Amundsen: Der Getriebene

Roald Amundsen unternahm wagemutige Reisen zu den eisigen Gefilden der Pole – nicht auf der Suche nach Erkenntnis, sondern wegen seiner Sucht nach Ruhm

Wenn es ein Paradebeispiel dafür gibt, wie zwei Menschen in Hassliebe verbunden sein können, dann ist es der Fall der beiden Abenteurer Roald Amundsen und Umberto Nobile. Der Norweger, 1872 geboren, war bereits eine Legende, als er auf den italienischen Luftschiffkonstrukteur traf. Er hatte die Nordwestpassage als Erster durchfahren, das Wettrennen zum Südpol gewonnen, die Nordostpassage erkundet. Dann hatte er die Luftfahrt als Zukunft des Reisens entdeckt, und so war er auf Nobile gekommen.

Der Italiener, 13 Jahre jünger als Amundsen, hatte in Neapel Ingenieurwissenschaften studiert und bei der staatlichen Eisenbahn Stromleitungen entwickelt. Während des Ersten Weltkriegs sattelte er auf die Luftfahrt um, er erwarb seine Luftschifferlizenz und war an der Entwicklung neuer Luftschiffe beteiligt. Er war ein Theoretiker, ein Tüftler, ein technischer Visionär – und damit eine Art größtmöglicher Gegensatz zum Polarfahrer Amundsen.

Gleich einer ihrer ersten gemeinsamen Ausflüge endete im Streit, da waren sie 1925 im sommerheißen Italien mit dem Auto unterwegs. In seiner Autobiografie „Mein Leben als Entdecker“ hat Amundsen diesem Erlebnis gleich drei Seiten gewidmet. „Das war die wildeste Fahrt, die ich je in meinem Leben in irgendeinem Fahrzeug mitgemacht habe“, berichtete der sonst unerschrockene Norweger. „Solange wir auf der ebenen, geraden Landstraße waren, fuhr er mit gleichmäßiger, vernünftiger Geschwindigkeit. Sobald jedoch eine Kurve kam, in welcher jeder normale Fahrer sein Tempo vermindert hätte, tat Nobile das Entgegengesetzte: Er trat den Gashebel ganz durch und raste mit beängstigender Geschwindigkeit in die unübersichtliche Kurve. Mitten darin zog er mit aller Kraft die Bremsen an, sodass wir bei unserer Geschwindigkeit natürlich Gefahr liefen, uns zu über schlagen.“ Der vermeintliche Raser kommentierte den Bericht erst im abgeklärten Alter von 90 Jahren. Er sei schon seit 1910 im Besitz eines Führerscheins und bis dahin nur einmal von der Straße abgekommen, im Nebel. Dabei waren die beiden sich nicht einmal über das Ziel ihrer Spritztour einig: Amundsen wähnte sich auf dem Weg nach Ostia, Nobile fuhr aber nach Anzio. Amundsen-Biograf Tor Bomann-Larsen schrieb über die Episode: „Die beiden haben in ein und demselben Fiat gesessen, aber nicht im gleichen Kosmos.“

Keine gute Voraussetzung für zwei Männer, die gemeinsam den ersten Flug zum Nordpol vollbringen wollten, und man fragt sich, wie es überhaupt zu dieser unglücklichen Paarung kommen konnte. Der stichhaltigste Grund ist, wie so oft bei derart ungleichen Gespannen, dass sie einander brauchten. Wobei Nobile eher unverhofft zu seinem Glück gekommen ist, denn Amundsen und Benito Mussolini waren die treibenden Kräfte des Projekts. Auch nach dem Marsch auf Rom und gewonnenen Wahlen konnte der Duce seine Macht in dem zutiefst gespaltenen Italien noch keineswegs als gesichert betrachten. Der erfolgreiche Flug eines italienischen Zeppelins zum Nordpol war der öffentlichkeitswirksame Erfolg, der ihm noch fehlte, um auch den Stolz und das Zusammengehörigkeitsgefühl der Italiener zu wecken.

Roald Amundsen seinerseits brauchte ebenfalls gute Presse. Nach seinen erfolgreichen Expeditionen hatte ihn das norwegische Volk zwar enthusiastisch gefeiert, doch durch sein erratisches Verhalten danach, ja eigentlich auch schon durch die Geheimnistuerei um seine Fahrt zum Südpol hatte er viel Kredit verspielt. „Mein nächster Plan war die Bezwingung des Nordpols.“

Mit diesen Worten beginnt in Amundsens Memoiren erstaunlicherweise das Kapitel über den Südpol. Warum? „Seit Jahrhunderten galt der Nordpol als krönendes Ziel der Polarforschung“, erklärt Bomann-Larsen, aber anders als in den USA galt in Europa ein Versuch, irgendwo der Erste zu sein, allein nicht als hinreichender Grund, eine aufwendige Expedition auszurüsten. Darum präsentierte Amundsen der höchsten Kapazität der Polarforschung, seinem Landsmann und Vorläufer Fridtjof Nansen, das Vorhaben als „wissenschaftliche Erforschung des nördlichen Polarbassins“. Offiziell kein Wort vom Pol, nicht vom nördlichen und erst recht nicht vom südlichen. Für dieses Vorhaben stellte Nansen dem Jüngeren schließlich sein eigenes Schiff, die „Fram“, zur Verfügung und verzichtete damit auf seine eigenen Absichten, im Namen der Forschung und des gerade erst von Schweden unabhängig gewordenen Norwegens den Südpol zu erobern. Die notwendigen Gelder waren bewilligt, die 14-köpfige Mannschaft angeheuert, Amundsen mit der Zusammenstellung von Ausrüstung und Proviant für eine siebenjährige Drift im arktischen Eis beschäftigt, da klingelte am Abend des 6. September 1909 das Telefon in der Villa Uranienborg. Ob er schon gehört habe, dass der Amerikaner Peary den Nordpol erreicht habe?


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mare No. 64

No. 64Oktober / November 2007

Von Karl-Ludwig Wetzig

Der Skandinavist Karl-Ludwig Wetzig, geboren 1956, ist der Übersetzer der Amundsen-Biografie des norwegischen Journalisten Tor Bomann-Larsen, die in diesem Herbst im marebuchverlag erschienen ist.

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Vita Der Skandinavist Karl-Ludwig Wetzig, geboren 1956, ist der Übersetzer der Amundsen-Biografie des norwegischen Journalisten Tor Bomann-Larsen, die in diesem Herbst im marebuchverlag erschienen ist.
Person Von Karl-Ludwig Wetzig
Vita Der Skandinavist Karl-Ludwig Wetzig, geboren 1956, ist der Übersetzer der Amundsen-Biografie des norwegischen Journalisten Tor Bomann-Larsen, die in diesem Herbst im marebuchverlag erschienen ist.
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