Abgemustert

Das Seefahrtbuch: Passersatz, Dienstnachweis, Logbuch des Lebens­. Jetzt kommt das Aus für das Traditionsdokument

Egon Blohm legt das Buch vorsichtig auf seinen Küchentisch, es ist ein Original. Die Seiten riechen nach betagtem Papier, der Rücken ist mit Leinen verstärkt. „Seefahrtbuch für“, steht auf dem Umschlag. Mit blauer Tinte ist der Name eingetragen: „Egon Blohm“.

Drei Exemplare solcher Bücher besitzt der alte Kapitän noch heute. Und er hütet sie, obwohl er seit Jahren pensioniert ist. „Deine Seefahrtbücher gibst du nie weg“, sagt Blohm. „Die bewahrst du auf, bis du in die Kiste steigst.“ Er streicht mit den Fingern über die Seiten. „Hier drin steht mein ganzes Leben als Seemann.“

In der Tat behandelten Seeleute ihr Seefahrtbuch seit je wie ein Heiligtum. Es bedeutete ihnen mehr als Bibel, Pass oder Pornohefte. Wenn sie das Schiff verließen, trugen sie das Dokument am Leib wie ihre Heuer. Während der Zeit an Bord lag das unscheinbare Büchlein, das jeder Seemann sein Eigen nannte, stets beim Kapitän. Meist sicher verschlossen in dessen Schublade.

Elisabeth Mann Borgese, jüngste Tochter von Thomas Mann, die als Seerechtsexpertin oft auf Schiffen fuhr, sagte einmal über das Papier: „Das Seefahrtbuch war mir wichtiger als alle meine Reisepässe.“ Im Lauf ihres Lebens besaß sie die deutsche, tschechoslowakische, US-amerikanische und kanadische Staatsbürgerschaft.

Als Besatzungsmitglied konnte man mit dem Seefahrtbuch in den meisten Ländern problemlos ein- und ausreisen. Auf Landgängen wies es die Seeleute offiziell aus, und nicht selten wurde das Buch in der Hafenbar oder vor einem neuen Arbeitgeber gezückt, wenn man zeigen wollte, auf welchen Schiffen man gefahren war, wie viele Jahre man als Seemann auf dem Buckel hatte. Das Büchlein diente nicht nur als Reisepass und Türöffner – es war das Logbuch des Seefahrerlebens.

Der Adler der Bundesrepublik Deutschland prangte auf dem Dokument, und gleich auf den ersten Seiten war ein strenger Hinweis zu lesen: „Das Seefahrtbuch ist sorgfältig aufzubewahren. Es dient unter anderem als Nachweis bei etwaigen Rentenansprüchen.“

Ein Passfoto klebte im Buch, vermerkt waren Augenfarbe des Seemanns, Haarfarbe, Größe, besondere Kennzeichen. Die Seiten hielten Raum für Visa offen, alles war hoch offiziell abgestempelt. Dann folgten jene Einträge, die das Seefahrtbuch von einem normalen Pass so gravierend unterschieden: die An- und Abmusterungen auf den Schiffen, die wichtigsten Signaturen eines Seemannslebens.

Die Matrosen gaben das Buch beim Kapitän ab, sobald sie ein Schiff betraten. Ein Beamter des Seemannsamts kam an Bord und setzte seinen Stempel unter die Anmusterung. Abgemustert wurde erst wieder, wenn der Matrose seine Dienstzeit auf dem Schiff quittierte. Und wieder kam ein Beamter vom Seemannsamt an Bord, prüfte die handschriftlich vermerkten Angaben, dann erfolgten abermals: Stempel, Unterschriften.

So wurde das Buch zum stillen Zeugen des Seefahrerdaseins. Es hielt fest, in welchen Seegebieten, unter welcher Reederei und unter welchem Kapitän man gefahren war. Außerdem wurde für jede Fahrt der Rang eingetragen. Dadurch konnte man stets seinen eigenen Karriereverlauf nachlesen – vom Putzjungen zum Jungmann, vom Steuermann zum Kapitän.


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mare No. 133

No. 133April / Mai 2019

Von Marc Bielefeld

Marc Bielefeld, Jahrgang 1966, freier Autor in Hamburg, musste als Sportbootfahrer stets nur Logbücher, nie aber ein Seefahrtbuch führen.

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Vita Marc Bielefeld, Jahrgang 1966, freier Autor in Hamburg, musste als Sportbootfahrer stets nur Logbücher, nie aber ein Seefahrtbuch führen.
Person Von Marc Bielefeld
Vita Marc Bielefeld, Jahrgang 1966, freier Autor in Hamburg, musste als Sportbootfahrer stets nur Logbücher, nie aber ein Seefahrtbuch führen.
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