Zapfhahn statt Zepter

Traditionell wird der Wirt des Pubs auf einer Insel in der Irischen See zum „King of Piel“ ernannt. Beziehungsweise umgekehrt

Der Inselkönig hat keine Untertanen, nur zwei Hunde, die ihm aber auch nicht recht gehorchen wollen. Und wenn die Be­­sucher seinen Hof verlassen, muss er deren Müll entsorgen. Das Leben von Aaron Sanderson, neuer King of Piel, wirkt so gar nicht königlich. Sein Reich ist eine einsame Insel in Cumbria, Nordwestengland – und sein Zepter ist der Zapfhahn. Denn eigentlich ist der König vor allem der Wirt des Inselpubs „Ship Inn“. 

Trotzdem schaffte es die Stellenausschreibung letztes Jahr, nachdem der alte King of Piel Island aus Altersgründen abgedankt hatte, bis in die „New York Times“: „Englische Insel sucht einen Landlord-König, der Einsamkeit, Robben und Bier mag.“ Abenteurer aus aller Welt fühlten sich angesprochen, angelockt nicht zuletzt vom kuriosen Eid, den der jeweils neue König bei seiner bierseligen Inthronisierung (mit rostigem Helm auf eichenem Thron) leisten muss: „Ein guter Raucher und Trinker zu sein und jedem, der tot am Strand gefunden wird, freie Zuflucht in die Kneipe zu gewähren.“ 

Der Gemeinderat von Barrow-in-Furness entschied sich für Aaron Sanderson, 34, einen Elektriker in der benachbarten Werft für Atom-U-Boote: unverheiratet, Nichtraucher, so gar nicht der Typ romantischer Aussteiger. Eher ein Pragmatiker, der den Herausforderungen auf dem 20 Hektar kleinen Eiland aus Felsen, Sand  und Gras gewachsen ist: etwa dem Generator, der das „Ship Inn“ mit Strom versorgt. Den Diesel dafür muss der Insel­könig wie die Bierfässer vom Festland heranschaffen, im Boot oder in seinem Geländewagen. Denn bei Ebbe ist die knapp einen Kilometer vorgelagerte Insel auf dem Trockenen zu erreichen – wenn man nicht im Schlick stecken bleibt, und auch nur, wenn man über die Sonder­genehmigung des Herzogs von Buccleuch verfügt, einem wirklichen Duke, dem die Sand­flächen um die Insel gehören.

Denn „King of Piel“ entspricht natürlich keinem echten Adelstitel, auch wenn der Brauch bereits im 19. Jahrhundert entstand, in ironischer Anspielung auf Lambert Simnel, Sohn eines Oxforder Kaufmanns, der 1487 mit seiner Söldnerarmee und dem absurden Anspruch, Erbe des englischen Throns zu sein, auf der Insel in der Irischen See landete, um von dort aus gen London zu ziehen, wo er, von Heinrich VII. besiegt, als dessen Knecht endete. So erzählt es jedenfalls John Murphy, seit vier Jahrzehnten nicht nur kundiger Führer nach Piel Island, sondern auch geschickter Promoter, der die Geschichte in der „New York Times“ initiierte.

Der rüstige Raucher, der abends einen guten Schluck zu schätzen weiß, wäre sicher selbst ein origineller King of Piel. Aber mit 74? Nein, er hat sich nicht beworben. Lieber arbeitet er an seinem Buch über die Inselgeschichte, die weit vor dem Brauchtum vom König in den 1300er-Jahren tatsächlich mit einer Burg begann: erbaut allerdings von Mönchen, als Lagerstätte für die Güter ihrer Ländereien, wohl auch, um Schafwolle zu schmuggeln. Ganz genau weiß das selbst John Murphy nicht. „Jedenfalls war es ungewöhnlich, dass die Äbte damals nicht nur Klöster, sondern eine Burg bauten.“

Deren Ruine ist heute neben Vögeln, Robben und Sonnenuntergängen eine der Attraktionen von Piel Island – nicht nur für Tagesbesucher, denn man darf auf Piel Island auch zelten. Im Sommer fluten Gäste die Insel, und nicht jeder kauft sein Pint im Pub, die Entsorgung des Mülls aber obliegt King Aaron Sanderson. 

Das Besucherspektakel kannte er aus eigenen Kindheitstagen. Er wusste also, worauf er sich einlässt. Und trotzdem war der Anfang hart: plötzlich Kneipenwirt, kein Personal, nur seine Schwester half ihm. Die ersten Nächte schlief der König auf einer Luftmatratze. Und dann: Saison­ende, der Fährbetrieb eingestellt, stattdessen Herbststürme und einsame Monate im Winter ohne Einkünfte. Gut, dass der U-Boot-Elektriker sich auf der Werft zunächst nur hatte freistellen lassen.

Den Winter verbrachte Aaron Sanderson überwiegend auf dem Festland, sozusagen im Exil, fuhr nur am Wochenende auf die Insel, mit seinen beiden Hunden, denen es dort ohne Touristen viel besser gefällt, weil sie dann frei herumstromern können – nicht als angeleinte Untertanen, sondern als die eigentlichen Herrscher des kleinen Reichs. Pünktlich zur neuen Saison hat das „Ship Inn“ erneut geöffnet, der König steht wieder am Zapfhahn.  


Gegrillte Makrele 

Beim Zelten auf Piel Island sind auch Lagerfeuer erlaubt, ideal für Selbstversorger. Zum maritimen Grillen eignet sich Fisch mit fettem, festem Fleisch wie Makrele. Je Person rechnet man eine mittelgroße Makrele. Abenteurer spießen die ausgenommenen Fische direkt auf dünne, zugespitzte Stöcke. Bei den Steckfischen wird dann auch die Haut schön knusprig. Aber Achtung: Die Fische sollten nicht mit den Flammen in Berührung kommen, langsam über der Glut drehen.

Piel Island
Barrow-in-Furness, +44 (0) 7387008931, www.pielisland.co.uk. Besucher erreichen die Insel per Fähre (pielferry.com), bei Ebbe auch zu Fuß, geführt von John Murphy oder dessen Partner Ben Pinder: murphysmiles@hotmail.com.


mare No. 159

mare No. 159August / September 2023

Von Roland Brockmann

Roland Brockmann, Jahrgang 1961, lebt in Berlin als unabhängiger Journalist, Fotograf und Video Producer. Bei mare war er an den ersten internationalen Reportagen beteiligt, heute schreibt er dort vor allem Buchrezensionen. 2018 erschien sein erstes eigenes Buch: Real People of East Africa (Photo Edition Berlin).

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Vita Roland Brockmann, Jahrgang 1961, lebt in Berlin als unabhängiger Journalist, Fotograf und Video Producer. Bei mare war er an den ersten internationalen Reportagen beteiligt, heute schreibt er dort vor allem Buchrezensionen. 2018 erschien sein erstes eigenes Buch: Real People of East Africa (Photo Edition Berlin).
Person Von Roland Brockmann
Vita Roland Brockmann, Jahrgang 1961, lebt in Berlin als unabhängiger Journalist, Fotograf und Video Producer. Bei mare war er an den ersten internationalen Reportagen beteiligt, heute schreibt er dort vor allem Buchrezensionen. 2018 erschien sein erstes eigenes Buch: Real People of East Africa (Photo Edition Berlin).
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