Auf Kreativurlaub mit ABBA

Welthits wie „Waterloo“ oder „Dancing Queen“ machten Abba unsterb­lich. Geschrieben wurden sie in einem Häuschen auf der einsa­men Schäreninsel Viggsö vor Stockholm

Schon am frühen Abend hielten Benny Andersson und Björn Ulvaeus die Kälte nicht mehr aus. Draußen wehte ein eisiger Winterwind, und in dem Holzhäuschen auf der schwedischen Schäreninsel Viggsö kam die Heizung gegen den Frost nicht an. Es war so kalt, dass Andersson seine klammen Finger kaum bewegen konnte und das Klavier zunehmend verstimmt klang. Doch die beiden Musiker waren zu aufgeregt, um Feierabend zu machen, sie waren einer besonderen Komposition ganz nahe. Also trugen sie das Klavier durch den kniehohen Schnee zum warmen Ferienhaus der Familie Ulvaeus.

„Es war eine ganz schöne Plackerei, das bleischwere Teil durch das Unwetter zu bugsieren, aber wir wussten, dass es sich lohnen würde. Wir waren unter Strom, weil wir dringend noch zwei Songs für unser Album benötigten.“ In dem gut geheizten Haus feilten sie die ganze Nacht an der Melodie, in den ersten Morgenstunden hatten sie endlich die erste Version eines Liedes, das 1980 in 21 Ländern die Top Ten erobern sollte und von vielen Experten als bester Abba-Song aller Zeiten gehandelt wird: „The Winner Takes It All“. „Ich weiß das alles noch, als wäre es gestern gewesen“, sagt Benny Andersson mit leiser Stimme und lächelt zufrieden.

Der 71-jährige Abba-Veteran sitzt in einem alten Ledersessel in seinem Studio im Zentrum von Stockholm, umgeben von Instrumenten und Mikrofonen. Es ist wieder einer dieser grauen skandinavischen Wintertage, an denen es kaum hell wird. Draußen schneit es, der Matsch auf den Straßen liegt knöchelhoch. Vier Wochen später wird er zusammen mit Björn Ulvaeus, Agnetha Fältskog und Anni-Frid Lyngstad die Welt in helle Aufregung versetzen. Völlig überraschend verkünden die vier Schweden, dass sie zwei neue Songs eingespielt haben und der erste davon, „I Still Have Faith In You“, im Dezember 2018 veröffentlicht werden soll. Eine Tournee ist ebenfalls geplant, allerdings nur mit Computersimulationen der Künstler. „Wir hatten alle vier das Gefühl, dass es nach 35 Jahren Spaß machen könnte, unsere Kräfte noch einmal zu vereinen und gemeinsam in ein Studio zu gehen. Also taten wir das. Und es fühlte sich tatsächlich an, als wäre die Zeit stehen geblieben und wir nur kurz im Urlaub gewesen. Es war eine extrem freudige Erfahrung. Wir mögen alt geworden sein, aber der Song ist neu!“ So lautet das Abba-Statement im Internet.

Benny Andersson sieht heute genauso unbeschwert aus wie zu Abbas besten Zeiten, nur eben älter, mit grauem Bart und Brille. Er könnte längst an den sonnigsten Orten der Welt Golf spielen oder sich hauptberuflich um die Enkel kümmern. Aber das passt nicht zu ihm, er ist besessen davon, Melodien zu erfinden. „Ich spüre diese Freude wirklich körperlich.“ Deshalb verbringt er nach wie vor jeden Wochentag von zehn bis 16 Uhr in seinem Studio. Sein Musikverlag, der sein Lebenswerk verwaltet, residiert nebenan.

Die Fortsetzung der Abba-Geschichte hat keine finanziellen Gründe, Abba haben gut 400 Millionen Tonträger verkauft und gelten als eine der erfolgreichsten Musikgruppen aller Zeiten. Eher wohl hat die Mitglieder die Herausforderung gereizt, in diesem Jahrtausend mit neuen Songs noch einmal die Charts zu erobern. Er staune wirklich, dass Abba immer

noch so populär seien, sagt Andersson und wirkt dabei nicht kokett. Mit seinem

alten Kumpan Björn Ulvaeus kümmert er

sich derzeit außerdem um die Musik für

die Fortsetzung des Musical-Blockbusters „Mamma Mia!“. Es geht um Stücke wie „Dancing Queen“, „Money, Money, Money“ oder eben „The Winner Takes It All“, also Musik, mit der man halbwegs vertraut ist, wenn man die vergangenen Jahrzehnte auf diesem Planeten verbracht hat.

Zehn Jahre lang, von 1972 bis 1982, waren Agnetha Fältskog, Anni-Frid Lyng-

stad, Björn Ulvaeus und Benny Andersson als Abba, wie die Initialen ihrer Vornamen zusammen klingen, aktiv, und sie produzierten Musik, die bis heute weltweit

gehört wird. Trotzdem wurden die vier Schweden lange als bieder belächelt, was auch daran lag, dass sie keine Skandale provozierten, keine Hotelzimmer verwüs-

teten, keine Drogen nahmen, sondern sich lieber jenseits des Rampenlichts um ein halbwegs geregeltes Familienleben bemühten. Dafür waren sie die ersten Musiker, die bewiesen, dass man nicht in London oder New York geboren sein musste, um eine Weltkarriere im Popgeschäft zu absolvieren.

Benny Andersson kam 1946 in Stockholm als Sohn eines Bauingenieurs zur Welt. Vom Vater und vom Großvater erbte er die Leidenschaft für Musik und schwedische Folklore. Andersson ist Autodidakt, er hat alles durchs Zuhören gelernt. „Die Musik von Abba ist tief in der euro-päischen Kultur verwurzelt. Dazu passt wohl, dass so viele unserer Songs auf

einer abgelegenen Schäreninsel entstanden sind.“ Als Keyboarder der schwedischen Beatband Hep Stars war Benny Andersson in den Sechzigern zum Teen-ageridol geworden. Björn Ulvaeus, der sich mit den Hootenanny Singers einen Namen gemacht hatte, lief ihm auf einer Party über den Weg. Kurz darauf lernten Björn und Benny Agnetha Fältskog und Anni-Frid Lyngstadt kennen und merkten bald, abgesehen von den -romantischen Gefühlen, die sie für die -Damen hegten, dass deren Stimmen perfekt zu ihren Kompositionen passten.

Bis heute lebt Andersson in Stockholm, er kann sich nicht vorstellen, wo-anders zu wohnen. „Es wäre mir nie in den Sinn gekommen, nach Los Angeles, New York oder London zu ziehen“, sagt er amüsiert. „Mir gefällt es ziemlich gut in Schweden. Ich habe einen tollen Job, eine großartige Familie, ein Sommerhaus, ein Boot und sehr viel Wasser um mich herum. Was will ich mehr? Ich könnte -nirgendwo leben, wo kein Wasser in der Nähe ist, es hat eine wundersame -Wirkung auf mich.“ Die meisten großen Abba-Songs entstanden mitten in der Ostsee, auf jener abgelegenen Schäreninsel namens Viggsö. „Die Umgebung half uns -damals, unsere Gedanken schweifen zu lassen. Der Blick über das Wasser war wirklich inspirierend.“


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mare No. 129

August / September 2018

Von Christoph Dallach

Selbst für Stockholmer Verhältnisse war das Wetter, mit Schneeregen und heftigen Böen, extrem, als Autor Christoph Dallach Benny Andersson traf. Vom Besuch auf Viggsö riet er ihm ausdrücklich ab, bot Tee an und riet, im Sommer wieder vorbeizukommen.

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Vita Selbst für Stockholmer Verhältnisse war das Wetter, mit Schneeregen und heftigen Böen, extrem, als Autor Christoph Dallach Benny Andersson traf. Vom Besuch auf Viggsö riet er ihm ausdrücklich ab, bot Tee an und riet, im Sommer wieder vorbeizukommen.
Person Von Christoph Dallach
Vita Selbst für Stockholmer Verhältnisse war das Wetter, mit Schneeregen und heftigen Böen, extrem, als Autor Christoph Dallach Benny Andersson traf. Vom Besuch auf Viggsö riet er ihm ausdrücklich ab, bot Tee an und riet, im Sommer wieder vorbeizukommen.
Person Von Christoph Dallach