Arbeitslärm auf dem Meeresgrund

60er Jahre: Als alles möglich schien

Was heute noch wie ein Märchen klingt“ – so kam die Stimme aus dem Off –, „kann morgen Wirklichkeit sein. Hier ist ein Märchen von übermorgen. Es gibt keine Nationalstaaten mehr, es gibt nur noch die Menschheit und ihre Kolonien im Weltraum. Man siedelt auf fernen Sternen. Der Meeresboden ist als Wohnraum erschlossen...“

Begleitet von diesen Worten startete 1965 das Raumschiff Orion vom Meeresboden aus zur ersten Raumpatrouille in die unendlichen Weiten. Längst zur Kultserie avanciert, vermittelt dieses deutsche Science-fiction-Abenteuer eindrucksvoll den Technikoptimismus der 60er Jahre. Vor allem zwei Ziele präsentierte die Serie damals im Zusammenhang: die Eroberung des Weltraums und die Besiedlung des Meeresbodens.

Und dies nicht ohne Grund. Denn als die Sowjetunion 1957 mit „Sputnik 1“ den ersten künstlichen Satelliten in den Orbit schoß und Jacques Piccard und Don Walsh 1960 mit der „Trieste“ im Marianengraben eine Tiefe von 10900 Metern erreichten, schien die Eroberung der letzten noch unerforschten Territorien beschlossen zu sein. Fortan überboten sich die Wissenschaftler und Ingenieure mit Plänen und Konzepten. Während die Raumfahrt rasche Fortschritte machte und den Mond als Nahziel anpeilte, nahmen sich Geologen und Meeresforscher den „7. Kontinent“, wie sie ihn damals nannten, vor.

Zeitgleich mit Wernher von Braun, der an der Konstruktion von Raumstationen und Mondsiedlungen arbeitete, plante Jacques-Yves Cousteau den Bau großer und sogar tiefseetauglicher Gebäude. Doch auch auf den Reißbrettern amerikanischer Forscher entstanden Entwürfe für die Besiedlung nahezu aller Meeresregionen. Wollten die einen hoch hinaus, konnte es den anderen nicht tief genug sein.

Diesen Boom verdankte die Unterwasserarchitektur vor allem drei Motiven, die von den beteiligten Konstrukteuren immer wieder genannt wurden: der Erforschung der Meere, der Erschließung des Meeresbodens als Wohnraum sowie dem Abbau von Bodenschätzen. Auf diese Weise sollte in naher Zukunft die überbevölkerte Erde entlastet und die sich abzeichnenden Rohstoffkrisen gemeistert werden. Denn schon die ersten Studien, die die Vereinten Nationen ab Mitte der 60er Jahre in Auftrag gegeben hatten, malten ein düsteres Bild. Die bekannten Lager mancher Metalle, zum Beispiel Kupfer, sollten demnach für nur noch gut 40 Jahre reichen. Auf dem Meeresboden wurden hingegen Vorkommen vermutet, die erst nach 6000 Jahren erschöpft sein würden.

Schnell war den damaligen Forschern klar, daß eine Kolonisierung der Kontinentalschelfregionen, die bis in etwa 200 Meter Tiefe reichen, nur ein erster Schritt sein konnte. Da große und ergiebige Rohstofflager, vor allem Erdölvorkommen und Manganknollen, jedoch in größeren Tiefen geortet wurden, bezogen die Visionäre die Tiefsee von vornherein in ihre Vorhaben und Szenarien mit ein. So plante auch Jacques Cousteau nach dem Erfolg seiner 1965 in 101 Meter Tiefe errichteten Station „Conshelf III“ den Bau eines großen Gebäudes in 400 Meter Tiefe. Andere Pioniere folgten ihm und peilten bald immer tiefere Standorte für ihre Projekte an.

Ende der 60er Jahre konzipierte ein US-Konsortium unter Führung des Konzerns General Electric gar eine Tiefseestadt in 3500 Meter Tiefe. Errichtet werden sollte „Bottom-Fix“, so der Name des Projektes, in einer Gebirgsregion im Atlantik, um die dort vermuteten Erzlager abzubauen. Die Gebäude dieser Stadt sollten aus leicht zu verbindenden, kugelförmigen Druckelementen bestehen, ähnlich denen einer Raumstation. Tieftauchboote waren dafür vorgesehen, die fertig eingerichteten Elemente an ihre jeweiligen Standorte zu bringen und dort zusammenzukoppeln. Nach und nach sollte so eine komplette Stadt entstehen.

Um sich auch außerhalb dieser Tiefsee-City frei bewegen zu können, schlug Professor Johannes Kylstra von der Duke-Universität in North Carolina vor, die Taucher auf eine von ihm entwickelte Flüssigkeitsatmung umzustellen. Statt eines Sauerstoff-Helium-Gemisches sollten die Tiefseefroschmänner eine mit Sauerstoff angereicherte Flüssigkeit inhalieren. Auf diese Weise wollten Kylstra und sein Team die durch den enormen Druck entstehenden Probleme lösen. Erste Tests verliefen jedenfalls erfolgreich, und auch die Kugelelemente hielten noch in 4000 Metern Tiefe den Belastungen stand.

Ebenfalls 1965 prophezeite Edwin A. Link, Vorsitzender des Verbandes der Seetaucher, New York, in einem Artikel der angesehenen Zeitschrift „New Scientist“, „daß es 1985 für den Menschen ganz normal sein wird, sich in diese oder noch größere Tiefen zu begeben. Um die nötigen Anlagen zu errichten, wird der Mensch oft monatelang unter Wasser leben müssen, und zwar in festen oder beweglichen aufblasbaren Behausungen. Die Arbeitsstelle selbst wird durch schwere Gummizelte abgeschirmt, die ebenfalls durch Aufblasen frei von Wasser werden.“

Link ging noch weiter und zeichnete das Bild einer umfassenden Tiefseearchitektur und -infrastruktur, die sogar den Bau unterseeischer Kernkraftwerke zur Energieversorgung der Tiefseestädte umfaßte. Doch auch andere Formen der Energiegewinnung sagte er für das Jahr 1985 voraus: „In zwanzig Jahren wird man auch über die technischen Voraussetzungen verfügen, um unterseeische Staudämme zu bauen, mit denen die Kraft der Meeresströmungen zur Gewinnung elektrischer Energie ausgenutzt werden kann.“

An den Bau dieser gigantischen Staudämme knüpfte der Tiefseepionier noch andere Hoffnungen, nämlich ein „Umlenken der Meeresströmungen, um das Klima zu beeinflussen. Extrem kaltes Klima könnte dadurch gemildert, extrem heißes Klima temperiert werden, Wüsten würden bewohnbar.“ Die Lösung fast aller Probleme der Menschheit, so sein Fazit, liegt im Meer und letztendlich in der Tiefsee.


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mare No. 13

No. 13April / Mai 1999

Von Bernd Flessner

Bernd Flessner, Jahrgang 1957, ist Literaturwissenschaftler und Zukunftsforscher und arbeitet als Lehrbeauftragter an der Universität Erlangen-Nürnberg. Im Sommer erscheint sein Kinderbuch Nach uns die Zukunft. Von Sehern, Orakeln und Zukunftsforschern, Ravensburger Buchverlag, ca. 100 S., ca. 9,80 Mark

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Vita Bernd Flessner, Jahrgang 1957, ist Literaturwissenschaftler und Zukunftsforscher und arbeitet als Lehrbeauftragter an der Universität Erlangen-Nürnberg. Im Sommer erscheint sein Kinderbuch Nach uns die Zukunft. Von Sehern, Orakeln und Zukunftsforschern, Ravensburger Buchverlag, ca. 100 S., ca. 9,80 Mark
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Vita Bernd Flessner, Jahrgang 1957, ist Literaturwissenschaftler und Zukunftsforscher und arbeitet als Lehrbeauftragter an der Universität Erlangen-Nürnberg. Im Sommer erscheint sein Kinderbuch Nach uns die Zukunft. Von Sehern, Orakeln und Zukunftsforschern, Ravensburger Buchverlag, ca. 100 S., ca. 9,80 Mark
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