25°04' Süd, 130°06' West - Folge 35

Die lange geplante Satellitenverbindung zwischen Neuseeland und Pitcairn steht. Sie ist zwar von Amts wegen installiert, aber Carol und Jay auf Pitcairn hatten sie gleich für eine private Sendung genutzt. Beim Start schrie ihre jüngste Enkelin Torika, 19 Tage alt, am anderen Ende in die Videokamera. Welche Freude! Da konnte man fast den Hintergrund der Errungenschaft vergessen: der Prozess gegen ein halbes Dutzend Pitcairner Männer wegen Verdachts auf Sex mit Minderjährigen. Er soll von neuseeländischen Behörden geführt, in Pitcairn abgehalten und per Video übertragen werden. Inzwischen machen die Frauen Pitcairns mobil gegen die oktroyierte Verhandlung. Betty Christian schrieb an Pitcairns Gouverneur, der in Auckland residiert, man wolle und könne die Sache unter sich ausmachen. Seit Jahrhunderten seien eben auch Jugendliche auf der Insel sexuell aktiv.

Pitcairn freut sich auf eine Sonnenfinsternis. Am 8. April 2005 wird es sich um 20 Uhr Weltzeit über der Insel verdunkeln. Das ist noch eine Weile hin, aber man hofft schon jetzt, dass viele Yachten mit Schaulustigen kommen, die den Insulanern Schnitzereien abkaufen. Vielleicht schnitzen Tom Christian oder seine Nachbarn dann keine „Bounty“-Modelle, sondern kleine Astrolabien, die Sonne und Mond über der Meutererinsel darstellen.

Neue Bibliothekarin in der Schmökerstube am Dorfplatz ist Shirley Young. Sie konnte sich gleich bei Amtsantritt in der Inselzeitung „Pitcairn Miscellany“ bedanken für die in letzter Zeit besonders freigebigen Spenden von Büchern und Videos aus Amerika, England und Neuseeland. Von „Harry Potter“ stehen jetzt so viele Bände zur Verfügung, dass alle Kinder gleichzeitig einen ausleihen können.

Kaum war Meralda aus Norfolk Island zurück, wo sie sich Grundkenntnisse im Zahnkronenaufsetzen beibringen ließ, brach sich auch schon Sean Bercaw, ein Pitcairn-Forscher, der für zwei Monate auf der Insel weilte, wie bestellt einen Zahn heraus. Auch noch ein Frontzahn! Sean sagte nach der Behandlung, Meralda habe alles viel besser gemacht als sein Zahnarzt in den USA. Der „Miscellany“ nahm die Operation zum Anlass, den Alltag des Allroundtalents Meralda aufzuzeichnen, unter der Überschrift „Eine typische Pitcairnerin“: Vor dem Eingriff hatte sie noch schnell ihren Gemüsegarten bestellt, nachdem sie Sean verarztet hatte, half sie bei einer anderen Angelegenheit im Sanitätsraum, schoss sich dann mit ihrem Kleinkalibergewehr Brotfrüchte vom Baum, reparierte den Zündverteiler ihres Vierradbuggys und fing sich anschließend mit ihrem Boot ein paar Fische fürs Abendessen. Am späteren Abend erledigte sie noch ein paar Gespräche über ihren Kurzwellensender mit Freunden in Übersee. Dabei spricht sie nicht nur, sondern muss manchmal noch richtig morsen. Am Abend zuvor hatte die Inselbardin noch Aufnahmen angefertigt für ihre CD, Gesang und Gitarre. Nebenbei ist sie auch Autorin eines Pitcairn-Kochbuchs.

Als wieder einmal ein französisches Kriegsschiff vor der Küste ankerte, kam sogar der Kommandeur der Flotte Französisch-Polynesiens an Land. Steve Christian bekam als Bürgermeister von dem Admiral einen Orden. In letzter Zeit ist Frankreichs Marine offenbar um gute Beziehungen zur britischen Kolonie bemüht. Noch vor sieben Jahren, nach den Atombombentests im Mururoa-Atoll, war das Verhältnis ziemlich belastet.

Pitcairn hat erstmals öffentliche Toiletten. Gleich mehrere: Weder unten an der Landungsstelle noch an den beliebten Fischgründen auf der gegenüberliegenden „Tedside“, noch oben auf dem St.-Paul’s-Felsen über der Bounty-Bucht müssen sich die Insulaner künftig dringende Bedürfnisse verkneifen.

mare No. 35

No. 35Dezember 2002 / Januar 2003

Von Ulli Kulke

Ulli Kulke, Jahrgang 1952, ist Chefreporter für Wissenschaft der Berliner Tageszeitung Die Welt.

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