Angezählt

Zwei Fotografen machten sich daran, eine Berufsgruppe, die es in absehbarer Zeit wohl nicht mehr geben wird, für die Nachwelt festzuhalten: die Ostseefischer. Fast alle von ihnen haben sich für die letzte Inventur porträtieren lassen

Fischer zu fotografieren ist nicht leicht. Zunächst sind sie von Berufs wegen selten an Land zu treffen. Dann gibt es welche, die keine E-Mail-Adresse haben oder keine Handynummer oder beides nicht. Dann gibt es welche, die Termine vergessen, kurzfristig doch keine Lust mehr haben, die nicht zum Shooting auftauchen, weil sie etwas Besseres vorhaben. Etliche von ihnen stehen in keinem Verzeichnis, in keiner Liste, aber trotzdem gibt es sie, und die muss man erst einmal finden. „Die ersten 50 Porträts haben wir uns richtig erkämpft“, sagt Jan Kuchenbecker, Jahrgang 1989, Fotograf aus Timmendorfer Strand.

Das Fotoprojekt war eines, bei dem man sich fragt: Geht das überhaupt? Ist es möglich, alle Fischer der deutschen Ostseeküste zu fotografieren? Einen ganzen Berufsstand, lückenlos, Porträt für Porträt?
Und: Wozu eigentlich das Ganze?
Kuchenbecker formuliert es so: „Ich bin am Meer aufgewachsen und habe miterlebt, wie es immer weniger wurden.“ Zwei Drittel der Ostseefischer hätten das Rentenalter erreicht, es gebe kaum Nachwuchs, und die Quoten würden immer strenger. Die deutsche Ostseefischerei befinde sich im Niedergang. Gab es 1955 noch 1593 Ostseekutter, waren es 1980 nur noch 554. Und 2016 wurden noch ganze 167 gezählt. „Da kam mir diese Idee.“ Eine Art letzte Inventur eines verschwindenden Berufs.

Aber wie sollte er das anstellen? Wie kommt man an die Fischer heran? Wie viele gibt es überhaupt? „Allein war mir diese Aufgabe zu groß.“ Also suchte Kuchenbecker sich einen Partner: Franz Bischof, 40, Fotografenfreund aus Hannover. Gemeinsam definierten sie, wen sie fotografieren wollten – nur Fischer im Hauptberuf, keine im Nebenerwerb –, und bewarben sich mit dem Konzept erfolgreich für ein Stipendium.

Der Start war zäh. Fischereiverbände verweigerten den beiden jegliche Informationen, aus Datenschutzgründen. Jeden einzelnen Kontakt mussten sie selbst herausfinden. Entweder über örtliche Erzeugergemeinschaften „oder auf die harte Tour“, wie Kuchen­becker sagt. „Sobald wir einen Fischer am Telefon hatten, fragten wir ihn nach seinen Kollegen.“ So hangelten sie sich durch, wochen­lang, monatelang. Eine Qual. Es habe zunächst viel Ablehnung gegeben.

Standen die Termine, fuhren sie los, mit Bischofs Kombi und einem mobilen Studio im Kofferraum – drei Blitzlampen, weißer Hintergrund, Stative. Sechs Wochen reine Reisezeit, aufgeteilt in mehrere Touren. Jeder Termin bedeutete Knochenarbeit: Aufbau, Abbau, zwischendrin fotografieren, Small Talk vorher, Small Talk nachher. Dazu von jedem Porträtierten die Unterschrift mit Fischereikennzeichen. Bis zu acht-, neunmal am Tag.
Sie ließen nicht locker, auch nicht nach Rückschlägen. Dafür wurden sie belohnt. Die anfängliche Skepsis vieler Fischer wich Aufgeschlossenheit. Zwei Typen, die es ernst meinen – das sprach sich an der Küste herum, das beeindruckte. Immer öfter hörten sie den Satz: „Ach, ihr seid es. Hab schon von euch gehört.“

Und doch war es unmöglich, wirklich alle zu fotografieren. Es gibt immer welche, die nicht wollen. Dazu lehnten zwei Genossenschaften komplett ab. Am Ende wurden es 228 von geschätzten 280 hauptberuflichen Ostseefischern. Stolz ist das Fotografenduo trotzdem auf das Erreichte. „Wir haben gefühlt den gesamten Berufsstand fotografiert“, sagt Bischof. „In diesem Umfang gab es das noch nie.“

mare No. 139

mare No. 139April / Mai 2020

Von Franz Bischof, Jan Kuchenbecker und Jan Keith

Jan Kuchenbecker, 1989 in Hamburg geboren, wuchs er an der Ostsee auf. Nach dem Abitur reiste Jan – stets mit seiner Kamera im Gepäck – quer durch Europa. Heute lebt und arbeitet er in Hannover wo er sein Fotografiestudium an der Fachhochschule im Jahr 2014 abgeschlossen hat. Im Jahr 2013 hospitierte er beim Stern und arbeitete seitdem als freier Fotograf.

Franz Bischof, in Berlin geboren. Heute lebt und arbeitet er in Hannover wo er sein Fotografiestudium an der Fachhochschule im Jahr 2012 abgeschlossen hat. Seine Schwerpunkte sind Corporate-, Industrie- und Landschaftsfotografie, Reportagen und Portraits. Er wird von „laif - Agentur für Photos & Reportagen“ vertreten.

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Vita Jan Kuchenbecker, 1989 in Hamburg geboren, wuchs er an der Ostsee auf. Nach dem Abitur reiste Jan – stets mit seiner Kamera im Gepäck – quer durch Europa. Heute lebt und arbeitet er in Hannover wo er sein Fotografiestudium an der Fachhochschule im Jahr 2014 abgeschlossen hat. Im Jahr 2013 hospitierte er beim Stern und arbeitete seitdem als freier Fotograf.

Franz Bischof, in Berlin geboren. Heute lebt und arbeitet er in Hannover wo er sein Fotografiestudium an der Fachhochschule im Jahr 2012 abgeschlossen hat. Seine Schwerpunkte sind Corporate-, Industrie- und Landschaftsfotografie, Reportagen und Portraits. Er wird von „laif - Agentur für Photos & Reportagen“ vertreten.
Person Von Franz Bischof, Jan Kuchenbecker und Jan Keith
Vita Jan Kuchenbecker, 1989 in Hamburg geboren, wuchs er an der Ostsee auf. Nach dem Abitur reiste Jan – stets mit seiner Kamera im Gepäck – quer durch Europa. Heute lebt und arbeitet er in Hannover wo er sein Fotografiestudium an der Fachhochschule im Jahr 2014 abgeschlossen hat. Im Jahr 2013 hospitierte er beim Stern und arbeitete seitdem als freier Fotograf.

Franz Bischof, in Berlin geboren. Heute lebt und arbeitet er in Hannover wo er sein Fotografiestudium an der Fachhochschule im Jahr 2012 abgeschlossen hat. Seine Schwerpunkte sind Corporate-, Industrie- und Landschaftsfotografie, Reportagen und Portraits. Er wird von „laif - Agentur für Photos & Reportagen“ vertreten.
Person Von Franz Bischof, Jan Kuchenbecker und Jan Keith