Amazonas

Nachdem sich die Quellflüsse des Amazonas das schmale Band der Anden hinabgestürzt haben, vereinigen sie sich zum wasserreichsten Fluss der Welt. Nur mit Schiffen sind die Siedlungen er­reich­bar. Und nur auf dem Wasserweg erfährt man die Wunder der Natur

  Tag 1, Iquitos
Der Amazonas. Wie flüssiges Karamell zieht er an der Stadt vorbei. Auf dem Malecón, der kilometerlangen Promenade, niemand. Jetzt, am Vormittag, ist es zu heiß, zu schwül. Kein Luftzug, weit und breit kein Baum. Zu Füßen der Ufermauer ein breiter, sumpfiger Schilfstreifen, darauf verstreut Stelzenhütten, bunt bemalt mit Parolen, auf den Palmblattdächern dösen Geier. Kein Verkehr auf dem Fluss. Nur in der Ferne ein Kanu mit zwei Kindern darin. Hinter mir eine geschlossene Reihe von schönen Häusern aus der Zeit des Gummibooms, manche mit der Messingplakette des nationalen Denkmals. Viele ohne, sie stehen vor dem Einsturz, Trauergrün auf den Simsen. Diese Hitze. Ein motocarro, eine Mopedrikscha, Haupttransportmittel der Stadt, knattert heran und rettet mich. In ein Restaurant – mit Klimaanlage, bitte. Der Strom dafür kommt vom Ölkraftwerk hinter der Stadt, das Öl 450 Kilometer per Pipeline aus dem Norden. Das Einzige, was hier über Land kommt. Die Stadt ist nur auf dem Wasser oder aus der Luft erreichbar. Ein Scherz, dass Peru das hier „Atlantikhafen“ nennt.

 Tag 2, Iquitos
Ich lerne, ohne zu begreifen. Die Maße des Maßlosen. Sieben Millionen Quadratkilometer Wassersammelfläche, mehr als  1000 Hauptnebenflüsse, viele von ihnen mächtiger als die größten Flüsse aller anderen Kontinente, zigtausend Nebennebenflüsse befördern ein Fünftel des Süßwassers der Welt. 50000 Kilometer sind schiffbar. Und noch 3700 Kilometer vor mir bis zur Mündung. Wenigstens nur 30 Höhenmeter.

Demos, überall Demos. Heute Nachmittag gleich zwei auf einem Platz, eine für, eine gegen die Regierung, dazwischen Eis-, Getränke-, Fahnen-, Trillerpfeifen- und Allesverkäufer. Sehr laute Blasmusik wechselt mit Pfeif- und Sprechchören. Die Trompeter in frischen weißen Hemden und gemächlichem Schritt. Die Protestierer ebenso, die Transparente zum Schutz vor der sengenden Sonne unlesbar waagerecht getragen. Sie rufen: „Vamos Peru!“ Alles sehr friedlich. Noch ein Protestzug: gegen Drogen, Alkohol und – Pfannkuchen (muss ein Schreibfehler sein). Das Ganze beäugt von bedeutsam dreinschauenden Sicherheitskräften.

Am Abend. Ein Gewitter ist vorbei. Ein neues zieht auf: letzte Wahlkampfwoche in Peru. Uralte, bunt bemalte Omnibusse ohne Scheiben fahren im Konvoi durch die Straßen. Megaphone auf dem Dach laden ein zur Kundgebung des Provinzgouverneurs. Ich fahre mit zum Fußballplatz am Stadtrand. Tausende sind schon da. Musik, Garküchen, Schausteller und viel Bier. Ein großes, freundliches, unpolitisches Fest. Niemand hört dem Redner auf der Pritsche des Lastwagens zu. Seine Leute drehen die Lautsprecher auf, als das Versprechen kommt: Trinkwasser für die ganze Stadt! Die meisten räumen ihm damit Chancen ein, manche wegen des hübschen T-Shirts, das er an uns verschenken lässt. Machen seine Konkurrenten aber auch.

 Tag 3, Iquitos
Fühle mich wohl hier. Ein freundliches Urwalddorf mit 600000 Dörflern. Bunt, heiter und gelassen. Die wenigen Ausländer, die bisher kamen, bleiben seit 11 de septiembro weg. Zwei Geschäftsstraßen, blitzblank die Plaza de Armas, am Morgen und am Abend belebt, kaum Autos, ein paar Hotels für die Ölleute, Bars, Restaurants. Kein Problem, auf ein Schiff zu warten.

Frühmorgens nach Bellavista am Stadtrand. Das motocarro fährt mich an endlosen Lagerhallen entlang. Tropenholz. Mitten im Industriegebiet das Geburtshaus von Fitzcarrald(o), dem legendären Gummibaron. Es ist heruntergekommen. Die Dreharbeiten von Herzog sind lange her, aber immer noch Gesprächsthema. Bars nennen sich „Kinski“ oder „Molly Aida“. Eine heißt „Werner“.


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mare No. 37

No. 37April / Mai 2003

Ein Reisetagebuch von Karl J. Spurzem

Karl Spurzem, geboren 1959 im Rheinland, studierte Kunstgeschichte, Romanistik und Städtebau. Nach Stationen bei der Berliner Tageszeitung Die Welt, einer Hamburger Musikzeitschrift und als freier Journalist wurde er im Sommer 2001 Chef vom Dienst bei mare, im Frühjahr 2008 stellvertretender Chefredakteur und Textchef. Seither lernt der Segelflieger das Segeln.

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Vita Karl Spurzem, geboren 1959 im Rheinland, studierte Kunstgeschichte, Romanistik und Städtebau. Nach Stationen bei der Berliner Tageszeitung Die Welt, einer Hamburger Musikzeitschrift und als freier Journalist wurde er im Sommer 2001 Chef vom Dienst bei mare, im Frühjahr 2008 stellvertretender Chefredakteur und Textchef. Seither lernt der Segelflieger das Segeln.
Person Ein Reisetagebuch von Karl J. Spurzem
Vita Karl Spurzem, geboren 1959 im Rheinland, studierte Kunstgeschichte, Romanistik und Städtebau. Nach Stationen bei der Berliner Tageszeitung Die Welt, einer Hamburger Musikzeitschrift und als freier Journalist wurde er im Sommer 2001 Chef vom Dienst bei mare, im Frühjahr 2008 stellvertretender Chefredakteur und Textchef. Seither lernt der Segelflieger das Segeln.
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