25°04' Süd, 130°06' West - Folge 46

Die Brotfrüchte können sich freuen – fürs Erste werden sie nicht mehr vom Baum geschossen, sie dürfen hängen bleiben. Vor dem Beginn der neuen Runde im Prozess gegen mehrere Pitcairner wegen sexuellen Missbrauchs und Belästigung Minderjähriger müssen alle Inselbewohner ihre Waffen abgeben. Die Verhandlungen, die die Justiz des britischen Mutterlands von neuseeländischen Beamten und Staatsanwälten durchführen lässt, sollen nun wieder auf der Insel stattfinden. In London befürchtet man offenbar, dass erwartete Unmutsäußerungen der Insulaner gegen den Prozess eskalieren könnten. Ihre Kleinkalibergewehre nutzen die – ansonsten eher friedlichen – Pitcairner traditionell, um die hoch hängenden Baumfrüchte herunterzuholen.

Irgendwie will Großbritannien, womöglich zum Ausgleich für den Prozess, die Inselbewohner bei Laune halten. Beim letzten Besuch des Gouverneurs – er wohnt in Neuseeland – kündigte der die Entsendung eines Arztes auf die Insel an. Außerdem stellte er in Aussicht: 50000 Pfund für das Museumsprojekt und sogar eine Million Pfund für eine kleine Landebahn, Verbesserungen am Bootsanleger und die Asphaltierung der steilen Straße vom Anleger hinauf ins Dorf. Doch in Pitcairn bleibt man erst mal skeptisch, hatte man solche Versprechungen früher doch schon öfter gehört – ohne sichtbare Auswirkungen.

Tom hat einen riesigen Zaun um sein Haus errichtet. Die Bewohner von Adamstown – eine eher zaunlose „Hauptstadt“ – wundern sich. Schon spricht man von Toms „Büffelgehege“.

Aufruf in der Inselzeitung „Pitcairn Miscellany“: „Unser Mitbürger Len Brown wird voraussichtlich Ehrenmitglied des feinen britischen „President’s Cricket Club“. Hat jemand ein geeignetes Photo von unseren Cricket-Derbys, das wir dem Club schicken können?“ Cricket gehört zu den Lieblingsbeschäftigungen der Pitcairner. Kommt Besuch, und das auch noch in Mannschaftsstärke, so muss er sich stellen, ob er will oder nicht. Auf unerfindliche Weise gewinnt stets die Mannschaft Adamstowns.

Irma (76) ist ein wenig aus dem Häuschen. Während des Zweiten Weltkriegs ging sie britischen Funkoffizieren oben in der Radiostation auf Taro Ground zur Hand. Einer wollte sie damals prompt heiraten. Und jetzt, 60 Jahre später, erhielt sie doch glatt den ersten Brief von ihrem früheren Verehrer. Was drinstand, verriet sie natürlich nicht.

Gute Ernte aus dem Meer für die rund 40 Bewohner lässt sich aus dem Fishing Report des Monats ablesen. Vom Felsen geangelt: 286 Fische, aus dem Boot: 378. An Großfischen: 29 Tun (die allein könnten Adamstown ernähren), 11 Barrakuda. Dass diesmal kein Hai dabei war, ist bei der Bilanz zu verschmerzen.

Dennoch: Manchmal verlässt selbst Dave und Pawl, routiniertestes Anglerteam der Insel, das Petri Heil. Kurz nachdem sie mit ihrem Boot von der Bounty Bay aus gestartet waren, verspürten sie einen kleinen Ruck. Das blieb dann auch das einzige nennenswerte Ereignis ihrer mehrfachen Inselumrundung mit – eigentlich bewährtem – High Speed. Keiner biss mehr an. Als sie am Spätnachmittag frustiert aufgaben, merkten sie, warum: Es war kein Köder an der Leine. Die „Miscellany“-Redakteurin, eine Neuseeländerin, bemerkt dazu mit Biss in ihrer Klatschkolumne: „Kopf hoch, Jungs, ihr müsst nicht immer ohne angeln! Wenn ich wieder nach Hause gehe, kriegt ihr meine Leine mit Köder.“

Präzisionsarbeit beim Fällen der großen Norfolk-Tanne oberhalb der Kirche, alle Befürchtungen waren grundlos. Der fallende Stamm verschonte das Gotteshaus. Darin verwahren die Pitcairner immerhin die Original-Schiffsbibel der „Bounty“, um ab und zu auch aus ihr zu lesen.

mare No. 46

No. 46Oktober / November 2004

Von Ulli Kulke

Ulli Kulke, Jahrgang 1952, war Chefreporter für Wissenschaft der Berliner Tageszeitung Die Welt.

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