Wunderbare Reisen zu Wasser

Er schrieb nie eine Zeile seiner imaginierten Abenteuer nieder, aber die ganze Welt liest seine fantastischen Geschichten: Hieronymus Carl Friedrich Freiherr von Münchhausen

Anno 1753 zog sich Freiherr von Münchhausen, Rittmeister am Hof der Zarin Elisabeth I. in Sankt Petersburg, ins heimische Bodenwerder zurück, wo er seinen Freunden abends von seinen Abenteuern erzählte. Das Talent des Barons, das sich vor allem in maßlosen Übertreibungen manifestierte, amüsierte unter anderen Rudolf Erich Raspe, einen „rothaarigen Mann mittlerer Größe“, der, steckbrieflich gesucht, mit einem kleinen Goldschatz aus dem Hause Friedrich II. von Hessen-Kassel nach London fliehen musste. 

Als das Gold aufgebraucht war, veröffentlichte Raspe, gute Geschäfte ahnend, Münchhausens Erzählungen 1785 erstmals auf Englisch. Als das Buch in die fünfte Auflage ging, glaubte auch Gottfried August Bürger, dass mit diesem Münchhausen Geld zu machen sei, und übersetzte die Erzählungen zurück ins Deutsche. So erschien vor etwa 250 Jahren ein Buch, dessen etwas umständlicher Titel lautete „Die Wunderbaren Reisen zu Wasser und zu Lande. Feld­züge und lustige Abenteuer des Freiherrn von Münchhausen, wie er dieselben bei der Flasche im Zirkel seiner Freunde selbst zu erzählen pflegt“. 

Münchhausen hat von der Veröffent­lichung erst erfahren, als das Volk ihn bereits als „Lügenbaron“ verspottete – ein Titel, der ihn ärgerte. Er sah sich nicht als Lügner, sondern als Erzähler. Vielleicht wäre ihm der zweifelhafte Ruf erspart geblieben, hätte er sich nicht selbst zum sagenhaften Held seiner Geschichten gemacht, der Löwen und Krokodile mit bloßer Hand überwältigt und feindliche Subjekte über große Distanzen auf den Millimeter genau trifft. 

Auch als Seefahrer gibt er sich so erfolgreich wie Odysseus oder Sindbad. Zehnmal sticht er in See, reist nach Ceylon, durchkreuzt das Mittelmeer, segelt nach Sizilien, Ostindien, Amerika, Ägypten und dringt bis ins Eismeer vor, um der Zarin ein Eisbärenfell mitzubringen. Die ist derart entzückt, dass sie ihm einen Heiratsantrag macht, „den der Baron höfflich ablehnet“, da ihn „das Leben auf hohem Fuße überhaupt nicht interessierte“. Ob er das Angebot eines Paschas annahm, der ihm zum Dank für seine Dienste seinen Harem anbot, wird nicht erzählt, denn mit „Liebesabenteuern“ pflegt der Baron „nicht grosszutun“. 

Bei diesem Baron, so schreibt Raspe im Vorwort der englischen Ausgabe, handele es sich um einen Mann von äußerst „origineller Laune“, der in „ganz eigentümlichem Ton“ erzähle und „die Kunst zu lügen“ beherrsche. Auch Gottfried August Bürger sieht keinen Lügenbaron, sondern einen Dichter, dessen Werk mehr wert sei „als eine große Menge dick­beleibter, ehrenfester Bücher, bei denen man weder lachen noch weinen kann“.

Wäre Münchhausen selbst auf die Idee gekommen, seine Geschichten zu veröffentlichen, hätte er kaum bessere Herausgeber finden können als diese beiden. Raspe hatte sich als Bibliothekar, Schriftsteller und Professor einen Namen gemacht, und Bürger, ein Jugendfreund Goethes, der auch Shakespeare und Homer übersetzte, galt als begabter Literat. Er trug einen Ehrendoktortitel, eine bezahlte Anstellung aber erhielt der aufmüpfige Denker nie. 

Alle drei, Raspe, Bürger und Münchhausen, hatten im wahren Leben wenig Erfolg und starben arm und wenig glücklich. Reich wurden nur die Verleger in England, Frankreich, Spanien, Südame­rika, wo Münchhausen als Munikhouson oder Barón de la Castaña, als Monsieur Crac oder Baron Manx vermarktet wurde. Raspe und Bürger hatten aus Münch­hausen einen Bestseller gemacht, der, in 60 Sprachen übersetzt, Millionenauflagen erreichte, wobei sie nicht nur als Übersetzer und Herausgeber fungierten, sondern als Co-Autoren und Ghostwriter – acht von zehn Seeabenteuern stammen komplett aus Raspes Feder. 


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mare No. 160

mare No. 160Oktober / November 2023

Von Hans Korfmann

Der Berliner Autor Hans W. Korfmann hörte im Radio zufällig von einer amüsanten Geschichte über eine Insel, die ein einziger großer Käse war. Als er erfuhr, dass der Urheber Baron Münchhausen hieß, wurde er neugierig. Und begann nachzuforschen.

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Vita Der Berliner Autor Hans W. Korfmann hörte im Radio zufällig von einer amüsanten Geschichte über eine Insel, die ein einziger großer Käse war. Als er erfuhr, dass der Urheber Baron Münchhausen hieß, wurde er neugierig. Und begann nachzuforschen.
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