Yachtgründe

Die toskanische Küstenstadt Viareggio ist Welthauptstadt des Superyachtbaus. Hier konzentriert sich, was die einen als legi­timen Ausdruck eines Luxusbedürfnisses, andere als obszönen Exzess des Turbokapitalismus betrachten

Im Jahr 1928 führte die „New York Times“ zum ersten Mal das Wort „Superyacht“ ein, um das damals 600 000 Dollar teure Schiff des US-ame­rikanischen Unternehmers und Multimillionärs Vincent Astor, das der Erbe einer berühmten Familie von Deutschland von der Kieler Friedrich Krupp Germaniawerft nach New York überführt hatte, als bisher nie da gewesenes Luxusobjekt zu bezeichnen. Der Titel des „Times“-Artikels vom 23. September lautete „Super-Yacht-Ära mit neuem Astor-Schiff angebrochen“. 14 Jahre später überließ Astor sein Schiff der US Navy – als USS „Nourmahal“ im Dienst der Küstenwache betrieben, im Zweiten Weltkrieg gegen jenes Land, in dem die Yacht einst gebaut wurde.

Eine Superyacht braucht heute mindes­tens 30 Meter Länge, um als Super­yacht zu gelten. Alles darunter ist nur Yacht. Eine offiziell verbindliche Defini­tion gibt es zwar nicht, wohl aber eine inoffizielle Übereinkunft von Bootsbauern, Yachtmaklern und Organisationen wie der International Superyacht Society. Um den Status einer Superyacht reklamieren zu können, muss sie über die Länge hin­aus zudem im Privatbesitz sein und eine professionelle Besatzung an Bord haben. 

Eine Superyacht kennzeichnet, dass die Besitzer nichts tun, während die Crew alles zu tun hat – kochen, servieren, putzen, navigieren, Motor überwachen. Superyachten, notierte im April die „New York Times“, die das Wort vor fast 100 Jahren erfand, seien „schwimmende Villen auf den Mee­ren“. Im Gegensatz zur Immo­bilie ist das Schiff jederzeit mobil und in seiner Mobilität permanent flexibel. Die Villa ist verortet, die Super­yacht unverortbar (jedenfalls, sofern das Identifikationssystem AIS ausgeschaltet ist). 

Vor 20 Jahren begann die Superyacht schon bei einer Länge von 24 Metern, ­Superyacht zu sein. Die sechs Meter ­Längendifferenz bezüglich ihrer Defini­tion zeigt auf eindrückliche Weise die unaufhörliche Überschreitung aller Verhältnisse, wie sie im Wort „super“ angelegt ist. Die olympische Steigerungslogik des Schneller-Höher-Weiter hat in den vergangenen 30 Jahren zu einem Hyperkapitalismus geführt, dessen Währung nicht mehr Geld, sondern der Superlativ ist. 
Im Verhältnis der Schiffslängen von unter 30 zu über 30 Metern spiegelt sich im Lauf eines Jahrhunderts nicht nur die Steigerung von der Yacht zur Superyacht, sondern auch vom Millionär zum Milliardär. Das finanzielle Gewicht der Super­yacht­industrie wird auf gegenwärtig 25 Milliarden Dollar geschätzt, und die jährlichen Ausgaben für die weltweit 6000 in Betrieb befindlichen Superyachten könnten die gesamte Schuldenlast aller sogenannten Entwicklungsländer tilgen. 

Der französische Soziologe und Politikwissenschaftler Grégory Salle hat in seinem Buch „Superyachten“ dem Luxus des Maritimen im „Kapitalozän“ nachgespürt, wobei der Begriff „Kapitalozän“ aus der Feder des US-amerikanischen Geo­his­torikers Jason W. Moore stammt und sich als Alternative zum „Anthropozän“ versteht. Warum? Weil das Anthropozän dem Menschen an sich und insofern der gesamten Menschheit die Schuld an der Klimakrise zuweist, wohingegen deren Haupttreiber nach Moores Sicht nur bestimmte Klassen in bestimmten Ländern des globalen Nordens seien. 

Ein Gespräch mit Grégory Salle findet via Zoom statt, vormittags. Salle sitzt in seinem Büro. Er ist ein entspannter, nachdenklicher Mensch, der, wie er sagt, per Zufall zum Thema kam, während der ­Arbeit an einer soziologischen Studie über die Halbinsel von Saint-Tropez, als ihm plötzlich eine verstörende Ballung vor der Küs­te und im Hafen ankernder Luxusyachten auffiel.

mare: Monsieur Salle, in den vergangenen 30 Jahren hat sich die Zahl der ­Superyachten auf weltweit 6000 versechsfacht. Der Luxusyachtsektor hat die Finanzkrise 2007/08 wie auch 
die Covidpandemie überstanden. Ende 2021 wurde verkündet, dass mehr als 1000 Superyachten in Auftrag gegeben worden seien. Wird aus einer Neben­sache für eine Handvoll Superreicher gerade ein neuer Trend? 

Grégory Salle: Der Superyachtboom spiegelt den ungebrochenen Aufstieg einer gesellschaftlichen Mikroklasse wider, ­einer sehr kleinen Zahl exorbitant ver­mögender Menschen, deren Reichtum zusammen­genommen größer als das Bruttoinlandsprodukt kleiner Staaten ist.

Es geht bei Superyachten ja um etwas anderes als nur Gier. Der Ehrgeiz der Superreichen, etwa 350 000 Menschen weltweit, scheint der Vergleich. Repräsentiert die Superyacht die Rivalität ­unter Superreichen um den Superlativ?

Ich sehe das so. Und zur Rivalität der ­Besitzer kommt noch die Rivalität der ­Ingenieure, Architekten und Designer. Sie wetteifern darum, die außergewöhnlichste Armatur einzubringen, die beeindruckendste technologische Feinheit, die wertvollste Ausstattung und so weiter. In letzter Zeit gibt es noch einen weiteren Aspekt: den Wettbewerb sowohl der Eigner als auch Hersteller, die ökologisch am meisten akzeptierte Superyacht zu bauen und zu haben.

 

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mare No. 161

mare No. 161Dezember 2023 / Januar 2024

Von Christian Schüle und Stefano Morelli  

Christian Schüle, Jahrgang 1970, studierte Philosophie, Soziologie und Politische Wissenschaft in ­München und Wien und lebt als Autor, Essayist und Publizist in Hamburg. In seinen Büchern widmete er sich auch den Themen Gerechtigkeit, Heimat, dem Sinn des Reisens und immer wieder den Erscheinungsformen des Kapitalismus. Bei zufälligen Begegnungen mit Superyachten stellte er bei sich selbst tatsächlich eine verstörende Faszination fest.

Stefano Morelli, ist 1979 in Viareggio geboren und lebt dort als freier Fotograf. Immer schon war er von der „ruhigen Schönheit der ruhenden Yachten“ ­seiner Heimatstadt fasziniert, besonders in den ­Wintermonaten, während er seine Abendspaziergänge in der Stille der verlassenen Werften unternahm. „Mit meiner Kamera als Werkzeug versuchte ich, die unausgesprochene Poesie und die fesselnden Geschichten dieser schlafenden Boote zu enthüllen.“

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Vita

Christian Schüle, Jahrgang 1970, studierte Philosophie, Soziologie und Politische Wissenschaft in ­München und Wien und lebt als Autor, Essayist und Publizist in Hamburg. In seinen Büchern widmete er sich auch den Themen Gerechtigkeit, Heimat, dem Sinn des Reisens und immer wieder den Erscheinungsformen des Kapitalismus. Bei zufälligen Begegnungen mit Superyachten stellte er bei sich selbst tatsächlich eine verstörende Faszination fest.

Stefano Morelli, ist 1979 in Viareggio geboren und lebt dort als freier Fotograf. Immer schon war er von der „ruhigen Schönheit der ruhenden Yachten“ ­seiner Heimatstadt fasziniert, besonders in den ­Wintermonaten, während er seine Abendspaziergänge in der Stille der verlassenen Werften unternahm. „Mit meiner Kamera als Werkzeug versuchte ich, die unausgesprochene Poesie und die fesselnden Geschichten dieser schlafenden Boote zu enthüllen.“

Person Von Christian Schüle und Stefano Morelli  
Vita

Christian Schüle, Jahrgang 1970, studierte Philosophie, Soziologie und Politische Wissenschaft in ­München und Wien und lebt als Autor, Essayist und Publizist in Hamburg. In seinen Büchern widmete er sich auch den Themen Gerechtigkeit, Heimat, dem Sinn des Reisens und immer wieder den Erscheinungsformen des Kapitalismus. Bei zufälligen Begegnungen mit Superyachten stellte er bei sich selbst tatsächlich eine verstörende Faszination fest.

Stefano Morelli, ist 1979 in Viareggio geboren und lebt dort als freier Fotograf. Immer schon war er von der „ruhigen Schönheit der ruhenden Yachten“ ­seiner Heimatstadt fasziniert, besonders in den ­Wintermonaten, während er seine Abendspaziergänge in der Stille der verlassenen Werften unternahm. „Mit meiner Kamera als Werkzeug versuchte ich, die unausgesprochene Poesie und die fesselnden Geschichten dieser schlafenden Boote zu enthüllen.“

Person Von Christian Schüle und Stefano Morelli