25°04' Süd, 130°06' West - Folge 9

Nachtrag zur englischen Polizeioffizierin Gail Cox, die ja bekanntlich zehn Wochen auf Pitcairn weilte (siehe mare No. 6), um die Inselpolizistin zu unterstützen: Unter anderem modernisierte sie Pitcairns Straßenverkehrsordnung. Vorschriftsmäßig machte sie in ihren ersten Tagen den Pitcairn-Führerschein, wurde ihn allerdings wenig später wieder los. Nicht etwa, weil sie – nach ihren eigenen Vorschriften – zu schnell gefahren wäre, sondern weil sie, und darüber lachte ganz Adamstown, den Schein in der Tasche ihrer Diensthose mitwusch.

Pitcairn will in den Agrarexport einsteigen: Es sind Bienen bestellt, die auf der Insel Honig produzieren sollen. Der soll dann auch im Ausland verkauft werden, „made in Pitcairn“.

Künstlerische (oder chronistische?) Freiheit waltete bei der Herausgabe einer neuen Briefmarkenserie durch Pitcairns Postamt zur Jahrtausendwende: „Millennium Part 1 — Towards 2000“, mit Werten bis zu drei Pitcairn-Dollar, ist den ersten Schiffen gewidmet, die Pitcairn anliefen. Nummer eins war, unumstritten, die englische „HMS Swallow“ im Juli 1767. Mit an Bord: Fähnrich zur See Robert Pitcairn, der den Felsklotz als erster sah. Eine Anlandung kam wegen der schweren Brandung nicht in Frage. Swallow-Käpt’n Carteret verzeichnete die Insel auf den Karten völlig falsch, weshalb die zweiten, die ankamen, nämlich die Bounty-Meuterer (1789, ebenso unumstritten), nicht gefaßt wurden. Swallow und Bounty werden beide auf den Briefmarken gewürdigt. Nicht aber das amerikanische Walfangschiff „Topaz“ und sein Käpt’n Mayhew Folger, der 1808 die Insel schließlich als erster richtig entdeckte und eintrug sowie den letzten noch lebenden Meuterer John Adams fand. Philatelistisch wird somit der Amerikaner Folger, Staatsangehöriger einer abtrünnigen Kolonie, totgeschwiegen. Die nächsten Schiffe sind wieder erwähnt, selbstredend solche der Royal Navy.

Bei aller Sympathie für die Pitcairner bleibt anzumerken: Daß nichtbritische Personen der Inselgeschichte es immer schwer haben, ist Tradition. Die Ehrentafel, die zur Zweihundertjahrfeier der Besiedlung Pitcairns enthüllt wurde, nennt als Besiedler lediglich die Meuterer. Von den polynesischen Frauen und Männern, die nach ihrer Freveltat in Tahiti an Bord und mit nach Pitcairn gekommen waren, fehlt auf der Tafel jedes Wort.

Apropos amerikanische Unabhängigkeit: Die Nachfahren nicht nur Fletcher Christians und Käpt’n Blighs (siehe mare No. 7) weilen unter uns. In der bayerischen Provinz lebt heute Douglas Pitcairn (85), Urururenkel von Robert und selbst Segler, der erst unlängst auf dem tückischen Chiemsee in schweres Wetter geriet. Er erzählt, daß Vorfahre Robert bei der Boston Tea Party im amerikanischen Befreiungskrieg in der Elitetruppe Royal Marines kämpfte. Aber auch, daß er selbst wiederum gegen die Royals kämpfte, im Krieg als deutscher Jagdflieger. Familie Pitcairn war bereits vor der Meuterei nach Deutschland und dort zu erklecklichem Wohlstand gekommen. Im Palast derer zu Pitcairn in Memel nächtigte sogar mal Preußens König.

In eigener Sache: Wie der Leser weiß, gibt es gerade erhebliche Verzögerungen im Schiffsverkehr mit Pitcairn. Die letzte Ausgabe der „Pitcairn Miscellany“ traf deshalb noch nicht ein, weshalb die heutige Folge von gebremster Aktualität ist.

mare No. 9

No. 9August / September 1998

Von Ulli Kulke

Ulli Kulke, Jahrgang 1952, ist Chefreporter für Wissenschaft der Berliner Tageszeitung Die Welt.

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