Globaler Wassermangel? Besucher von einem anderen Himmelskörper könnten dieses Problem wohl kaum verstehen, denn aus dem All betrachtet, dominiert Wasser das Bild des Blauen Planeten. Schätzungsweise anderthalb Milliarden Kubikkilometer Wasser gibt es auf der Erde, anderthalbtausend Millionen Würfel mit einer Kantenlänge von einem Kilometer. Um das in Litern auszudrücken, braucht man eine Zahl mit 18 Stellen.
Von Wassermangel also keine Spur, sollte man denken. Doch der Blick aus dem All täuscht. Denn für die meisten Lebewesen ist das Wasser der Ozeane Gift. Anstatt den Durst zu stillen, entzieht es dem Körper mit seinem hohen Salzgehalt sogar noch Feuchtigkeit. Wen die Natur also nicht mit speziellen Organen zur Salzsekretion versehen hat, ist – wie der Mensch und die meisten Landbewohner – auf Süßwasser angewiesen.
Und dieses Lebenselixier ist weit rarer als sein versalzenes Pendant. Entspräche die Gesamtmenge irdischen Wassers einer Badewannenfüllung von 150 Litern, so wäre nicht einmal ein halber Eimer (drei Prozent) davon Süßwasser, das realiter obendrein noch zu drei Vierteln im Eis der Polkappen und Gletscher gebunden ist. Vom verbleibenden flüssigen Süßwasser findet sich ein Großteil unter der Erdoberfläche. Seen und Flüsse füllen gerade einmal ein Schnapsglas, und nur einige Tropfen wabern als Wasserdampf in der Atmosphäre.
So betrachtet, erscheint die globale Wasserknappheit schon plausibler. Und doch stünde dem Leben auf der Erde mit rund zehn Millionen Kubikkilometern eigentlich mehr als genug flüssiges Süßwasser zur Verfügung. Das nächste Problem mit dem feuchten Nass: Es ist sehr ungleichmäßig über den Globus verteilt. So beherbergt der asiatische Kontinent zwar fast zwei Drittel der Menschheit, bekommt aber nur ein Drittel der weltweiten Niederschläge ab. Und in Folge der globalen Klimaveränderung und lokaler Umweltsünden können sich heute selbst traditionell niederschlagsreiche Regionen ihres Wassers nicht mehr sicher sein. Die Bewohner des brasilianischen Amazonasbeckens etwa erlebten im vergangenen Herbst die schlimmste Dürre seit über 20 Jahren. Flussfischer mussten halbstündige Fußmärsche auf sich nehmen, um von ihren Häusern an das einst nahe Ufer zu gelangen; durch ausgetrocknete Wasserstraßen von der Außenwelt abgeschnittene Ureinwohner wurden vom Militär per Hubschrauber notversorgt.
Von Wasserstraßen nicht einmal träumen können die Anrainer des Persischen Golfs. Hier fällt so gut wie überhaupt kein Regen. Die raren Grundwasserreservoirs stammen aus klimageschichtlich besseren Zeiten und können die Bevölkerung schon lange nicht mehr ausreichend mit Trinkwasser versorgen.
Deshalb setzen die Ölscheichs seit Jahrzehnten auf eine Technologie, die die praktisch unbegrenzten Wasservorräte der Ozeane nutzbar macht: die Entsalzung von Meerwasser. Schon in den fünfziger und sechziger Jahren entstanden am Golf erste Entsalzungsanlagen im großen Stil. Ihr Prinzip war altbekannt und wurde im kleinen Maßstab schon länger auf Schiffen angewandt: Meerwasser wird bis zum Siedepunkt erhitzt und verdunstet, wobei es die in ihm gelösten Salzionen wie Natrium und Chlorid in der verbleibenden Sole zurücklässt. In einem zweiten Schritt wird der heiße Dampf wieder abgekühlt und kondensiert zu Süßwasser. Im Idealfall ist dieses destillierte Wasser so rein, dass man ihm sogar wieder ein wenig Salz zusetzen muss, um es genießbar zu machen.
„Nach diesem thermischen Prinzip funktionieren nach wie vor die meisten der etwa 12000 Meerwasserentsalzungsanlagen weltweit“, sagt Claus Mertes vom Industrieverein Deutsche Meerwasserentsalzung. Sie produzieren rund 38 Millionen Kubikmeter Trinkwasser am Tag, mehr als das Doppelte des Verbrauchs aller deutschen Privathaushalte, schätzt der Entsalzungsexperte. Vor allem die arabischen Länder am Golf sind weitgehend von der Technologie abhängig. Allein die riesigen Wasserfabriken Saudi-Arabiens produzieren täglich über 6,5 Millionen Kubikmeter Wasser. Im winzigen Nachbarstaat Bahrain ist die Entsalzung – abgesehen von importieren Mineralwässern – inzwischen die einzige Quelle von Trink- wasser. Denn das Wasser der wenigen Brunnen des Landes ist inzwischen durch nachdrückendes Meerwasser ungenießbar und muss ebenfalls in Entsalzungsanlagen nachbehandelt werden.
Das luxuriöse Leben auf künstlichen Inseln und bewässerten Golfplätzen verdanken die Scheichs neben dem Meerwasser aus dem Golf vor allem ihren Erdölreserven. Diese liefern die zweite Zutat, ohne die Meerwasserentsalzung im großen Stil nicht möglich ist: Energie. Denn Wasser ist ein Saft, der ausgesprochen ungern von einem in den anderen Aggregatzustand übergeht. Mehr als 2200 Kilojoule braucht es deshalb, um einen Liter Wasser von 100 Grad Celsius in ebenso heißen Dampf zu verwandeln, mehr als fünf Mal so viel wie für das Erhitzen des kalten Wassers bis zu dieser Temperatur. Die für das Verdampfen eingesetzte Energie wird allerdings nach den Gesetzen der Thermodynamik beim Kondensieren auch wieder frei und lässt sich zum Vorwärmen des eingeleiteten Meerwassers nutzen. Mit diesem Wärmerecycling und einer Vielzahl weiterer technischer Tricks wie dem Herabsetzen der Siedetemperatur durch Unterdruck lassen sich rund 90 Prozent der eingesetzten Energie einsparen. Doch selbst in modernsten Großanlagen bleibt der Energieaufwand enorm: Gut 200 Joule je Liter Wasser gelten zurzeit als untere Grenze für thermische Anlagen. Trotz dieses immer noch enormen Energiebedarfs können thermische Entsalzungsanlagen aber ökonomisch sinnvoll sein, wenn sie die Abwärme von Kraftwerken nutzen, die quasi nebenbei noch Strom erzeugen. „Die Großanlagen der Saudis werden deshalb immer im Doppelpack mit einem dazugehörigen Kraftwerk geplant“, erklärt Mertes. „Dabei bestimmt allerdings die benötigte Wassermenge die Kapazität des Kraftwerks, nicht andersherum.“
Länder, die nicht auf großen Ölreserven sitzen, aber doch Meerwasser entsalzen müssen, setzen verstärkt auf die zweite großtechnisch etablierte Methode, die mit etwa 15 Joule je Liter weit weniger Energie benötigt: die Umkehrosmose. Das Grundprinzip der „reverse osmosis“ (RO) ähnelt dem eines Kaffeefilters. Dessen Rolle übernimmt bei der RO eine Membran, deren wenige Nanometer messende Poren alles zurückhalten, was die Größe eines Wassermoleküls wesentlich überschreitet – also auch die im Wasser gelösten Salzionen. Das so entsalzte Wasser wird auf der anderen Seite aufgefangen, die konzentrierte Salzsole entsorgt und durch frisches Meerwasser ersetzt.
So weit, so einfach. Doch wieder kommen die Gesetze der Thermodynamik in die Quere, diesmal in Form des osmotischen Drucks. Der sorgt dafür, dass an einer solchen semipermeablen Membran normalerweise die höher konzentrierte von zwei Salzlösungen die Wassermoleküle auf ihre Seite, also genau entgegen der gewünschten Richtung, zieht. Dieses als Osmose bekannte Phänomen lässt sich zwar umkehren. Dazu bedarf es jedoch eines hohen Drucks, der das Wasser durch die Membran presst – großtechnische Anlagen arbeiten oft im Bereich von 70 Bar, dem 20fachen Druck eines Autoreifens.
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Georg Rüschemeyer ist Biologe und als Wissenschaftsautor meist in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung zu lesen. Er lebt in Leipzig.
Der Fotograf Axel Kruse, ein gebürtiger Hamburger, ist Gründungsmitglied der Agentur Laif. Nach Stationen in Südamerika und Asien lebt er heute in Kairo.
Vita | Georg Rüschemeyer ist Biologe und als Wissenschaftsautor meist in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung zu lesen. Er lebt in Leipzig.
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Person | Von Georg Rüschemeyer und Axel Krause |
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