Als Nelson seinen „Touch“ bekam

Lord Nelsons Sieg in der Seeschlacht bei Trafalgar über Napoleons Marine begründete Englands Aufstieg zur Weltmacht

Vom Bootsmannsmaat Richard Wicks ist nicht viel mehr bekannt, als dass er nach der Schlacht von Trafalgar zehn Pfund und 14 Schilling Prisengeld erhielt, seinen Anteil an den eroberten Schiffen. Wicks diente auf Nelsons Flaggschiff „Victory“, und sein Name ist im 575 Seiten starken „Prize Book“ vermerkt, das in der Bibliothek der Royal Navy in Portsmouth verwahrt wird. Wicks’ Gefechtsstation ist vermutlich an Deck. Er blickt an diesem frühherbstlichen Vormittag über die zusammengerollten Hängematten an der Bordwand aufs ruhige Meer hinaus. Die Hängematten sollen Holzsplitter abfangen, die dennoch in den nächsten Stunden der Crew schwere Verwundungen zufügen. Eine lange Dünung aus Westen kündet von einem Sturm, aber noch weht kaum Wind. Wicks’ nackte Füße stehen auf Sand, mit dem das Deck bestreut wurde, damit die Leute später nicht im Blut ausrutschen.

Im Osten schleicht die vereinigte Flotte der Franzosen und Spanier durch die Flaute, die unter dem Kommando von Vizeadmiral Pierre de Villeneuve steht. In ihrem Zentrum die gigantische „SantísimaTrinidad“ mit 130 Kanonen und 1500 Mann Besatzung. Wicks blickt auf die Linie der feindlichen Schiffe, deren Kanonen allesamt in Richtung der Briten weisen. Sie werden bald ihre ersten Breitseiten abfeuern, ohne dass die Briten, solange sie ihren Angriffskurs steuern, ihre eigenen Kanonen auf den Feind richten können. Die herkömmliche Schlachtordnung sieht vor, dass sich zwei Frontlinien aus Schiffen parallel gegenüberstehen und beschießen. Doch Admiral Nelson wählt eine besondere Angriffstaktik.

Bereits drei Wochen vor der Schlacht hatte Nelson seiner Geliebten Emma geschrieben, wie sein Schlachtplan von seinen Kommandanten aufgenommen wurde: „Als ich ihnen den ,Nelson touch‘ erklärte, war es wie ein elektrischer Schock. Einige weinten, alle stimmten zu. Es war neu, es war einzigartig, es war einfach! Von den Admiralen abwärts wiederholten alle: ,Es muss gelingen, wenn wir nur an sie herankommen …‘“

Es ist oft die Rede davon, dass Nelsons Taktik ein Geniestreich war. Er will die gegnerische Linie mit zwei Angriffskolonnen in drei Teile zerschneiden. Dazu lässt er seine Schiffe hintereinander wie zwei lange Rammböcke auf die Front der französischen und spanischen Schiffe zulaufen. In einer Seeschlacht die feindliche Linie zu durchbrechen ist 1782 erstmals Admiral George Rodney gelungen. Nelsons Taktik ist in diesem Punkt also nicht neu. Auch ist sie sogar sehr riskant. Bei Brise und schneller Fahrt mag er damit ja die feindliche Linie durchbrechen und seine Gegner im Nahkampf niederringen, aber bei flauem Wind wie jetzt? Solange seine Schiffe frontal auf den Feind zusteuern, sind sie wehrlos, denn ihre Kanonen liegen backbords und steuerbords auf den Breitseiten. Aber Nelson vertraut auf die Überlegenheit seiner Artillerie und der Nahkampfausbildung seiner Matrosen.

Auf dem Achterdeck gehen die Offiziere auf und ab, scheinbar die Ruhe selbst. Nelson, der in früheren Gefechten bereits die Sehkraft eines Auges und einen Arm eingebüßt hat, plaudert mit Kapitän Thomas Hardy, dem Kommandanten der „Victory“. Vor 20 Minuten hat Nelson das Flaggensignal „England erwartet, dass jeder seine Pflicht tun wird“ setzen lassen. Jetzt lässt er das Signal Nummer 16 setzen: Nahkampf – „Engage the enemy more closely“. Admiral Cuthbert Collingwood, der mit der „Royal Sovereign“ die südliche der beiden britischen Kampflinien anführt, sagt zu seinen Offizieren: „Wenn er nur aufhören würde zu signalisieren. Wir wissen doch, was wir zu tun haben.“

So zart Nelson auf Gemälden auch aussieht, er geht furchtloser, aggressiver in die Schlacht als sein Gegner Villeneuve. Die beiden kennen sich. Bei Nelsons Sieg vor der Nilmündung 1798, der Großbritannien die Herrschaft über das Mittelmeer beschert, ist Villeneuve mit seinem Schiff mit knapper Not entkommen. Und auch heute ist Villeneuve nicht eben auf einen Kampf gegen einen ebenbürtigen oder stärkeren Gegner erpicht. Aber er muss.


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mare No. 113

No. 113Dezember 2015 / Januar 2016

Von Hans-Harald Schack

Autor Hans-Harald Schack, Jahrgang 1954, lebt in Bad Schwartau und schreibt über Schiffe und das Segeln. Als Volontär fuhr er auf dem britischen Flugzeugträger „Ark Royal“ nach Hamburg. Für diese historische Reportage beriet er sich mit seinem Bruder Dieter Hartwig, einem Historiker und früheren Marineoffizier.

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Vita Autor Hans-Harald Schack, Jahrgang 1954, lebt in Bad Schwartau und schreibt über Schiffe und das Segeln. Als Volontär fuhr er auf dem britischen Flugzeugträger „Ark Royal“ nach Hamburg. Für diese historische Reportage beriet er sich mit seinem Bruder Dieter Hartwig, einem Historiker und früheren Marineoffizier.
Person Von Hans-Harald Schack
Vita Autor Hans-Harald Schack, Jahrgang 1954, lebt in Bad Schwartau und schreibt über Schiffe und das Segeln. Als Volontär fuhr er auf dem britischen Flugzeugträger „Ark Royal“ nach Hamburg. Für diese historische Reportage beriet er sich mit seinem Bruder Dieter Hartwig, einem Historiker und früheren Marineoffizier.
Person Von Hans-Harald Schack