Zurück zum Meer der Unschuld

Zwei Fachleute über die Farbe Blau in der Werbung

mare: Samstagabend, im Fernsehen, zur besten Sendezeit. In einem beliebigen Werbeblock bestimmen bei zehn von zwölf Spots das Wasser, die Farbe Blau und das Meer die Botschaft – von Becks bis C & A. Wofür steht in der Werbung eigentlich das Meeresblau?

André Kemper: Vom „Farbklima“ her betrachtet, wirkt Blau sehr sanft und beruhigend. In einer Zeit, die immer hektischer und lauter wird, die uns mit Informationen zudonnert, ist Blau so etwas wie ein Ozean der Stille, wohin ich mich zurückziehen kann. Außerdem kommt der Mensch ja letztlich aus dem Wasser. Deshalb glaube ich, dass in jedem eine Sehnsucht nach dem Meer existiert. Das läuft eher mit dem Herzen und Gefühl als über den Kopf.

Jürgen Eikel: Richtig, einerseits haben wir die Weite: Himmel und Meer. Doch da muss man auch ein bisschen vorsichtig sein. Denn nicht ohne Grund heißt es im Englischen „I feel blue“, wenn ich mich etwas depressiv fühle. Wir haben es beim Blaugefühl also mit einer nach innen gerichteten Kraft zu tun, die sowohl positiv als auch negativ aufgefasst werden kann.

Werbebotschaften orientieren sich meist an positiven Empfindungen. Wenn die Telekom für ihre ISDN-Anschlüsse mit einem sattblauen Strand-Ambiente wirbt – wie vollzieht sich da der Image-Transfer vom Meer aufs Produkt?

Kemper: Ich denke bei ISDN, einer modernen Kommunikationstechnik, funktioniert das ähnlich wie auch bei Erzeugnissen des Computerriesen IBM, der ein blaues Logo hat und dessen Imperium auch „Big Blue“ genannt wird. Blau symbolisiert hier diese unheimliche, nicht fassbare Power der virtuellen Welt, des Cyberspace – wie die Tiefe des Meeres oder des Universums, das vom Himmelblau über Dunkelblau letztlich die Farbe Schwarz annimmt.

Ist denn das „Image“ der Farbe Blau identisch mit der bewussten Wirkung von Blau, oder spielt sich das im Unbewussten ab? Gerade, wo Blau doch eine so widersprüchliche Bedeutung hat, die von der himmlischen Ewigkeit blauer Madonnenmäntel bis hin zu Tod und Verfall reicht, man denke an Schimmelpilze.

Kemper: Als wir unsere Kampagne für Davidoff Cool Water entwickelt haben, fingen wir erstmal positiv an zu überlegen. Wir dachten nicht an ein abstraktes Blau, sondern an konkrete Situationen und Gefühle, an Urlaub, an Strand, Spaß, ans Schwimmen. Aus diesen freundlich gesonnenen Assoziationen entstand die Kampagne. Das zieht sich bis heute durch die Promotion: vom Surf-Simulator bis hin zum Teppich an den Verkaufspunkten, der in Blautönen gehalten ist. Da alles für den Konsumenten positiv behaftet ist, wird die negative Seite der Farbe Blau gern über Bord geworfen.

Herr Kemper, auch in der Kampagne für TUI spielt Blau eine große Rolle. Sie sagten, dass Blau beruhigende Stille ausdrückt. Wollen Sie so besonders die ältere Kundschaft ansprechen?

Kemper: Keineswegs. Stille per se ist etwas sehr Positives. Um laut und vernehmbar zu sein, muss ich die Leute nicht anbrüllen. Im Gegenteil. Ruhe und Klarheit – das zeigt unsere Erfahrung – wirken sehr stark auf Leute jeden Alters. Deshalb arbeiten wir viel mit Blau, deshalb ist die TUI-Farbe Blau. Für mich persönlich hat Blau überhaupt nichts Bedrohliches. Wenn wir morgens das Fenster aufmachen oder die Vorhänge beiseite schieben und der Himmel und das Meer sind blau, dann fühlen wir uns sofort glücklich. Blau verfügt über eine ungeheure Energie, und Energie ist überaus wichtig in der Kommunikation.

Eikel: Vor allem besitzt Blau eine emotionale Energie, weil es direkt aufs Gemüt geht.

Kemper: Und Blau steht für Heimat. Als die Astronauten oben im All schwebten, da war die Erde eine blaue kleine Kugel. Das Gefühl dieses Anblicks ging so weit, dass ihnen Tränen in den Augen standen. Blau ist eben auch unser Zuhause, was unheimlich Schönes, Anziehendes.

Auch andere Farbtöne lösen heftige Empfindungen aus, zum Beispiel die Signalfarbe Rot. In der Marlboro-Werbung gibt es ebenfalls einen starken Mann in der Natur – wie bei Cool Water. Nur eben alles in Rot: Grand Canyon, Sonne, Zigarettenschachtel. Was sagt uns Rot im Unterschied zu Blau?

Kemper: Rot ist eine anregende, ja eine erregende Farbe. Das berühmte Rotlichtviertel heißt nicht ohne Grund so. Mit Hilfe von Rot senden Tiere Warnsignale aus – das erzeugt Aufregung. Blau wirkt eher gegenteilig auf uns. Der Farbe Blau vertraue ich, der Farbe Rot nicht so stark.

Eikel: Bei den Alchemisten im Mittelalter war Rot das Zeichen der Männlichkeit und damit auch von Fruchtbarkeit. Die alten Ägypter haben die Farbe Rot zur Bannung des Feuers verwendet, und bis heute noch sind Feuerwehren rot. Doch in den 80er Jahren wurden aus den Machos die sensibleren Kerle. Da kam die Zeit von Davidoff Cool Water, die Zeit der Farbe Blau. Außerdem konnten in der Werbung erstmals nackte Männer gezeigt werden. Der rote Marlboro-Mann drückt eine 30jährige Entwicklung aus, die Bestand hat, weil sich die Marke damit positionierte.

Ist Rot jetzt out? Gehört Aquamarin, Türkis und Königsblau die Zukunft?

Eikel: Nein, das würde ich nicht behaupten.


Dies ist ein Auszug aus dem Text. Den ganzen Beitrag lesen Sie in mare No. 15. Abonnentinnen und Abonnenten lesen ihn auch hier im mare Archiv.

mare No. 15

No. 15August / September 1999

Interview von Thomas Worm und Ulli Kulke

Das Gespräch führten die mare-Redakteure Thomas Worm und Ulli Kulke

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Vita Das Gespräch führten die mare-Redakteure Thomas Worm und Ulli Kulke
Person Interview von Thomas Worm und Ulli Kulke
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