusker“, Stoßzahn, nannte. Der Hass des Volkes zwang ihn irgendwann zur Flucht, doch die Angst vor seiner Rückkehr blieb groß. So machte sich ein junger Recke auf, ihn endgültig zu bezwingen. Mit dem Kopf des Tyrannen kehrte er heim, da war die Freude groß.

Aber nicht lange: Weil der Kopf, lose am Sattel befestigt, hin und her schwang, hatten die herausragenden Zähne dem Helden ein paar arge Wunden ins Bein gerissen. Mit Mühe und Not erreichte er das Marktkreuz bei der Sankt-Magnus-Kathedrale in Kirkwall, mit letzter Kraft warf er der jubelnden Menge den verhassten Kopf zu. Dann verblich er. Das Volk aber, erbost über diese letzte Tat des Tyrannen, kickte dessen Schädel durch Kirkwalls Straßen. Das also ist der Ursprung der Ba’ Games. Einigen Patrioten reichen übrigens ein paar historische Kurzpässe, um am Ende auch den Fußball auf diese Legende zurückzuführen. „Doonies, Doonies, do it!“ „Up, up, Uppies!“ „Er blutet, er blutet! Sanitäter!“

An die 200 Männer haben sich verknäult, noch immer raufen sie sich an der Kathedrale, wo vor einer halben Stunde der Einwurf war. Am Rand stehen die Frauen, die Freundinnen der Kämpfer. Sie johlen, kreischen, sie brüllen Schlachtrufe, und wenn sie glauben, keiner sieht es, treten sie dem Gegner gewaltig in den Hintern. Doch kommen die Furien dem Mahlstrom der Leiber zu nahe, saugt der sie unerbittlich ein. Dann dürfen sie froh sein, wenn man ihnen nur die Frisur zerzaust. Die Masse wogt mal in die eine, mal in die andere Richtung; viel mehr passiert eigentlich nicht. Manchmal steigt ein Geheul zum Himmel, dass einem das Blut gefriert. Doch halb so schlimm, nur ein paar Schürfwunden, eine gebrochene Nase, ein ausgerenkter Arm hier und da.


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mare No. 71

No. 71Dezember 2008 / Januar 2009

Von Maik Brandenburg und David Gillanders

Fotograf David Gillanders ist Schotte und lebt in Glasgow. In Kirkwall fühlte er sich in seine Jugend versetzt. Als Teenager hat er auf Turnieren geboxt. So gesehen waren die Ba’ Games für ihn nichts Neues. Er befand sich immer mitten im Geschehen. Der Preis dafür: Eine seiner Kameras ging zu Bruch.

Autor Maik Brandenburg lebt auf Rügen. Letztes Silvester verbrachte er in den Pubs von Kirkwall. Immer wieder musste er Stellung nehmen zu der alles entscheidenden Frage: Bist du für die Uppies oder für die Doonies? Seine Sympathie schwankte – wie am Ende er selbst. „Für jede richtige Antwort bekam ich einen Whisky spendiert.“

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Vita Fotograf David Gillanders ist Schotte und lebt in Glasgow. In Kirkwall fühlte er sich in seine Jugend versetzt. Als Teenager hat er auf Turnieren geboxt. So gesehen waren die Ba’ Games für ihn nichts Neues. Er befand sich immer mitten im Geschehen. Der Preis dafür: Eine seiner Kameras ging zu Bruch.

Autor Maik Brandenburg lebt auf Rügen. Letztes Silvester verbrachte er in den Pubs von Kirkwall. Immer wieder musste er Stellung nehmen zu der alles entscheidenden Frage: Bist du für die Uppies oder für die Doonies? Seine Sympathie schwankte – wie am Ende er selbst. „Für jede richtige Antwort bekam ich einen Whisky spendiert.“
Person Von Maik Brandenburg und David Gillanders
Vita Fotograf David Gillanders ist Schotte und lebt in Glasgow. In Kirkwall fühlte er sich in seine Jugend versetzt. Als Teenager hat er auf Turnieren geboxt. So gesehen waren die Ba’ Games für ihn nichts Neues. Er befand sich immer mitten im Geschehen. Der Preis dafür: Eine seiner Kameras ging zu Bruch.

Autor Maik Brandenburg lebt auf Rügen. Letztes Silvester verbrachte er in den Pubs von Kirkwall. Immer wieder musste er Stellung nehmen zu der alles entscheidenden Frage: Bist du für die Uppies oder für die Doonies? Seine Sympathie schwankte – wie am Ende er selbst. „Für jede richtige Antwort bekam ich einen Whisky spendiert.“
Person Von Maik Brandenburg und David Gillanders