Alle Mann von Bord

Ein gutes Jahrzehnt lang profitierte die maritime Wirtschaft vom Boom des globalisierten Welthandels. Aus und vorbei. Die aktuelle Finanz- und Konsumkrise sorgt für ständig sinkende Frachtraten, leere Schiffe und eine Baisse der Logistikkurse

Kapitän Hanspeter Mittwede sitzt an Bord der „Santa Monica“ auf dem Sofa, rührt entspannt in seiner Tasse Kaffee. Auf dem Couchtisch im Besprechungsraum hat er akkurat Formulare gestapelt, die er noch abarbeiten muss. Er ist die Ruhe selbst, während um ihn her­um Hochbetrieb herrscht. Im Minutentakt rauscht es aus dem klobigen Funkgerät, Werftarbeiter wollen Anweisungen. „Nächste Woche geht’s los nach Falmouth in Cornwall, dafür bereiten wir das Schiff vor“, sagt Mittwede.

Schon seit fünf Wochen liegt die „Santa Monica“ im Hamburger Hafen fest. Weil sie keine Charter gefunden hat, verlegt der Reeder sie nach England, wo das Parken günstiger ist. „Dorthin schickt man uns nicht für drei Wochen“, sagt Mittwede, ein kräftiger Mann, breiter Schnauzer, derbes Baumwollhemd, „das wird wohl Ende des Jahres werden.“ Der Westfale ist gut vorbereitet, er steht auf und holt seine Urlaubslektüre: Caesars „De bello Gallico – Der Gallische Krieg“, 500 Seiten auf Deutsch und Lateinisch. Der Mann muss wirklich Zeit haben.

Der frei gewordene Parkplatz wird sicherlich schnell wieder belegt. Seit Monaten sind die Norderelbpfähle beim Hamburger Kreuzfahrtterminal heiß begehrt. Gleich acht mittelgroße Containerschiffe warten hier auf eine neue Charter. Wie eine festgesetzte Armada liegen in der ersten Reihe drei große Schiffe eng vertäut nebeneinander, teilweise schon seit sieben Monaten.

Versiegelte Schiffe, leere Kais: In Hamburg und der ganzen Welt macht die Wirtschaftskrise nicht vor der Schifffahrt halt. Besonders betroffen ist das Containersegment, der Seismograf der Globalisierung. Der weltweite Container­umschlag ging allein im ersten Quartal 2009 um 17 Prozent zurück. Auch im Massengutgeschäft sieht die Lage düster aus, die Charterraten brechen ein. Reeder stöhnen über die schlechten Aussichten. Doch dass sie die Krise mitverschuldet haben, davon ist nicht viel zu hören.

„Auflegen“ nennen Fachleute es, wenn ein Schiff dauerhaft geparkt werden muss, weil es keine Aufträge mehr bekommt. Rund 1400 Containerschiffe, Bulker, Tanker und Autotransporter dümpeln nach Recherchen der britischen Schifffahrtszeitung „Lloyd’s List“ weltweit in Hafeneinfahrten oder ruhigen Buchten vor sich hin. Vor allem Asien, bislang Drehscheibe des weltweiten Handels, hat inzwischen ein Parkplatzproblem. Vor Singapurs Containerhafen, dem größten der Welt, sind mehrere hundert Schiffe aufgelegt.

Auch in Deutschland werden die Liegeplätze knapp. Etwa 40 Schiffe sollen hier außer Betrieb sein, genaue Zahlen gibt es nicht. Deutsche Reedereien wollen jetzt sogar die Geltinger Bucht reaktivieren. In der windgeschützten Bucht bei Flensburg wurden schon während der weltweiten Ölkrise Ende der siebziger Jahre mehr als ein Dutzend Tanker geparkt. Touristenscharen pilgerten damals an den Strand von Wackerballig, um die ruhenden Riesen zu bewundern.

30 Jahre später sind die Plätze erneut gefragt. Neun Anträge von Reedern liegen dem Wasser- und Schifffahrtsamt (WSA) Lübeck bereits vor. „Das Thema ist vollkommen neu für uns, so etwas haben wir noch nie erlebt“, sagt WSA-Leiter Henning Dierken. Wie pessimistisch die Reeder in die Zukunft schauen, zeigen die Liegedauern. „Auf unbestimmt“ heißt es in der Regel in den Anträgen. Ob Dierken das Aufliegen in der Bucht erlauben wird, entscheidet sich in den kommenden Wochen. Noch hat das Umweltministe­rium in Kiel Bedenken, denn die Region ist seit einigen Jahren Vogelschutzgebiet.

Mit der weltweiten Krise geht für die maritime Wirtschaft ein Boom zu Ende. Allein der Containerhandel brachte es zuletzt auf jährliche Zuwachsraten von zwölf Prozent, einige chinesische Häfen legten gar ein Plus von mehr als 40 Prozent im Jahr hin. Liegeplätze und Lagerflächen in Häfen waren gut gebucht. Es war eine Zeit, in der jeder vom florierenden Welthandel und der Kauflust zu profitieren schien: die Reeder, die sich eine goldene Nase verdienten, die Schiffs­investoren, die sich über zweistellige Renditen freuten, die Hafenarbeiter, die einen sicheren Job zu haben schienen.

Aus und vorbei. Die Charterraten sind von 30 000 US-Dollar am Tag auf 5000 eingebrochen. Die Aktienkurse von Fondsinitiatoren wie HCI, MPC Capital oder Lloyd Fonds sind abgestürzt. Selbst der weltweit größte Containerhersteller CIMC aus China hat vorübergehend die Produktion eingestellt. Noch hat keine deutsche Reederei Insolvenz angemeldet. Aber ihnen drohen herbe Verluste.

Eines der prominentesten Opfer ist Hapag-Lloyd, Deutschlands größte Containerreederei. Im ersten Quartal dieses Jahres verbuchte das Hamburger Traditionsunternehmen mit Sitz am Ballindamm einen Verlust von 222 Millionen Euro. Die Lage ist dramatisch: Anfang Juli schockte Hapag-Lloyd die Branche mit der Nachricht, eine gewaltige Kapitalspritze von rund 1,75 Milliarden Euro zu benötigen. Eine Insolvenz konnte zwar vorerst abgewendet werden, weil mehrere Gesellschafter, darunter der Ex-Mutterkonzern TUI, dem Unternehmen rund 330 Millionen Euro zur Verfügung stellten. Doch ohne neue Hilfen könnte der Reederei bald wieder das Geld ausgehen.


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mare No. 76

No. 76Oktober / November 2009

Von Marlies Uken

Marlies Uken, Jahrgang 1977, freie Journalistin in Berlin, war überrascht, wie peinlich Reedern das „Auflegen“ ist. Einige der Eigner schicken ihre auf unbestimmte Zeit geparkten Schiffe sogar regelmäßig auf Spazierfahrt, ohne Fracht. Damit bloß niemand merkt, dass sie keine Aufträge haben.

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Vita Marlies Uken, Jahrgang 1977, freie Journalistin in Berlin, war überrascht, wie peinlich Reedern das „Auflegen“ ist. Einige der Eigner schicken ihre auf unbestimmte Zeit geparkten Schiffe sogar regelmäßig auf Spazierfahrt, ohne Fracht. Damit bloß niemand merkt, dass sie keine Aufträge haben.
Person Von Marlies Uken
Vita Marlies Uken, Jahrgang 1977, freie Journalistin in Berlin, war überrascht, wie peinlich Reedern das „Auflegen“ ist. Einige der Eigner schicken ihre auf unbestimmte Zeit geparkten Schiffe sogar regelmäßig auf Spazierfahrt, ohne Fracht. Damit bloß niemand merkt, dass sie keine Aufträge haben.
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