Ziemlich beste Freunde

Kaum zu glauben: In Südaustralien halfen Orcas einheimischen Fischern noch bis ins 20. Jahrhundert bei der Waljagd


Tom ist tot. 6,7 Meter lang, sieben Tonnen schwer. Sein aufgeblähter Körper erinnert an einen abgestürzten Zeppelin, der nun in der Snug Cove treibt, einem natürlichen Hafen in der Twofold Bay im Südosten Australiens. Die lange Rückenflosse des Schwertwals hat einen leichten Knick nach rechts. Es sieht aus, als wolle Tom zum Abschied winken. Es ist der 17. September 1930. Tom ist der letzte in einer Linie von Orcas, die gemeinsam mit Menschen jagten und lebten. Nie hat man vorher von einer solchen Gemeinschaft gehört, nie nachher.

Toms Skelett hängt als Beweis für diese einzigartige Ära im Killer Whale Museum im australischen Küstenort Eden, seine Knochen schweben in der Luft, an seinen Vorderzähnen erkennt man eine Kerbe am unteren Rand.

Die Kerbe stamme von den Seilen, erzählt der alte Fischer Jack Warren, der inzwischen verstorben ist, in einem Interview, das vor 20 Jahren mit ihm geführt wurde. Dieses Seil habe Tom immer wieder ins Maul genommen. An dem Seil hing das Boot von George Davidson. Tom, der Anführer der Schwertwalschule in der Twofold Bay, war für Davidson so etwas wie ein Jagdhund zu Wasser.

Hatte die Schule Beute ausgemacht, schwamm Tom in Richtung Ufer. Dort, wo Davidsons Walfangstation war, vollführte er Luftsprünge, ließ sich auf die Oberfläche fallen, immer wieder, schlug mit seiner Schwanzflosse aufs Wasser. So rief er Davidson zur gemeinsamen Jagd. Bisweilen soll er sich das Seil gegriffen haben und Davidsons Boot hinausgezogen haben, vorbei an der Konkurrenz. Gejagt wurden Bartenwale, darunter vor allem Buckelwale und Südkaper, die die Menschen brauchten, um aus deren Fett Margarine, Seife, Schmiermittel, Kerzen oder Tierfutter herzustellen. Als Dank für die Jagdhilfe erhielten Tom und die anderen Schwertwale aus seiner Sippe die Zungen und Lippen der getöteten Wale.

Jahrzehntelang suchte Tom jeden Winter zwischen Juni und September jene Bucht auf, die auf halbem Weg zwischen Sydney und Melbourne an der Südostküste Australiens liegt. Die Twofold Bay hat ihren Namen, weil sie aus zwei Buchten besteht: der Calle Calle Bay im Norden und der Nullica Bay im Süden. Auf der Landzunge dazwischen befindet sich das Städtchen Eden, die südlichste Stadt des Bundesstaats New South Wales.

Nullica Bay ist klein, kaum 32 Quadratkilometer groß, ihre Einfahrt mit drei Kilometern schmal und flach, an ihrer tiefsten Stelle sind es gerade 35 Meter bis zum Meeresgrund. Zum Ufer hin fächert sich die Bucht auf, ist gespickt mit Vorsprüngen, Nischen und Sandbänken. Es ist die perfekte Falle. In diese Bucht trieben Tom und seine Kumpane die Bartenwale, schnitten ihnen den Weg ab, verfolgten sie, attackierten, malträtierten und ermü- deten sie, bis die Walfänger mit ihren Ruderbooten eintrafen und ihnen mit ihren Harpunen den Todesstoß versetzten.


Die Geschichte der Schwertwale von Eden nahm ihren Anfang vor Zehntausenden Jahren, lange bevor Menschen erstmals das Land betraten, das man später Australien nennen sollte. Damals schon jagten Schwertwale Bartenwale, wenn diese geschwächt zurückkehrten aus tropischen Gewässern, wo sie ihren Nachwuchs aufzogen. Schwertwale fressen theoretisch mehr als 140 Fischarten, doch viele spezialisieren sich auf einige wenige und passen ihr Jagdverhalten an. Sie leben überwiegend in kälteren Regionen um Skandinavien und Neuseeland. Nur wenige wandern saisonal und folgen ihrer Nahrung. Es ist ungewöhnlich, Schwertwale in so warmen Gewässern wie vor Eden zu finden. Eden liegt auf 37 Grad südlicher Breite, ungefähr auf der Höhe Lissabons nördlicher Breite.

Der äußerste Südosten des australischen Festlands war einst die Heimat der Yuin, eines Stammes der Aborigines. Man schätzt, dass vor der Errichtung der ersten Strafkolonie im Jahr 1788 in der Nähe der heutigen Millionenmetropole Sydney 11 000 Yuin in zwölf Familienclans entlang der Küste lebten, auch an den Ufern der Twofold Bay. Dort sahen sie immer wieder Bartenwale stranden.


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mare No. 126

No. 126Februar / März 2018

Von Pia Volk

Pia Volk, Jahrgang 1978, Autorin in Leipzig, lernte in Eden auch Mrs. Davidson kennen, Nachfahrin der legendären Walfängerfamilie. In ihrer Pension übernachten auch Gäste, die in Eden eine Kur machen. Sie baden in Walfett, nicht nackt, sondern angezogen (mare No. 121). Nach der Kur muss die Kleidung verbrannt werden, weil sie unglaublich übel riecht.

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Vita Pia Volk, Jahrgang 1978, Autorin in Leipzig, lernte in Eden auch Mrs. Davidson kennen, Nachfahrin der legendären Walfängerfamilie. In ihrer Pension übernachten auch Gäste, die in Eden eine Kur machen. Sie baden in Walfett, nicht nackt, sondern angezogen (mare No. 121). Nach der Kur muss die Kleidung verbrannt werden, weil sie unglaublich übel riecht.
Person Von Pia Volk
Vita Pia Volk, Jahrgang 1978, Autorin in Leipzig, lernte in Eden auch Mrs. Davidson kennen, Nachfahrin der legendären Walfängerfamilie. In ihrer Pension übernachten auch Gäste, die in Eden eine Kur machen. Sie baden in Walfett, nicht nackt, sondern angezogen (mare No. 121). Nach der Kur muss die Kleidung verbrannt werden, weil sie unglaublich übel riecht.
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