25°04' Süd, 130°06' West - Folge 16

Immer wenn der Rundruf durch’s Inseltelefon schallt: „Raus zum Fischzug“, ist Tony einer der Ersten unten an der Landestelle. So war es auch diesmal. Allerdings wurde er fast etwas nervös, als bei den anderen schon einige Fische angebissen hatten, er aber noch erfolglos blieb. Plötzlich: Tonys Angelleine straffte sich heftig. Er hielt kräftig dagegen, um dem – offensichtlich großen — Fisch zu zeigen: Hier ist ein Profi am Zug. Doch plötzlich wurde die Leine schlaff, Tony holte sie ein: Ein komplettes Fischgebiss nebst Rachen hing an der Leine, mehr nicht. „Der Mann ist so stark, dass er den Rachen einfach aus dem Fisch herausgezogen hat“, kommentierten die Miscellany, „und irgendwo draußen erzählt jetzt ein zahnloser Fisch seine Story, die ihm niemand abnimmt.“

Auf dem Dampfer von Auckland nach Pitcairn hatten Hendrik und Nicola aus lauter Langeweile eine Flaschenpost ins Meer geworfen. Das hatten sie längst vergessen, als sie jetzt einen Brief von einem 13-jährigen Mädchen bekamen, das die Flasche neun Monate nach dem Abwurf am Strand der Fiji-Insel Kadavu gefunden hatte. Die Flasche habe auf ihrer Wegstrecke von 5000 Kilometern eine Durchschnittsgeschwindigkeit von 23 Tageskilometern zurückgelegt, rechneten Hendrik und Nicola flugs aus. (Dies würde allerdings nur für den direkten Weg gelten. Falls, was eher wahrscheinlich ist, die Flasche einen Umweg über den Humboldtstrom vor Südamerika nahm, wäre gut die doppelte Strecke zusammengekommen, d.Red.) Natürlich antworteten beide dem Mädchen, mit normaler Post. Ob’s schneller ging, ist noch nicht bekannt.

Die Miscellany sind kürzlich 40 Jahre alt geworden. Dazu erschien jetzt eine Grußadresse ihres Gründers Ernest Schubert, der sie als Lehrer 1959 ins Leben gerufen hatte. Die Idee sei ihm in einer schlaflosen Nacht gekommen, als er sich überlegte, wie die zahllosen Briefe, deren Absender etwas über das Leben auf Pitcairn erfahren wollten, rationeller beantwortet werden könnten. Ein früherer Versuch, eine Inselzeitung mit dem Namen „Pitcairn Pilhai“ zu etablieren, war gescheitert (Pilhai ist ein Gemüsepfannkuchen, das Pitcairner Nationalgericht). Ernests Frau Betty und Betty Christian schrieben für die ersten Miscellany die Texte auf der Schreibmaschine, Pfarrer Rex Cobbin half als Unterredakteur, und Dorfpolizist Floyd McCoy stellte seine Hektographiermaschine zur Verfügung. Das Editorial in Ausgabe Nr. 1 richtete Schubert an die Pitcairner: „Pitcairn Miscellany ist für euch alle. Möge die Zeitung euch erleuchten, bilden und unterhalten, und möge ihr ein langes und fruchtbares Leben beschieden sein.“

Eine der großen Persönlichkeiten Pitcairns ist Mr. T, die Riesenschildkröte. Ihr guter Ruf bekam kürzlich allerdings einen Knacks, als sie, von der Küste bei Tedside kommend, den Berg hinaufstapfte und sich an den köstlichen Früchten der dortigen Obst- und Gemüsegärten der Adamstowner schadlos hielt. Ihre Lieblingsspeise sind Gurken und Ananas. Wegen des zu befürchtenden Volkszornes war „das Tier in Gefahr, zum seligen Mr. T zu werden“, befürchteten schon die Miscellany. Aber Michael, Tom und Betty retteten es. Michael fuhr es mit seinem Buggy-Anhänger hinunter zur Tedside. Der Dank der Kreatur: Sie urinierte in den Wagen. Damit nicht genug: Nachdem Michael sie herausgehoben hatte, floh die „mobile Fressmaschine“ (Miscellany) in ihrem „bedächtigen, aber bestimmten Weg“ zur Futterquelle. Dabei sei sie unter den Anhänger gekrochen und habe ihn mitsamt dem Vierrad-Buggy ein Stück des Weges wieder hinaufgeschoben.

mare No. 16

No. 16Oktober / November 1999

Von Ulli Kulke

Ulli Kulke, Jahrgang 1952, ist Chefreporter für Wissenschaft der Berliner Tageszeitung Die Welt.

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Vita Ulli Kulke, Jahrgang 1952, ist Chefreporter für Wissenschaft der Berliner Tageszeitung Die Welt.
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