Zwei Dampfer in stürmischer See

Die neuen Parteizentralen von SPD und CDU in Berlin sind Monumente mit maritimem Anspruch

Sind die Tanker modernisierbar, oder müssen sie einfach ins Schiffsmuseum?“ In seinem Buch über den „digitalen Kapitalismus“ fragt der SPD-Politiker Peter Glotz, wie seine Partei noch zu retten sei. Unterdessen haben sich die Sozialdemokraten mit ihrer Parteizentrale in Berlin-Kreuzberg längst einen neuen „Tanker“ gebaut, und die Kollegen von der CDU sind gerade dabei, ihr Flaggschiff in Berlin-Tiergarten startklar zu machen.

Berlin, Landwehrkanal: Schräg gegenüber vom Bauhaus-Archiv sticht gleich ein Dampfer in See. Er liegt fast genau an der Stelle, wo einst die Leiche Rosa Luxemburgs von ihren Feinden in den Kanal geworfen wurde. Noch fehlt dem gläsernen Luxusliner die Endabnahme, doch schon bald wird ein CDU-Funktionär mit einer Magnumflasche Champagner vorbeikommen und die Schiffstaufe vollziehen.

Während des Richtfestes wurde CDU-Generalsekretärin Angela Merkel schon einmal maritim, als sie den Gästen munter zurief: Das neue Haus werde „den Wogen trotzen“. Im Juni 1999 waren zunächst nur die Konturen der eleganten, ockerfarbenen Schiffsaufbauten zu sehen, und Angela Merkel konnte noch nicht wissen, dass die CDU angesichts der Spendenaffäre bald tatsächlich ein sturmfestes Schiff nötig haben würde. Der Rumpf, die zweite, transparente Haut aus Glas, fehlte damals noch. Inzwischen mag sich so mancher Parteifunktionär ein robusteres Material wünschen.

Der Architekt Thomas Pink sitzt in seinem Düsseldorfer Büro. Er spricht von Ökologie und davon, wie der Entwurf für das dreieckige Grundstück nach Licht, Luft und Sonne sucht. Dies haben die Architekten vom Büro Petzinka, Pink und Partner mit ihrem Schiff geschafft. Wie unsinnig manche andere Interpretation der klaren Linien ist, demonstrierte der Berliner „Tagesspiegel“: „Eine gläserne Birne für 150 Christdemokraten“ titelte das Blatt im verzweifelten Versuch, eine wohl bekannte wie überstrapazierte Metapher unterzubringen.

Politik und Seefahrt gehören seit jeher zusammen. Es waren Briten – also ein Seefahrervolk –, die den Deutschen des Kaiserreichs ein Bild bescherten, das bis heute unvergessen blieb: „Der Lotse verlässt das Schiff.“ Die Worte standen unter einer Karikatur, die Reichskanzler Otto Fürst von Bismarck zeigte, wie er sein Schiff verließ, nachdem er im März 1890 die Entlassungspapiere von Kaiser Wilhelm II. erhalten hatte. Ohne einen kompetenten Mann auf der Brücke – so die Botschaft der Karikatur – ist auch mit dem schönsten Schiff nicht mehr viel Staat zu machen. Auf die CDU-Zentrale übertragen, hieße das für den schicken Schiffsneubau in Berlin-Tiergarten: Die alten Lotsen dürfen erst gar nicht mit an Bord. Tatsächlich hat das frühere Spitzenpersonal der Partei bereits darauf verzichtet.

Spanien, Portugal und England wurden als Seemächte groß, und bis heute benutzen Politiker und Journalisten Begriffe aus der Seefahrt, um den großen Ereignissen der Weltpolitik rhetorisch Respekt zu verschaffen. Der kosovarische Schriftsteller Migjen Kelmendi aus Pristina hat es auf den Punkt gebracht: „Schiffe tragen die Souveränität ihres Staates mit sich, sie sind ein beweglicher Teil dieses Staates, und wer sie anrührt, der vergreift sich an ihm, der führt Krieg mit diesem Staat.“ Das Schiff als Staat, das Schiff als Partei – dies erinnert daran, dass der Bau noch zur Zeit des Parteivorsitzenden Helmut Kohl in Auftrag gegeben wurde, der mit seinen Schwarzgeldern letztlich über diese Gleichsetzung – was gut für die Partei ist, ist auch gut für den Staat – über Bord gegangen ist.

Berlin-Kreuzberg, Stresemann-/Ecke Wilhelmstraße: Auch das Willy-Brandt-Haus, die neue SPD-Parteizentrale, hat einen dreieckigen Grundriss. Hier liegt seit 1996 der Parteidampfer vor Anker. Das oberste Stockwerk ist etwas zurück-gesetzt, sodass der Dampfer mit einer echten Reling aufwarten kann. Äußerlich hat die SPD ein standfestes, behäbiges Schiff gebaut und keinen schicken Luxusliner. Man denkt an ein Containerschiff, das nützliche Fracht über den Ozean schippert. Und die monumentalen Torbauten an den Eingängen zur Passage erwecken den Eindruck, als handele es sich um das Heck eines Fährschiffs, das nur noch auf eine Ladung Autos wartet. Wahrscheinlich wollten die Sozialdemokraten das von Glotz populär gemachte Bild vom „schweren Tanker SPD“ noch einmal bestätigen.

So steht in Kreuzberg nun ein Schiff, das nach Bauplänen eines vergangenen Jahrzehnts errichtet wurde. Schwung bekommt das Haus erst im Innern. Wer den Bau betritt, wird spüren, dass auch dieses Schiff filigrane Leichtigkeit besitzt, die der Passagier von heute schätzt.

Denn innen ist auch die SPD-Parteizentrale ein Luxusdampfer. Das fünfgeschossige Atrium gleicht dem Negativabdruck eines dynamischen Schiffskörpers. Man „erlebt den Innenraum als Außenraum“, bemerkt der Architekturjournalist Rolf Lautenschläger. Durch das Glasdach in 25 Meter Höhe fällt Tageslicht ein, das sich an der bläulich schimmernden Innenfassade je nach Witterung und Sonnenstand verändert und sich im gesamten Gebäude vielfach bricht, so als blicke man in ein Kaleidoskop. Hier herrscht „zuweilen die Glätte und Kälte einer Gletscherspalte“, beschreibt der Architekturkritiker Dieter Bartetzko seinen Eindruck.

Unten im Atrium steht ein überlebensgroßer Willy Brandt, eine Bronze des Künstlers Rainer Fetting. Der Lotse Helmut Schmidt mit seinem Elbsegler hätte hier auch eine gute Figur gemacht. Brandt ist 3,40 Meter hoch und 500 Kilo schwer und begegnet uns als standfester Geleitmann in rauher See, und doch wirkt er mit seiner unruhigen Oberfläche in dem gewaltigen Schiffsbauch reichlich verloren. Eine Hand steckt in seiner Hosentasche, die andere zeigt zum Bug, wo im fünften Stock die Kapitänsbrücke aus dem Schiffskörper ragt. Willy Brandt wären die Worte von Daniel Defoe sicher nicht zum Orakel geworden: „Ein alter und erfahrener Lotse verliert sein Schiff durch allzu große Selbstherrlichkeit wie ein junger Lotse durch Unkenntnis und Mangel an Erfahrung.“ Helmut Kohl hat diese Erfahrung nun gemacht.


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mare No. 19

No. 19April / Mai 2000

Von Adolf Stock

Der Berliner Journalist Adolf Stock, Jahrgang 1951, schreibt am liebsten über das Verhältnis von Architektur und Gesellschaft. Die CDU-Zentrale bekam er nur auf Plänen zu sehen – der Bauherr verwehrte ihm den Besuch

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Vita Der Berliner Journalist Adolf Stock, Jahrgang 1951, schreibt am liebsten über das Verhältnis von Architektur und Gesellschaft. Die CDU-Zentrale bekam er nur auf Plänen zu sehen – der Bauherr verwehrte ihm den Besuch
Person Von Adolf Stock
Vita Der Berliner Journalist Adolf Stock, Jahrgang 1951, schreibt am liebsten über das Verhältnis von Architektur und Gesellschaft. Die CDU-Zentrale bekam er nur auf Plänen zu sehen – der Bauherr verwehrte ihm den Besuch
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