Golfspieler drehten in Knickerbocker und Streifenpullis Pirouetten. Strandmädchen mit Bubikopf führten in Badehöschen, die kühn die Oberschenkel entblößten, Arabesken im imaginären Sand aus. Tennisspielerinnen in luftigen Jerseyhemden schienen zu schweben. Zwischen kubistischen Strandkabinen wurde geturnt, geflirtet, gezofft. Die Männer, die gigolos, zückten Kodak-Boxkameras, um sich mit geschwellter Brust gegenseitig zu fotografieren. Die poules, die als Hennen verspotteten Mädchen, blinzelten frivol hinter Sonnenbrillen. Nicht das Rauschen der Wellen bildete die Hintergrundmusik, sondern ein schwungvolles Operettenpotpourri, in dem man Klänge von Walzer, Polka und Cancan vernahm – nonchalante Melodien wie dahingepfiffen. An jenem 20. Juni 1924 war es, als habe man die Côte d’Azur mit all ihrer sonnenüberfluteten Leichtigkeit auf die Bühne des Théâtre des Champs-Élysées verpflanzt. Das Pariser Premierenpublikum, gewöhnt an Ballerinen in weißen Tutus und Tänzer in grauen Strumpfhosen, war irritiert. Der Einakter „Le Train bleu“ sprengte alle Konventionen.
Aufgeführt wurde das als Satire auf den Hedonismus der années folles gedachte Spektakel vom Ballets Russes unter der Leitung von Sergej Diaghilew. Das hochkarätige, slawisch temperamentvolle Ensemble versammelte die besten Tänzer aus Moskau und Sankt Petersburg, die vor den Bolschewisten in den Westen geflohen waren. Die Choreografie stammte von Bronislava Nijinska, Schwester des gefeierten Tänzers Vaslav Nijinsky. Die Partitur lieferte Darius Milhaud, Enfant terrible der Komponistenszene. Aus Marseille stammend, war er stark von der beschwingten Musik des Mittelmeerraums geprägt. Der selbstverliebte Universalkünstler Jean Cocteau, Poet, Maler und Regisseur, schrieb das Szenario. In dem als Operette angekündigten Stück wurde skurrilerweise weder gesungen noch gesprochen. Das Libretto enthielt keine einzige Zeile Text. „Le Train bleu“ war eine burleske Pantomime, von der Cocteau sagte: „Es ist kein frivoles Werk, sondern ein Denkmal der Frivolität.“ Auch Picasso war mit im Boot. Er zeichnete den Bühnenvorhang, der zwei am Strand laufende Matronen mit blankem Busen zeigte – aus Nymphen waren Monster geworden.
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Autor Rob Kieffer, Jahrgang 1957, lebt in Luxemburg. Vom Ballett „Le Train bleu“ hatte er noch nie gehört, von seinen vielen Paris-Reisen war ihm aber das gleichnamige Restaurant in der Gare de Lyon bekannt. Das in originaler Fin-de-Siècle-Architektur eingerichtete Traditionsrestaurant, zu dessen Stammgästen Coco Chanel zählte, ist eine Hommage an den legendären Luxuszug.
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Vita | Autor Rob Kieffer, Jahrgang 1957, lebt in Luxemburg. Vom Ballett „Le Train bleu“ hatte er noch nie gehört, von seinen vielen Paris-Reisen war ihm aber das gleichnamige Restaurant in der Gare de Lyon bekannt. Das in originaler Fin-de-Siècle-Architektur eingerichtete Traditionsrestaurant, zu dessen Stammgästen Coco Chanel zählte, ist eine Hommage an den legendären Luxuszug. |
Person | Von Rob Kieffer |
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Vita | Autor Rob Kieffer, Jahrgang 1957, lebt in Luxemburg. Vom Ballett „Le Train bleu“ hatte er noch nie gehört, von seinen vielen Paris-Reisen war ihm aber das gleichnamige Restaurant in der Gare de Lyon bekannt. Das in originaler Fin-de-Siècle-Architektur eingerichtete Traditionsrestaurant, zu dessen Stammgästen Coco Chanel zählte, ist eine Hommage an den legendären Luxuszug. |
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