Athlet im Abyssus

Keiner taucht so tief wie der Pottwal. Seine raffinierte Anatomieist selbst in 3000 Meter Tiefe dem enormen Druck gewachsen

Physeter macrocephalus holt Luft. Tief Luft. Dann lässt er sich majestätisch in die Tiefe gleiten, den gewaltigen Schädel voran. Eine Stunde lang passiert nichts. Endlich blubbert es vernehmlich, und wie ein Geysir zischt eine Fontäne in die Luft. Der Koloss ist wieder da. Träge, mit vollem Magen, lässt er sich mit der Dünung treiben. So sucht der Pottwal mehrmals am Tag die Tiefsee heim. Das Tier hält – mit einigem Vorsprung – den Tauchweltrekord.

An die drei Kilometer schafft ein ausgewachsener Pottwalbulle. Dokumentiert sind die 2800 Meter eines Exemplars, dessen Unterkiefer sich an einem Tiefseekabel fand. „Er muss mit offenem Maul unter das Kabel gekommen sein und sich verheddert haben“, mutmaßt Günther Behrmann vom Zentrum für Walforschung in Bremerhaven.

Die Rekordleistungen bedürfen einer besonderen Anatomie, denn der Leib hat einem enormen Druck standzuhalten. In drei Kilometer Tiefe herrschen 300 Atmosphären; auf einem Quadratmeter Walhaut lasten 3000 Tonnen. Der Mensch macht bereits bei 100 Meter Tiefe und zehn Atmosphären schlapp. Doch im Körper des Pottwals gibt es kaum Hohlräume, die unter Druck zusammengequetscht werden. Empfindlich sind lediglich Lunge und Herz. Letzteres schützt der Wal mit einem bis zu 90 Kilogramm schweren Brustbein – das größte überhaupt im Tierreich. Auch das Zwerchfell ist eine Sonderanfertigung der Natur: Je tiefer der Riese taucht, desto straffer spannt es sich und schirmt das Herz gegen den Wasserdruck ab.

Ebenso trickreich ist jenes Ventilsystem, mit dem der Pottwal den drohenden Lungenkollaps unterbindet. „Beim Eintauchen nimmt er im rechten Nasenloch rund 400 Liter Luft mit“, beschreibt Behrmann. „Beim Tauchen leitet er die Luft nach und nach in die Lunge und schafft so einen stetigen Druckausgleich.“ Schwimmt das Tier wieder aufwärts, pumpt es die verbrauchte Luft von der Lunge in den Rachen und lässt sie schubweise nach oben blubbern – übrigens ein Indiz für Walfänger, dass bald Beute auftaucht.

Erstaunlich ist auch die effiziente Sauerstoffverwertung. Mit einem Atemzug kommt ein 25-Meter-Riese bis zu zwei Stunden aus. Dahinter stecken wundersame Fähigkeiten: So tauscht das Tier beim Atmen bis zu 90 Prozent seines Lungenvolumens aus, der Mensch bringt es gerade auf 15 Prozent. Auch speichert der Wal zwei Drittel des Sauerstoffvorrats nicht in der Lunge, sondern in Blut, Fett und Muskulatur.

Seine Hämoglobinwerte dürften selbst Athleten beeindrucken: Ein „vollgetankter“ Pottwal kann sein Blut zu 45 Prozent mit Sauerstoff sättigen. Landsäuger erreichen allenfalls 34 Prozent. Der Umstand, dass die Tiere in ihren Lungen nur relativ wenig Luft mitführen und unter Wasser nicht atmen, bewahrt sie zudem vor der Taucherkrankheit: Den wenigen Stickstoff, der sich im Blut zu gefährlichen Gasbläschen formt, vermag Moby Dick nach dem Aufstieg zügig abzubauen.


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mare No. 48

No. 48Februar / März 2005

Von Frank Grotelüschen

Der Physiker Frank Grotelüschen, Jahrgang 1962, arbeitet als freier Wissenschaftsautor in Hamburg.

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