Zukunft mit Biss

Quallensalat, Quallensuppe, Quallen-BBQ – was in Süd­ostasien gängige Kost bei Tisch ist und sich zu einem Milliardenmarkt der Nahrungsmittelindustrie entwickelt, sucht sich gerade einen Weg in die ­Küchen der restlichen Welt

Es ist noch früh, als Mongkol Wattana Kiri, 50, und Jerawat Yodsuwan, 36, aus dem Schatten der Palmen an den Strand von Chathing Phra am Golf von Thailand treten. Sie blicken hinaus aufs Meer: kein Wind, keine Wellen. „Perfekte Bedingungen“, sagt Kiri. Yodsuwan wischt mit einem Lappen über den Boden des Fischerboots, um die Feuchtigkeit der Nacht aufzusaugen. Kiri füllt mit einer Plastikflasche etwas Sprit nach. Dann zerren beide das Boot ins Wasser. Augenblicke später lassen sie das winzige Dorf im Süden Thailands hinter sich zurück.

Den Himmel verhüllen graue Wolken. Fahles Morgenlicht liegt über dem Meer. Die fünf Meter lange Propellerwelle des Boots röhrt. Während beide so dahin­tuckern, durchfurchen sie die Wasser­oberfläche mit ihren Blicken. Der Fahrtwind auf der Haut tut gut, denn es ist heiß, weit über 30 Grad. Immer wieder beschleunigen sie, bremsen ab. Ein Ruder für Notfälle, ein Anker, ein paar Zigaretten und ein Plastikkorb – mehr haben sie nicht an Bord.

Kiri und Yodsuwan sind auf der Suche nach etwas, das ihr Leben verändert hat – und unseres schon bald verändern könnte: Quallen. Je nach Zählweise gibt es weltweit mehr als 2000 Arten, etwa 30 davon sind essbar. In thailändischen Gewässern sind es vor allem zwei: Rhopilema esculentum und Lobonema smithii, beide aus der Ordnung der Wurzelmundquallen. 500 und mehr Quallen können die beiden Fischer an einem guten Tag fangen. Bei fünf bis zehn Baht für ein Tier je nach Art und Größe, zwölf bis 25 Cent also, sind das für jeden jeweils 65 Euro Tageslohn – mehr, als sie je für Fisch bekommen würden, aber nur ein Bruchteil dessen, was andere im Geschäft mit den Meerestieren verdienen.

In China kommen Quallen wohl schon seit 1700 Jahren auf den Tisch. Auch in anderen asiatischen Ländern ist die Qualle gefragt wie nie. In den feinen Restaurants von Bangkok, Seoul, Taipeh und Tokio werden die Tiere für gutes Geld meist als Quallensalat serviert. Noch vor wenigen Jahren interessierten Quallen die Fischer herzlich wenig. Sie wurden einfach weggeworfen, wenn sie als Beifang in den Netzen landeten. Seit Forscher aus aller Welt die gesundheitlichen Vorzüge des Quallenverzehrs preisen, ist in Thailand ein regelrechter Boom entstanden. Die von Fischern gefangenen Quallen werden von Zwischenhändlern körbeweise gekauft, Fabriken verschiffen sie containerweise in die Welt.

Doch heute herrscht Flaute. Yodsuwan, dem das Boot gehört, steht am Steuer. Kiri, ein kleiner Mann mit Kappe und sonnengegerbter Haut, hält Ausschau, ob sich an der Wasseroberfläche nicht etwas rührt. Kiri fischt, so lange er denken kann. Schon sein Vater war Fischer. Früher stellten sie Krabben, Makrelen, Sardinen und Thunfischen nach, seit zehn Jahren vor allem Quallen. Die Fischerei findet meist tagsüber mit Netzen, oft aber auch mit Keschern oder Körben statt – und manchmal sogar mit bloßen Händen. Nach einer Viertelstunde begegnen Kiri und Yodsuwan einem Krabbenfischer. „Mangapoon?“, ruft Kiri herüber. „Quallen?“ Der Fischer verneint.

Kiri zündet sich eine „John Black“ an. Er blickt nach links und nach rechts: nichts. Eine Stunde geht das so. Dann geben die beiden auf und fahren zurück. „Keine Chance“, sagt Kiri. „Bei starker Strömung tauchen die Tiere einfach ab, und Strömungen erkennt man von Land nicht.“ Eine der besten Jahreszeiten für Quallenfang ist die Regenzeit. Quallen lieben Regen, weil das Wasser an der Oberfläche dann kühler ist. Doch die Regenzeit hat selbst jetzt, Anfang August, noch nicht begonnen. Durch den Klimawandel werden die Jahreszeiten auch im Golf von Thailand immer unberechenbarer.

Es ist eine Knochenarbeit, und die Fischer leben spartanisch. Oft schlafen sie für Wochen, ja Monate unter Palmen, essen unter Palmen, verrichten ihre Notdurft unter Palmen. Um sich vor dem Monsunregen zu schützen, spannen sie Plastikplanen zwischen den Bäumen auf. Heute früh haben sie die Reste von gestern gegessen: Reis mit Fisch, wie fast immer. Und sie haben Kratom getrunken, einen Tee aus den geriebenen Blättern des Roten Sentolbaums. Seinen Ingredienzen wird eine psychoaktive Wirkung nachgesagt. Die Männer süßen den Tee mit Sirup. „Das gibt Kraft“, sagt Kiri. Und die brauchen sie, denn immer wieder kentern schwer mit Quallen beladene Boote in den Wellen. Jeder hier kennt Fischer, die nie zurückkamen.


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mare No. 160

mare No. 160Oktober / November 2023

Von Fabian von Poser und Karl Mancini

Für Fabian von Poser, Jahrgang 1969, war die ­Recherche für diesen Artikel die erste „hautnahe“ Begegnung mit Quallen. Der Münchner Journalist und Autor war begeistert davon, wie anmutig sich die Tiere in ihrem natürlichen Ambiente bewegen – und erstaunt darüber, welch komplexes Handels­geflecht aus Fischern, Zwischenhändlern und Exporteuren mit den Jahren in Thailand entstanden ist.

Karl Mancini, geboren 1978, Fotograf in Rom und Buenos Aires, hat noch nie so viele Quallen auf einmal im Wasser gesehen wie jetzt in Thailand. Jede von ihnen wog zum Zeitpunkt des Fangs über zehn Kilogramm. Sie auf das kleine Boot zu hieven erforderte von den Fischern Kraft und Akrobatik.

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Vita

Für Fabian von Poser, Jahrgang 1969, war die ­Recherche für diesen Artikel die erste „hautnahe“ Begegnung mit Quallen. Der Münchner Journalist und Autor war begeistert davon, wie anmutig sich die Tiere in ihrem natürlichen Ambiente bewegen – und erstaunt darüber, welch komplexes Handels­geflecht aus Fischern, Zwischenhändlern und Exporteuren mit den Jahren in Thailand entstanden ist.

Karl Mancini, geboren 1978, Fotograf in Rom und Buenos Aires, hat noch nie so viele Quallen auf einmal im Wasser gesehen wie jetzt in Thailand. Jede von ihnen wog zum Zeitpunkt des Fangs über zehn Kilogramm. Sie auf das kleine Boot zu hieven erforderte von den Fischern Kraft und Akrobatik.

Person Von Fabian von Poser und Karl Mancini
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Für Fabian von Poser, Jahrgang 1969, war die ­Recherche für diesen Artikel die erste „hautnahe“ Begegnung mit Quallen. Der Münchner Journalist und Autor war begeistert davon, wie anmutig sich die Tiere in ihrem natürlichen Ambiente bewegen – und erstaunt darüber, welch komplexes Handels­geflecht aus Fischern, Zwischenhändlern und Exporteuren mit den Jahren in Thailand entstanden ist.

Karl Mancini, geboren 1978, Fotograf in Rom und Buenos Aires, hat noch nie so viele Quallen auf einmal im Wasser gesehen wie jetzt in Thailand. Jede von ihnen wog zum Zeitpunkt des Fangs über zehn Kilogramm. Sie auf das kleine Boot zu hieven erforderte von den Fischern Kraft und Akrobatik.

Person Von Fabian von Poser und Karl Mancini