Zirkus um die Kirmes

Noch dämmert Coney Island zwischen Wehmut und Verfall. New Yorker Bürger und ein Investor ringen um seine Zukunft

Früher nannte man Coney Island „the people’s playground“. Der Spielplatz des einfachen Mannes. Luna Park. Dreamland. Steeplechase Park. Die berühmtesten Vergnügungsparks ihrer Zeit begründeten den Ruhm der Halbinsel am Rand des Molochs New York. Menschen, Schauspiele, Sensationen. Einmal stellten sie sogar einen Elefanten auf Wasserski. Doch nach dem Zweiten Weltkrieg machten die großen Vergnügungsparks dicht. Coney Island versank in Depression. Der endgültige Abstieg begann mit dem Bau von Sozialwohnungen in den sechziger Jahren. Die Gegend verlotterte. Spelunken, Armut, Kriminalität. So wurde Coney Island zum „Sodom by the sea“.

Nur Brooklyns Immigrantenfamilien kamen am Wochenende, zelebrierten Picknicks, gingen lärmend baden. Der Süden Brooklyns ist traditionell eine der ärmsten Gegenden New Yorks, Coney Island war Naherholung, die man sich leisten konnte. Und so verzeichnete Astroland, ein kleiner Vergnügungspark am Boardwalk, der hölzernen Strandpromenade, Zulauf. Kuriose Läden mit Tand, Trödel und Nippes entstanden. Im Schatten von „Deno’s Wonder Wheel“ bildete sich eine Subkultur mit Burleske und Kleinkunst, begleitet von „Nathan’s“ weltberühmten Hotdog-Wettessen, bei dem korpulente Herren namens „Hungry“ Charles Hardy oder Ed „The Animal“ Krachie um einen senffarbenen Gürtel konkurrierten.

Während sich Manhattan in den späten Neunzigern zu einem Markeneinkaufsparadies mit Multiplexkinos und Kettenrestaurants entwickelte, während Times Square, Harlem und Lower East Side yuppietauglich gemacht wurden, entwickelte sich Coney Island zu einem exzentrischen Konsumverweigerer, schmuddelig, frivol, grotesk. Und einzigartig. Delfinshows im muffigen Aquarium. Fahrten auf der betagten Achterbahn Cyclone. Alte, dickbäuchige Männer in ärmellosen T-Shirts auf der Pier, die mit Hühnerbeinen in Salatschleudern nach Krabben fischen. Ein kurioser Mix aus Asiaten, Kreolen und Schwarzen. Man kommt sich vor wie in einem Sylvester-Stallone-Film anno 1980.

Wenn es nach Bürgermeister Michael Bloomberg, der Stadt New York und Coney Islands Geschäftsleuten geht, wird sich diese Welt bald drastisch verändern. Sie alle wollen nämlich Coney Island schöner machen. Mit Hotels, Einkaufszentren und Eigentumswohnungen mit Meerblick. Und natürlich „Weltklasse-Vergnügungen“. So jedenfalls hörte sich das vor einigen Jahren an. Deshalb investierte die Stadt 240 Millionen Dollar in die Renovierung des Subway-Terminals Stillwell Avenue, der 2004 eröffnet wurde. 2005 stellte Bloomberg darüber hinaus 83 Millionen Dollar für die Transformation von Coney Island zur Verfügung. Eingeleitet wurde sie bereits mit einem Baseballstadion für die unterklassigen Brooklyn Cyclones. Die Website der Coney Island Development Corporation (CIDC) verkündet großspurig: „Neue Kapitalverbesserungen und erweitertes Parkland wird die Grünflächen größer und besser machen denn je.“

Die CIDC ist ein Gremium von 13 Geschäftsleuten, Vertretern diverser Organisationen und einfachen Bürgern, die überwiegend im Stadtbezirk Brooklyn leben und arbeiten. Ihre Aufgabe ist, einen Plan auszuarbeiten für die Änderung des Flächennutzungsplans. Derzeit sind etwa 25 Hektar in Coney Island ausschließlich als „C7“ ausgewiesen, das steht für „Amüsiergewerbe unter freiem Himmel“. Um die Grundlagen für eine Neubebauung des Areals zu schaffen, muss ein Modifizierungskonzept vorgelegt werden, das dann vom Stadtrat verabschiedet wird. „Wenn das einmal passiert“, sagt Lynn Kelly, die Vorsitzende der CIDC, „gibt es kein Zurück mehr, dann ist der Fall ein für allemal vom Tisch.“

September 2005. Die CIDC präsentiert ihren Plan. Er sieht etwas mehr als 20 Hektar Vergnügungspark vor, die größte innerstädtische Anlage dieser Art in den USA. Eigentumswohnungen, mehr Läden und öffentliche Plätze sollen die Stadtbrache beleben. Allerdings hat inzwischen ein gewisser Joe Sitt mit seiner Immobilienfirma Thor Equities für 100 Millionen Dollar große Teile des fraglichen Areals aufgekauft. Sitt ist im benachbarten Viertel Gravesend aufgewachsen, präsentiert sich gerne als Retter von Coney Island und hat eine Vision. Einem Reporter des „New York Magazine“ beschreibt er sein Las Vegas der Ostküste: „Stellen Sie sich das ,Bellagio‘-Hotel vor, bleiben Sie stehen und sehen es: die Lichter, die Action, die Vitalität, die Menschen. Wir wollen das gleiche Gefühl beschwören. Es ist aufregend. Es ist beleuchtet. Es ist sexy.“

November 2007. Sitts Glücksspielparadies ist mangels Investoren schon ad acta, dennoch präsentiert die CIDC einen neuen Plan. Das ist nicht überraschend, immerhin trifft sie sich mit Vertretern der Kommune, Anwohnern, Händlern, um Anregungen, Vorschläge, Ideen zu sammeln „200 Versammlungen bis heute“, sagt Kelly. Überraschend ist vielmehr: Jetzt sind nur noch sechs Hektar für Schausteller und Amüsierbetriebe vorgemerkt. Nicht wenig genug, Sitt protestiert, auch der zuständige Mann im Stadtrat, Dominic Recchia, protestiert. Sie wollen das Rummelareal noch kleiner halten. Nicht erst seither kursiert das Gerücht, Sitt, der sein Geld mit Shoppingmalls machte und ein Label mit Kleidung für übergewichtige schwarze Frauen kreierte, soll Recchias Wahlkampf finanziert haben. Im April 2008 ändert die CIDC ihren Plan erneut. Nun sind 3,6 Hektar Vergnügungspark geplant, und Jasper Goldman sagt: „Jetzt machen wir uns ernsthafte Sorgen.“


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mare No. 70

No. 70Oktober / November 2008

Von Gerhard Waldherr

Der Berliner Reporter Gerhard Waldherr, 1960 geboren, war acht Jahre New-York-Korrespondent für die Süddeutsche Zeitung, Geo und die NZZ. Sein Herz hängt am eigenwilligen Stolz von Coney Island. Hier fand er den Gegenpol zu Manhattans Glitzer.

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Vita Der Berliner Reporter Gerhard Waldherr, 1960 geboren, war acht Jahre New-York-Korrespondent für die Süddeutsche Zeitung, Geo und die NZZ. Sein Herz hängt am eigenwilligen Stolz von Coney Island. Hier fand er den Gegenpol zu Manhattans Glitzer.
Person Von Gerhard Waldherr
Vita Der Berliner Reporter Gerhard Waldherr, 1960 geboren, war acht Jahre New-York-Korrespondent für die Süddeutsche Zeitung, Geo und die NZZ. Sein Herz hängt am eigenwilligen Stolz von Coney Island. Hier fand er den Gegenpol zu Manhattans Glitzer.
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