Zaubern auf Rädern

Reisender, kommst du an einen Parkplatz mit Meerblick, stehen die Roulottes schon da – Tahitis rollende Schnellkochbuden

Im Hafen von Papeete findet allabendlich eine halbstündige Zaubervorstellung unter freiem Himmel statt. Die Verwandlung des Platz Vaieté beginnt auf die Minute um halb sechs. Noch eine Minute zuvor liegt er verlassen. Mit akkurat gescheitelten Beeten zwischen Kopfsteinpflaster aus hellem Stein, mit orange leuchtenden gusseisernen Laternen und elegant geschwungenen Parkbänken könnte die weite Fläche französischer nicht anmuten. Die Flaggen von Frankreich und Französisch-Polynesien hängen einmütig nebeneinander. Im Hintergrund erhebt sich das Kreuzfahrtschiff „Paul Gauguin“ mit neun blendend weißen Stockwerken.

Halb sechs, und wie eine Kolonne schwerfälliger Käfer kriechen aus dem Nirgendwo die ersten Imbisswagen hervor und nehmen langsam den Platz ein. Auch Herrn und Frau Changs Wagen rollt träge auf seine Position, der Motor verlischt mit einem Pfff, das Ehepaar springt heraus. Binnen weniger Minuten ist der Platz Vaieté gefüllt mit Wagen und betriebsamen Menschen, die beginnen, Käfer in Restaurants zu verwandeln.

Herr und Frau Chang haben die Roulotte „Hong Kong“ vor sechs Jahren einem älteren chinesischen Ehepaar abgekauft, das sich zur Ruhe setzte. Vorher betrieben sie eine kleine Patisserie am Rand der Hauptstadt. Sechs Jahre lang jeden Abend ein Restaurant aus- und wieder einpacken, das heißt, die Changs und mit ihnen Taria, die Kellnerin, sind eingespielt, sie arbeiten wortlos. Mit drei Handgriffen sind das Schild „Hong Kong“ auf dem Dach befestigt, die Heck- und Seitenklappen zu Dächern hochgeklappt, weitere Seitenwände zu Tresen heruntergelassen. Frau Chang steigt in das Innere des Wagens und weidet ihn aus. Unablässig spuckt er gestapelte Hocker aus, gefaltete Tische, Kühltruhen mit gefrorenem Fisch und Gemüse, einen Grill, einen Wok. Was nicht gefaltet, gestaucht, geklappt, gestapelt werden kann, das hat in einer Roulotte nichts zu suchen. Taria bringt einen Eimer Wasser just in dem Moment, da Herr Chang die ersten Kellen Wasser für seinen Wok benötigt.

Nach exakt 30 Minuten ist aus einem französischen Kleinstadtplatz eine tahitianische Freiluftküche geworden.

Polynesische Familien und japanische Touristengruppen schlendern zwischen den Roulottes hin und her, beäugen die Speisenkarten, beratschlagen: Sashimi bei „Chez Mamy“ oder Pizza Napoli bei der Roulotte „Pizza“? Steak mit Pommes frites bei „Chez Roger“ oder doch lieber Crêpe Suzette bei „La Boule Rouge“? So unterschiedlich wie die Menüs sind die motorisierten Restaurants selbst. Sie kommen in Formen und Größen von VW Bully bis zu mittelgroßem Wohnmobil. Manche sind weiß und schnörkellos, fast klinisch eingerichtet. Andere haben keinen Zentimeter Fläche, der nicht bemalt und verziert ist, so wie die Körper mancher Polynesier.

Der Erste, der beim „Hong Kong“ anhält, ist ein Bekannter mit seinem Sohn auf dem Arm. Er setzt sich zu einem kurzen Plausch mit Frau Chang, die nicht gern viele Worte macht. Eigentlich wollte er mit Herrn Chang sprechen, doch der ist zu beschäftigt. „Wie kommen die nur über die Runden?“, fragt der Bekannte Frau Chang. „Wer?“ „Na, die dort, die nie Kunden haben.“ „Ich habe sie nicht gefragt.“ Der Bekannte verabschiedet sich mit einer höflichen Verbeugung, und Frau Chang lächelt: „Ein indiskreter Mensch.“

„Die dort“, das ist „Chez Roger“ gegenüber, der tatsächlich wenige Kunden hat. Die Kämpfe des Kochs mit dem Grill überstehen die skeptischen Blicke der Gäste selten. Es purzeln so viele Kohlen aus der Tüte, dass die erste Glut erlischt. Als er einen Fön hineinhält, um sie erneut anzufachen, gehen auch die Letzten weiter.


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mare No. 42

No. 42Februar / März 2004

Von Judith Reker und Joachim Ladefoged

Text: Judith Reker

Joachim Ladefoged, geboren 1970, ist dänischer Fotograf. Er arbeitet seit 1991 als professioneller Fotograph und wird durch die internationale Fotoagentur VII vertreten. Heute arbeitet er hauptsächlich für Magazine und Zeitschriften wie The New York Times Magazine, The New Yorker, National Geographic, mare, Newsweek und TIME. Er hat zahlreiche Auszeichnungen gewonnen, wie den Visa D'Or, den World Press Photo Award, POYi und andere. Er wurde vom Photo District News Magazine als einer der 30 Newcomer Fotografen gewählt und hat an der Joop Swart Master Class des World Press Photo Awards teilgenommen.

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Vita Text: Judith Reker

Joachim Ladefoged, geboren 1970, ist dänischer Fotograf. Er arbeitet seit 1991 als professioneller Fotograph und wird durch die internationale Fotoagentur VII vertreten. Heute arbeitet er hauptsächlich für Magazine und Zeitschriften wie The New York Times Magazine, The New Yorker, National Geographic, mare, Newsweek und TIME. Er hat zahlreiche Auszeichnungen gewonnen, wie den Visa D'Or, den World Press Photo Award, POYi und andere. Er wurde vom Photo District News Magazine als einer der 30 Newcomer Fotografen gewählt und hat an der Joop Swart Master Class des World Press Photo Awards teilgenommen.
Person Von Judith Reker und Joachim Ladefoged
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Joachim Ladefoged, geboren 1970, ist dänischer Fotograf. Er arbeitet seit 1991 als professioneller Fotograph und wird durch die internationale Fotoagentur VII vertreten. Heute arbeitet er hauptsächlich für Magazine und Zeitschriften wie The New York Times Magazine, The New Yorker, National Geographic, mare, Newsweek und TIME. Er hat zahlreiche Auszeichnungen gewonnen, wie den Visa D'Or, den World Press Photo Award, POYi und andere. Er wurde vom Photo District News Magazine als einer der 30 Newcomer Fotografen gewählt und hat an der Joop Swart Master Class des World Press Photo Awards teilgenommen.
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