Austern im Ausschank

Im französischen Saint-Jean-de-Luz, am Atlantik kurz vor der spanischen Grenze, lockt ein kleines Fischrestaurant mit illustrer Geschichte in die Markthalle

Die Sardinen sind so gross, dass sie in keine Dose passen würden. Und sie sind frisch, vor zwei Stunden schwammen sie noch im Atlantik. Jean Laborde, ein schwarzhaa-riger, braungebrannter Baske Mitte 30, serviert ein halbes Dutzend davon, in Olivenöl gebraten, dazu frisches Baguette und Rotwein in einer Glaskaraffe.

Seine Familie betreibt das kleine Restaurant seit den dreißiger Jahren. Einen Namen hat es nicht, im Mietvertrag heißt es „Buvette de la Halle“, der kleine Ausschank der Markthalle. Die steht im Zentrum von Saint-Jean-de-Luz, einer Baskenstadt im Südwesten Frankreichs kurz vor der spanischen Grenze. Im Vertrag steht auch, dass die Buvette an Markt-tagen morgens um sieben öffnen muss.

Die Halle sieht aus wie ein Bahnhof, und das war sie auch mal. Dann wurde der Vorortzug eingestellt, und die Händler zogen mit Obst, Gemüse, Käse und frischem Fisch ein. In der Ecke gegenüber der alten Bahnhofsuhr hängt ein handgemaltes Schild: „Crustacés et Sardines Grillées“ – gegrillte Krustentiere und Sardinen. Darunter eine winzige Resopaltheke, denn eigentlich ist das Restaurant ein Fischimbiss. Nur im Sommer stellen die Labordes Tische vor die Halle auf das Trottoir. Dann kann man beim Essen die Flaneure, Touristen und Einheimische, an sich vorbeiziehen lassen oder den Hafen beobachten, den Saint-Jean-de-Luz mit Ciboure teilt, wo der Komponist Maurice Ravel geboren ist.

Früher schenkten die Labordes nur Kaffee aus. Dazu aßen die Bauern und Fischer belegte Brote, die sie von zu Hause mitgebracht hatten. „Eines Tages hatte jemand einen rohen Fisch dabei und bat die Großmutter, ihn zu braten“, sagt Jean, der in der Buvette bedient, seit er 13 ist. „Damit fing es an, und heute bringen sie im Winter noch immer ihren Fisch.“

Die Großmutter ist lange tot, inzwischen führt Jeans Mutter Thérèse, die auch schon 60 ist, den Laden. „Mutter brät die Fische und verkauft den Leuten Getränke. Sie verdient im Sommer genug am Essen, zumal sie auch so neumodischen Kram auf die Speisekarte gesetzt hat wie Eiskrem und Pommes frites.“ Jetzt will sie auch noch Fleischgerichte anbieten. „Sie stammt aus Espelette“, führt Jean als Entschuldigung an. „Dort essen die Leute Fleisch.“ Er würde am liebsten alles von der Speisekarte – eine Schiefertafel neben dem Eingang – verbannen, was nicht im Meer schwimmt.

Wer die Austern und Muscheln probiert, möchte ihm Recht geben. Wer braucht da noch Pommes frites oder Steaks? Muscheln und Austern stammen aus der Bucht von Arcachon, Familie Laborde kennt den Lieferanten seit Jahrzehnten. Den Fisch beziehen sie von Fischern im Hafen von Saint-Jean-de-Luz. „Wir nehmen nur Ware, die mit der traditionellen Methode gefangen wurde“, sagt Jean. „Geangelter Fisch ist einfach besser. Fängt man zum Beispiel Tunfisch mit dem Netz, bekommt er Druckstellen. So etwas können wir nicht anbieten.“

Die älteren Stammkunden kennen den Laden noch unter dem Namen „Karbidkiste“. „Im Zweiten Weltkrieg gab es keinen Strom, und wir benutzten Karbidlampen“, erklärt Jean Laborde. Sein Vater Jean – „in unserer Familie heißen alle Männer Jean“ – war damals Fleischerlehrling. Weil es während des Krieges keine Arbeit gab, ging er ausgerechnet nach Deutschland in eine Fabrik. Dort lernte er eine Gruppe von Kommunisten kennen und wurde von den Nazis verhaftet. „Eine Woche lang haben die ihn verhört, dann schickten sie ihn nach Frankreich zurück. Er hatte ein Verhältnis mit der Tochter des Bürgermeisters, und die legte ein gutes Wort für ihn ein.“

Zurück in Saint-Jean-de-Luz hätte er den kleinen Imbiss fast zu Grunde gerichtet. „Er sang für sein Leben gerne, aber noch lieber trank er Wein.“ Wenn er einmal in Fahrt war, wurde nicht mehr gekocht, die Leute mussten warten. „Oh Gott, war mir das peinlich“, erinnert sich Jean. Dann verschwindet er in der Küche und kommt mit einem Teller voller Austern zurück. „Sie sind gerade geliefert worden“, sagt er, drückt einen Tropfen Zitrone aus, schlürft eine Auster und reicht den Teller weiter. „Die müsst Ihr probieren.“


Frische Austern

Zutaten und Zubehör

Austern, Zitrone, kurzes Messer, feste Handschuhe

Zubereitung

Austern säubern, mit dem Messer den Muskel durchtrennen, der die Schalen zusammenhält. Auster von der Schale abschneiden, mit Zitrone beträufeln.


Buvette de la Halle, Markthalle
Boulevard Victor Hugo, F-64500 Saint-Jean-de-Luz,
Tel. 0033/559/267359,
im Sommer täglich von 9 bis 13 und 19 bis 23 Uhr geöffnet, an Markttagen (Dienstag und Freitag) ab 7 Uhr, im Winter nur an Markttagen

mare No. 20

No. 20Juni / Juli 2000

Von Ralf Sotscheck und Catherine Henriette

Ralf Sotscheck, 1954 in Berlin geboren, studierte Wirtschaftspädagogik an der Freien Universität Berlin. Er ist langjähriger Korrespondent der tageszeitung für Großbritannien und Irland. Seit 1985 lebt er in der irischen Hauptstadt Dublin und hat mehrere Bücher über Irland verfasst, u. a. die erfolgreiche Ausgabe Gebrauchsanweisung Irland.

Catherine Henriette, Jahrgang 1960, lebt in Paris und im Baskenland. Sie studierte Chinesisch und lebte und arbeitete von 1985 bis 1991 als Pressefotografin in Peking. Seither kehrt sie auch als freie Fotografin immer wieder nach China zurück.

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Vita Ralf Sotscheck, 1954 in Berlin geboren, studierte Wirtschaftspädagogik an der Freien Universität Berlin. Er ist langjähriger Korrespondent der tageszeitung für Großbritannien und Irland. Seit 1985 lebt er in der irischen Hauptstadt Dublin und hat mehrere Bücher über Irland verfasst, u. a. die erfolgreiche Ausgabe Gebrauchsanweisung Irland.

Catherine Henriette, Jahrgang 1960, lebt in Paris und im Baskenland. Sie studierte Chinesisch und lebte und arbeitete von 1985 bis 1991 als Pressefotografin in Peking. Seither kehrt sie auch als freie Fotografin immer wieder nach China zurück.
Person Von Ralf Sotscheck und Catherine Henriette
Vita Ralf Sotscheck, 1954 in Berlin geboren, studierte Wirtschaftspädagogik an der Freien Universität Berlin. Er ist langjähriger Korrespondent der tageszeitung für Großbritannien und Irland. Seit 1985 lebt er in der irischen Hauptstadt Dublin und hat mehrere Bücher über Irland verfasst, u. a. die erfolgreiche Ausgabe Gebrauchsanweisung Irland.

Catherine Henriette, Jahrgang 1960, lebt in Paris und im Baskenland. Sie studierte Chinesisch und lebte und arbeitete von 1985 bis 1991 als Pressefotografin in Peking. Seither kehrt sie auch als freie Fotografin immer wieder nach China zurück.
Person Von Ralf Sotscheck und Catherine Henriette