25°04' Süd, 130°06' West - Folge 27

Das erste Mal, seit die Pitcairner Buch führen über ihren Fischfang, ist von den Insulanern ein Marlin gefangen worden, einer der majestätischsten Fische der Gegend. „Wir sind uns nur nicht sicher, ob die Leute der ersten Meuterergeneration selbst mal einen an der Angel hatten“, kommentiert der Pitcairn Miscellany, „so weit reicht die Chronik nicht zurück.“ Ausgerechnet Dave Brown hatte das Glück, der sowieso immer alle anderen beim Fischen nervt durch seinen besonderen Ehrgeiz.

Ein Traum der Pitcairner ist geplatzt. Die unbefestigte Straße vom Anlandeplatz hinauf zum „Big Fence“, auf der man entweder im Schlamm versank oder an Staub erstickte, sollte endlich gepflastert werden. Die Regierung des Mutterlandes in London hatte eigens eine internationale Ausschreibung veranstaltet (siehe mare No. 25), auch ein Bauunternehmer aus Bayern wollte, wie mare erfuhr, mitbieten. Und nun ist das Projekt einfach gestoppt. Keiner auf Pitcairn weiß, warum, London hat sich noch nicht dazu geäußert. Man ist enttäuscht. Betty Christian hat über Kurzwelle verkündet, dass der Straßenbau das allerdringendste Projekt der Insulaner ist. Inzwischen sind bei ihnen Überlegungen aufgekommen, an die eigenen Rücklagen, die auf einem Konto in Neuseeland liegen, heranzugehen, um die Straße doch noch bauen zu können.

Derweil ist mal wieder ein anderes Verkehrsprojekt im Gespräch, der Dauerbrenner Flughafen. Auch hier geht es ums Geld. Findige Pitcairner haben gelesen, dass zu den reichsten Männern Amerikas einer mit bekanntem Namen gehört: Warren Buffet. Nun suchen Freunde aus den USA fieberhaft nach Verwandtschaftslinien zwischen Warren und John Buffet, jenem Schiffszimmermann, der 1823 auf die Insel kam. Er war der erste Fremde überhaupt, der sich nach den Schiffsrebellen dort niederließ. Buffet heiratete Dolly Young, die Tochter des Meuterers Edward Young, und war der Stammvater aller späteren Buffets auf der Insel. Sein Namensvetter Warren soll immerhin 36 Milliarden Dollar schwer sein, angeblich der größte Börsenspekulant der Welt. Ist er mit John verwandt, dann würde er – so spekuliert man auf Pitcairn – nicht umhin kommen, eine oder zwei Millionen für den Bau eines Flugplatzes auf Pitcairn oder auf der unbewohnten Nachbarinsel Henderson bereitzustellen. Die Pitcairner hätten auch, wie verlautet, nichts dagegen, den Airstrip „Warren Buffet International Airport“ zu nennen.

Eine Finanzspritze des Warren Buffet und ein daraus resultierender stärkerer Kontakt mit der Außenwelt könnte sich als genauso lebenserhaltend für die kleine Inselgemeinde erweisen wie weiland die Zufuhr neuer Gene in die eingeschworene Gemeinschaft durch John Buffet. Denn die Pitcairner sind zurzeit nicht gerade auf Rosen gebettet. Die britische Regierung hat alle Subventionen gekürzt oder gestrichen, vor allem was die lebenswichtigen Öl- und Benzinlieferungen angeht. Und anstelle der ersehnten Internetverbindung per Satellit kam kürzlich die Nachricht, dass die BBC ihre Südpazifik-Dienste per Kurzwelle erheblich einschränken wird. Pitcairn rückt wieder etwas nach außen in der Weltgesellschaft. Zu allem Überfluss ist Tom Christian, Urururenkel des Meutereianführers Fletcher Christian und gerade 65 geworden, mit Herzproblemen nach Neuseeland zum Arzt gefahren. Betty, seine Frau, muss ihre über 90 Jahre alten Eltern nun allein versorgen.

Es gibt auch einen Lichtblick: Viel Regen hat in den letzten Tagen die Insel beglückt, die Wasserknappheit, die periodisch auftritt, ist fürs Erste gebannt. Auf der Straße heißt es nun wieder: statt Staublunge Schlamm waten.

mare No. 27

No. 27August / September 2001

Von Ulli Kulke

Ulli Kulke, Jahrgang 1952, ist Chefreporter für Wissenschaft der Berliner Tageszeitung Die Welt.

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Vita Ulli Kulke, Jahrgang 1952, ist Chefreporter für Wissenschaft der Berliner Tageszeitung Die Welt.
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